Kapitel 50

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Andreas muss über den trockenen Witz von Christina lachen, ich lasse mich für einen Moment in den Sitzt fallen und schaue dabei zu ihr hin, wie sie die Zeit offenbar zu genießen scheint. Nachdem die vielen Fragen von Christina beantwortet wurden – die meisten von meinem Bruder – haben wir auch ganz normal miteinander gesprochen. Und jetzt scheint es gerade so, als wäre es nie anders gewesen.

Mitten in einem Gespräch schaut mein Bruder auf sein Handy, scheint etwas darauf zu lesen und wendet im Anschluss seinen Blick zu mir hin. Habe verstanden, es gibt irgendwas, was du noch mit mir besprechen musst.
Christina: Ich glaube, ich lege mich oben mal schlafen."
Für mich ist es nicht seltsam, dass auch meine Tochter verstanden hat, was Andreas von mir will und dass sie da etwas fehl am Platz sein würde. Scheinbar wollte ihr Andreas aber dieses Gefühl nicht geben.
Andreas: Das sollte für dich jetzt nicht das Signal sein, dass du gehen musst, Cassy."
Christina: Christina, und das weiß ich, Andreas. Aber es ist wirklich spät geworden und ich denke, dass ich sowieso noch eine Zeit brauchen werde, bis ich überhaupt schlafen kann."
Ihr Handy liegt noch vor ihr, das nimmt sie mit und steht im nächsten Augenblick auf, damit sie in den Gang gehen kann.
Christina: Kannst du mich morgen wecken, wenn ihr los geht?"
Chris: Kann ich machen. Spätestens mein Bruder wird mich daran erinnern."
Andreas und Christina lachen einen Moment, bevor sie sich mit einer schnellen Handbewegung von Andreas für die Nacht verabschiedet.
Christina: Nacht, Papa und bis morgen."
Chris: Schlaf gut."

Ein letztes Lächeln von ihr, bevor sie von uns weggehet und der verwirrte Blick meines Bruders ist in den Moment Gold wert und bringt mich automatisch zum Lachen. Scheinbar ist diese gesamte Situation für ihn sehr seltsam und unverständlich, sodass er kaum anders reagieren kann. Du bist vieles auch noch nicht gewöhnt, Christian. Immerhin ist das alles noch sehr fragil zwischen dir und deiner Kleinen.

Der Mac von meinem Bruder fährt nebenbei wieder hoch und zuerst versucht Andreas seinen Blick auch starr darauf zu halten, um mir kein eigenartiges Gefühl zu geben.
Andreas: Okay, es tut mir leid, aber was ist bitte in der Zeit passiert, seitdem sie einmal von zu Hause weggelaufen ist?"
Chris: Eine ganze Menge."
Andreas: Ja, das habe ich auch mitbekommen. Vor drei Wochen wollte sie dich kaum anschauen oder dich anders als bei deinen Namen nennen und heute...was ist passiert? Wo war sie damals überhaupt?"
Chris: Sie war bei Michelle und Torsten."
Den Ausdruck, den mir Andreas gerade zeigt, kann ich nur zu gut nachvollziehen. Er hatte damals versucht mir einzureden, dass ich den Kontakt zu meinen Schwiegereltern dringend bewahren sollte. Ich war immer dagegen. Daher habe ich alle Nummern getauscht, nachdem wir in die vorherige Wohnung gekommen sind. Damals konnte ich ihnen nicht unter die Augen treten und ich denke auch, dass es noch seine Zeit braucht.

Fast nebenbei schickt mir Andreas die Mail zu, die er eben noch von einen der Veranstalter für das nächste Jahr bekommen hatte. Und noch mehr Arbeit, weil andere abgesagt haben und beim Aufbau zu helfen. Super!
Andreas: Wie hatte sie es aufgenommen?"
Chris: Manches so und manches so. Du weiß, wie Sarah gewesen ist und dass Christina daran festhalten wollte. Irgendwie dann erfahren zu müssen, was wirklich passiert ist, war für die kurze Zeit ein bisschen viel."
Andreas: Glaube ich dir. Scheint aber auch so, als würde sie es wollen."
Chris: Möchte sie auch, aber ich muss noch einen guten Weg finden, damit ich ihr zeigen kann, dass Sarah nicht in Gänze so gewesen ist. Aber damit sollte ich noch warten."
Andreas: Aber nicht zu lange, Bruder. Irgendwann wird sie sich sonst auch dort ein Bild gemacht haben und dann steckst du wieder in der gleichen Situation."
Wenn er doch nicht jedes Mal mit solchen Sachen recht behalten soll.

Ich zeige auf die Mail und dann beginnen wieder etliche Diskussionen über Pläne, die wir hatten und die nun wieder komplett umgeschmissen werden dürfen. Die Arbeiter anders einplanen, die Crew anders einspannen und mehr Zeit einplanen. Vor allem mehr Zeit. Zeit, die wir bald nicht mehr haben. Es ist jetzt bald 2016, die Show im Stadion kommt immer näher und dann kommt sowas mehr als ungelegen. Ein mehr oder weniger guter Ansatz ist um kurz vor zwei fertig und wir haben dann eigentlich nur unterbrochen, weil es zu spät wird. Morgen ist die erste Show, das erste Mal arbeiten wir wieder mit der Crew und es beginnt alles wieder von vorne. Etwas Schlaf wäre nicht so schlecht.

Am frühen Morgen selbst schon rechtzeitig mit dem Wecker aufzuwachen und mich zu motivieren, nach so wenigen Stunde Schlaf wach zu wirken, fällt mir selbst schon schwer. Und dann muss ich auch noch meine 18-jährige, kein Stück bessere und ausgeschlafenere, Tochter wecken, die da scheinbar auch keinen Bock drauf hat.
Christina: Wir früh ist es denn bitte?"
Die Decke zieht sie wieder über ihren Kopf drüber und hält mich dann auch davon ab, dass ich diese wieder davon wegbekomme.
Chris: Etwa halb neun am Morgen. Ich gehe jetzt gleich Frühstücken und danach in die Arena und wenn du dich nicht verlaufen willst, dann solltest du jetzt mitkommen."
Als würde sie es abwägen, ob es besser ist jetzt aufzustehen oder nachher sich zu verlaufen, braucht sie einen Moment, bis sie die Decke doch von sich nimmt.
Christina: Ich kann ja nicht mal morgen länger schlafen, weil es dann ja wieder eine andere Stadt ist!"
Ja, so geht es mir auch immer wieder. Aber mit der Ausnahme, dass ich mich einfach zurechtfinden muss.
Chris: Komm, in der Kantine haben wir auch einen Kaffee, dann wirst du auch wach."
Christina: Wo sind wir heute überhaupt?"
Christina setzt sich an den Rand der Kabine, schaut einmal zum Boden, bevor sie daraus klettert und vor mir steht, bevor sie ihren Sachen zusammensucht.
Chris: Heute sind wir in Stuttgart."

Christina hatte zuvor kaum jemals Herford oder die Umgebung davon verlassen. Als Familie waren wir selten weg, man könnte es an einer Hand abzählen, und nachdem Sarah nicht mehr da war, war an sowas sowieso gar nicht mehr zu denken. Dass sie einfach nach Zürich gefahren ist, wundert mich bis heute. Sie ist jetzt nicht diejenige, die sich einfach so in Situationen begibt, in der sie zuvor noch nie war. Auch das hier ist etwas, woran sie sich gewöhnen muss und dazu kommen gleich auch noch die ganzen Menschen, die Christina noch nie zuvor gesehen hat. Das kann ein Spaß werden...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt