Kapitel 45

25 5 0
                                    

Mitten in der Nacht schrecke ich auf, als es draußen lautstark donnert. Einige Momente später wird es hell, weil es geblitzt hat und dann wiederholt sich das ganze natürlich immer wieder. Einmal hat die Wetterapp recht und dann aber bei solch einen Wetter. Danke. Für mich kein Problem, ich könnte mich einfach wieder hinlegen und weiterschlafen, aber ich entscheide mich am Ende sehr bewusst dagegen.

Das Licht in meinem Zimmer knipse ich an und stehe danach auch gleich auf. Aus dem Schrank nehme ich mir wieder Klamotten, da ich diese Nacht nicht meine Tochter neben mir liegen hatte und somit wieder normal schlafen konnte. Bevor ich jetzt allerdings das Zimmer verlassen kann, sollte ich mir nochmal etwas überziehen. Als das dann erledigt ist, öffne ich ganz leise meine Tür und bekomme kurz darauf mit, dass es draußen wieder geknallt hat. Nur kurz schaue ich durch das milchige Glas der Haustür, sehe, dass es draußen kurz hell wird und gehe danach doch endlich weiter ins Wohnzimmer, wo ich auch das vorfinde, was ich erwartet habe. Auf dem Sofa sitzt Christina mit Stitch, den sie streichelt und dabei aktiv versucht das zu ignorieren, was draußen vor sich geht.

Ich rege mich eine Zeit nicht, bis sie mich von allein mitbekommen hat. Zum Glück erschrecke ich sie durch meine plötzliche Anwesenheit nicht, aber scheinbar wundert es sie, dass ich jetzt mit hier im Wohnzimmer stehe.
Christina: Was machst du hier?"
Chris: Ich bin durch das Gewitter wach geworden."
Christina: Aber deswegen bist du doch jetzt nicht einfach hier. Außerdem hättest du dich dafür nicht angezogen."
Chris: Nein..."
Endlich verlasse ich meine Position und gehe auf sie zu, damit ich wieder, wie am Nachmittag, neben ihr Platz nehmen kann. Beim nächsten Donner, der ertönt, zuckt sie für einen Moment zusammen, schaut sie ängstlich um, bevor sie wieder zu mir sieht.
Chris: Aber ich weiß, dass du Angst davor hast und dachte daher, dass ich dich hier antreffen könnte."
Scheinbar ist ihr das unangenehm. Denn danach meidet Christina meine Blicke, schaut vermehrt zu ihren Kater und geht ihm durchs Fell.
Christina: Du...wusstest das noch immer?"

Mein leichtes Lachen zieht ihre Aufmerksamkeit zu mir hin. Für einen Moment hört sie auf Stitch zu streicheln und konzentriert sich nur auf das, was ich sage.
Chris: Ich hatte dich mit 19 Jahren bei mir. Du warst vier und es war die Nacht, bevor ich die Abiturprüfung in Englisch LK schreiben musste. Wir waren bei meinen Eltern, du hattest dein eigenes Zimmer, doch in der Nacht bist du zu mir rübergekommen. Es hatte angefangen zu gewittern."
Auch wenn ich ihr gerade eine Geschichte erzähle, wo sie vier Jahre alt gewesen ist, scheinbar schämt sie sich noch immer dafür, dass sie vor eine solche banalen Sache in ihren Augen Angst hat.
Chris: Du wolltest nicht gehen, weil du sowieso nicht hättest schlafen können und ich wusste nicht so wirklich, was ich mit meiner vierjährigen Tochter anfangen soll."
Christina: Aber was hattest du dann getan?"
Wieder muss ich etwas lachen, wenn ich an diese Geschichte denke und scheinbar lockert es Christina auch etwas auf, da sie dann ebenfalls schmunzelt.
Chris: Damals hatte ich den alten Röhrenfernseher bei mir stehen und eine Kassettenrecorder. Wir haben dort zusammen einen Asterix Teil geschaut. Du bist eingeschlafen, ich hatte dich die Nacht bei mir behalten. Du hattest keine Angst mehr und ich konnte am nächsten Tag meine Prüfung schreiben."

Ich denke gerne an diesen Tag zurück, weil es das erste Mal war, dass ich als Vater irgendwas richtig gemacht habe. Ich musste nicht meine Mutter oder meinen Vater fragen, ich kam allein mit Christina aus.
Christina: Damals war ich aber auch vier und heute fast 19 und ich habe noch immer Angst vor einen dummen Wetter. Eine verdammt lächerliche Angst."
Chris: Keine Angst ist jemals lächerlich, Christina."
Eine Hand lege ich ihr auf die Schulter, sodass sie ihren vorher gesenkten Blick endlich wieder zu mir richtet. Auch wenn du es mir nicht glauben willst, du bist stärker als du denkst.
Chris: Jeder Angst ist immer berechtigt. Ich habe panisch Angst vorm Fliegen, obwohl es das sicherste Transportmittel ist. Und genauso okay ist es, dass du dich bei dem Wetter nicht wohl fühlst. Ich kann das auch nicht wirklich leiden."
Ein erneutes Donnern und erneut zuckt sie zusammen und rückt dabei ein weniger näher an mich ran, was Christina vermutlich kaum mitbekommen hat.
Chris: Es ist okay, Angst zu haben und dir muss es niemals peinlich sein, Christina. Ich bin für dich da, egal, wovor du dich auch fürchtest."

Ihr zögerndes Nicken bringt sie auch dazu, dass sie etwas lächelt. Ich hingegen stehe kurz darauf auf und finde meinen Weg wieder zum DVD-Player, wo ich zuerst den Film vom Nachmittag rauslegen muss.
Christina: Was willst du jetzt machen?"
Chris: Was damals funktioniert hat, wird dich jetzt wohl auch noch ablenken."
Ich weiß, welche Disk ich einlegen muss und gehe im Anschluss gleich wieder zu Christina zurück. Zuerst will sie fragen, was ich denn gemacht habe, aber als das erste Lied erklingt, erkennt sie den Film. Du könntest vermutlich jeden Satz mitsprechen.
Chris: Ich weiß, dass du deinen kleinen Kater nach einen blauen Experiment benannt hast. In den letzten Jahren bist du bei Gewitter immer zu mir gekommen."
Christina: Mama hatte es immer so gehasst."
Darüber können wir beide lachen, denn es war so. Sarah wollte immer, dass ich sie einfach wieder in ihr Zimmer schicke, aber das konnte ich nie. Nein, ich habe immer mit ihr einen Film geschaut, damit sie wieder einschlafen konnte.
Chris: Wir haben jedes Mal Lilo & Stitch geschaut und ich denke, dass das jetzt auch wieder ein guter Anlass sein könnte."
Christina: Danke...mal wieder..."
Chris: Du bist meine Tochter...ich will nur das Beste für dich."

Immerhin ist das eigentlich ein Kinderfilm und das heißt auch, dass er keine lange Spielzeit hat. Das Ende kommt schneller, als ich es erwartet habe, sodass es auch die letzten Sätze im Film sind.
Stitch: Das ist meine Familie. Ich habe sie ganz allein gefunden. Sie ist klein und kaputt, aber auch gut. Ja, sehr gut."
Das ist der Moment, wo ich wieder zu Christina schaue und auch der, wo ich mitbekomme, dass sie sanft eingeschlafen ist. Ihr Kopf liegt auf einen der Rückenkissen, ihr Kater wieder zu ihren Füßen und scheinbar stört es sie gar nicht, dass es draußen noch immer gewittert. Während die letzten Minuten des Films noch laufen, stehe ich leise auf und gehe kurz in mein Zimmer, da ich dort noch eine Decke liegen habe, die ich ihr für die Nacht geben kann. Ich würde sie jetzt nicht mehr hochgetragen bekommen. Sie soll jetzt hier schlafen.

Den Film schalte ich aus und schaffe es auch, dass ich Christina halbwegs ordentlich aufs Sofa lege. Stitch springt dafür kurz auf den Boden, damit ich danach die Decke über sie legen kann. Zu ihren Füßen legt er sich wieder hin, als ich die Decke loslasse, wobei Christina im Halbschlaf danach greift und sich komplett zudeckt. Dieses schwache Lächeln macht mich glücklich, bringt mich auch zum Grinsen.
Christina: Danke...Papa..."
Über drei Jahre hat du das nicht mehr gesagt. Du hast mich seit über drei Jahren nicht mehr so genannt. Auch wenn sie es vielleicht nicht so ansieht, aber für mich ist es das schönste Weihnachten seit langen, denn ich habe endlich meine Tochter wiederbekommen.
Chris: Schlaf gut, Kleine...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt