Kapitel 65

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Die Sachen, die ich gebrauchen könnte, sind am Abend gepackt, aber ich möchte nochmal die weißen Sachen waschen. Auch wenn es nicht sonderlich warm werden soll in den nächsten Tagen, gerade habe ich sehr viel schwarz eingepackt, was auch nicht sein muss.

Stitch liegt am oberen Ende der Treppe, was schon das erste Mal ist, dass ich mich wundere. In den nächsten Tagen wird sich meine Schwester um ihn kümmern und ich weiß, dass sie das gut machen wird. Auch sie hat mit ihren Mann zwei Katzen, also wird unser Kleiner auch die Zeit ohne uns überstehen.
Chris: Hey Christina, ich wollte wissen..."
Als ich die Tür zu ihren Zimmer öffne, finde ich leere vor. Einen Moment schaut ich durch den Flur oben, aber auch alle anderen Türen stehen offen. Da nach wenigen weiteren Sekunden der Föhn im Bad angestellt wird, weiß ich, wo sie gerade ist. Vor ihrem Bett liegt ihr Koffer, sie wird alles haben und daher will ich das Zimmer auch wieder hinter mir lassen. Aber auf ihrem Schreibtisch liegt die alte Kiste vom Dachboden und die reißt mich in ihren Bann, sodass ich reingehe.

Es ist die alte Kiste, wo ich die Briefe geschrieben hatte zu ihren Geburtstagen. Meine Schrift ist heute schon nicht so gut, aber damals war sie noch schrecklicher. Dies bringt mich etwas zum Lachen, aber das, was daneben liegt, bringt mich gleich wieder dazu, dass ich damit aufhöre. Ein altes Bild von Sarah und mir, was zu unserer Hochzeit gemacht wurde. Warum hast du es zerrissen? Es ist in der Mitte getrennt, trennt somit auch Sarah und mich und auch wenn ich alles, was mit ihr gewesen ist, nicht sonderlich positiv in Erinnerung habe, es zerreißt auch mich ein wenig.

Dass die Tür des Badezimmers geöffnet wird bekomme ich mit. Auch, dass kurz darauf die Tür zu ihren Zimmer geöffnet wird und erst dann drehe ich mich um. In meinen Händen halte ich die beiden Teile des Bildes, schaue zu meiner Tochter hin, die schweigend im Rahmen steht.
Chris: Warum hast du das getan?"
Sie schweigt, als würde sie es selbst nicht wissen. Christina bewegt sich nicht ein Stück, schaut mich mit ihren leeren und bedrückten Blick an, während ich innerlich immer unruhiger werde. Es war eines der wenigen Bilder, die noch existieren.
Chris: Warum hast du es zerrissen, Christina?"
An ihrer Reaktion sehe ich, dass sie den Nachdruck in meiner Stimme sehr gut mitbekomme hat. Du willst sie nicht anschreien, Christian. Und trotzdem hat sie etwas in mir verletzt, was es gerne würde.
Christina: Wegen ihr. Weil sie am Ende schuld an all dem gewesen ist. Weil sie aus dir etwas gemacht hat, was du gar nicht warst oder sein wolltest."
Chris: Wie meinst du das bitte?"
Christina: Du wolltest sie nie heiraten. Du wolltest nie bei ihr bleiben. Du hast es nur getan, wegen mir. Wäre sie nicht so gewesen, wäre das alles nicht so geendet."

Es gab in meiner Welt immer gute Gründe, warum ich Christina nie die Wahrheit über Sarah gesagt hatte. Und das ist einer davon. Dass sie nur noch das schlechte in ihr sieht. Wo Sarah mir immer für alles die Schuld gegeben hatte, steht jetzt meine Tochter und sagt das gleiche über ihre Mutter. Ich wollte immer verhindern, dass sie sich gegen die Erinnerung ihrer Mutter stellt, denn sie sind alles, was ihr bleibt. Sarah wird niemals wiederkommen. Am Ende bleiben uns nur die Erinnerungen.

Einen letzten Blick lasse ich auf die Bildteile fallen, bevor ich seufze und zu Christina schaue. Diese steht mittlerweile nicht mehr wütend vor mir, wie vor wenigen Augenblicke, sondern jetzt wieder verletzt, kleinlaut und kurz davor, als würde sie wieder weinen.
Chris: Christina..."
Auf ihren Tisch lasse ich das Bild wieder fallen und überwinde die Distanz, die noch zwischen und gelegen hat. Mit jedem Schritt, den ich auf sie zugehe, lässt sie ihren Kopf etwas weiter hängen und ihre Sachen zu Boden fallen.
Chris: Das, was du über sie rausgefunden hast, war nicht alles, was sie getan hat."
Christina: Sie hat dich zu so vielen Dingen gezwungen und mich so manipuliert, dass ich genauso weitergemacht habe, wie sie die Jahre zuvor. Wie konntest du sie überhaupt in Schutz nehmen?"
Bevor sie in sich zusammenbricht, ziehe ich sie in eine Umarmung und stütze sie.
Chris: Weil ich sie geliebt habe und niemanden etwas schlechtes wünsche, auch ihr nicht. Und dass, obwohl sie mir das alles angetan hat. Du denkst, es wäre nur fair, so zu denken, aber trotz allem habe ich sie geliebt und du genauso. Daher wollte ich es dir nie vorhalten, denn ich will niemals, dass jemanden etwas so schlimmes passiert. Vielleicht ist es dumm und naiv und vielleicht bin ich blind...aber so ist das manchmal..."
Christina: Liebe macht blind..."
Chris: Weil ich dich schützen will."

Auch wenn die Liebe zu Sarah vor Jahren schon nicht mehr das gleiche gewesen ist, ich habe meine Tochter vom ersten Tag an geliebt. Ich habe das über mich ergehen lassen, wegen ihr und ich würde es immer wieder machen, wenn ich wusste, dass es ihr dadurch gut gehen würde.

Vorsichtig lasse ich Christina wieder los, schaue sie nochmal genauer an, bevor sie die erste ist, die wieder zum Tisch und zum Bild geht. Die beiden Teile nimmt sie in ihre Hand, schaut es sich an und lässt ihren Blick danach zu mir schweifen.
Chris: Du wirst niemals wieder Erinnerungen mit ihr Sammeln. Das, was du herausgefunden hast, sollte niemals die schönen Moment mit deiner Mutter überdecken. Es ist alles, was dir bleiben wird."
Christina: Es ist nur schwer das alles miteinander zu vereinbaren."
Chris: Das glaube ich dir, aber gib dir selbst auch die Zeit dafür. Wir beide waren für einen Neuanfang, also steht dir selbst nicht weiter im Weg. Lass es weh tun. Lass es heilen. Und lass es endlich los."
Christina: Ich versuche es...früher wollte ich immer nur, dass nichts an mir mich an dich erinnern würde...heute wünsche ich mir, dass ich irgendwas an mir hätte, was mich nicht an Mama erinnert. Alles habe ich immer ihretwegen getan. Weil sie dich nicht leiden konnte."

Ihre blauen Haare und Augen sprechen dafür. Das, was in der Familie Reinelt immer am markantesten war und immer weitergegeben wurde, wollte sie verstecken. Vielleicht kann sie es hinter sich lassen und mit sich selbst nochmal neu anfangen, irgendwie...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt