Kapitel 19

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Die Wochenenden sehen ab sofort wieder ruhiger aus, da die Spiele mit der Mannschaft jetzt erst wieder im nächsten Jahr stattfinden. Üblich war das immer meine Routine, die mich aus diesem Haus rausgeholt hat, aber eigentlich hätte ich mich daran gewöhnen müssen, dass es zur Weihnachtszeit wieder anders sein wird. Und dabei sitze ich jetzt wieder allein in meinem Zimmer, habe Stitch bei mir, aber weiß kaum was mit mir anzufangen.

In der Woche hat wieder keiner eine Nachricht in die Gruppe geschrieben. Bolin würde das niemals machen, da er meine Freunde sowieso nicht leiden kann. Generell kann er die gesamte Gruppe nicht leiden. Maddie war auch still. Dazu hatte sich bei ihr in den letzten Tagen immer wieder das Profilbild geändert, bis sie schlussendlich gar kein Bild mehr hatte und auch ihr Info mit dem Spruch ist weg. Nate hat solche Treffen zumeist organisiert, aber auch der hält sich raus. Und zuletzt ist da noch Velory, die sich in ihrer seltsamen Art nicht ein Stück gebessert hat. Noch immer schreibt und spricht sie so seltsam. In der Schule, wenn wir Pause haben, beachtet sie mich kaum und am Abend bekomme ich keine Nachricht oder einen Anruf von ihr. Zuletzt haben wir uns letzten Sonntag gesehen. Ich sehe es dabei auch nicht ein, dass ich ihr schreiben sollte. Sie antwortet nur wieder so genervt und hält mir vor, ich solle bitte nicht so neugierig sein und darauf kann ich nun wirklich verzichten.

Auf Musical.ly kann ich mich nie sonderlich lange aufhalten. Das neueste YouTube Video von Julien Bam, »meine SUPERKRAFT (HeyJu)« habe ich auch bereits gesehen und so verschlägt es mich dann zu Instagram, wo ich zuerst durch den Feed scrolle. Einige aus dem Verein, aus den AGs oder aus meinem Jahrgang haben etwas gepostet. Und unter den ganzen Fotos, die einen fast erschlagen könnten, komme ich irgendwann aber auch auf ein Bild, was Maddie vor wenigen Stunden hochgeladen hatte. Dabei sitzt sie im Wald vor einen dieser Feuerstellen und verbrennt irgendwas. Die Bildunterschrift macht einen auch nicht sehr viel schlauer. »Life isn't about waiting for the storm to pass. It's about dancing in the rain«. Danke, für dieses poetische Meisterwerk, aber etwas mehr Erklärung hinter all dem hätte ich auch gebraucht. Ich klicke auf ihren Namen und komme dann auf ihre Seite. Dabei fällt mir auf, dass sie diese komplett verändert hat. Viele Bilder sind verschwunden, die Daten in der Info sind weg und ihr Profilbild ist auch ein anderes. Auch wenn ich nicht viel mit ihr zu tun habe, ich schreibe ihr einfach.

Über Instagram will ich ihr eine erste Nachricht schicken, muss aber einen Moment überlegen, was ich überhaupt schreiben soll. Wird schon schief gehen.
Cassy: Hey Maddie, alles gut?
Maddie: Nichts ist okay!
Cassy: Ja, habe ich durch dein neuen Beitrag auch gesehen und mitbekommen.
Cassy: Ist irgendwas passiert?
Maddie: Ob etwas passiert ist? Nein Cassy, alles super! Nate hat mich aber vor etwa zwei Wochen für deine Ex sitzen lassen.
Maddie: Dabei meinte er, er hätte es nicht länger verheimlichen können, da es schon viel länger lief. Dieses Arschloch!
Cassy: Mit meiner Ex?
Mein Herz schlägt viel zu schnell, ich merke, dass die Hitze mir ins Gesicht steigt und dass es in mir anfängt zu kochen. Ich habe keine Ex, da Velory mein erste und einzige Freundin IST. Sie hatte nicht mit mir Schluss gemacht, irgendwas angedeutet. Wir haben uns letzte Woche getroffen und das schien alles halbwegs normal. Außer die verdammte Tatsache, dass sie bereits länger mit Nate abhängt, sehr anhänglich war und immer wieder mit ihm geschrieben hat. Aber Cassy solle nicht so paranoid wirken.
Maddie: Ja, mit Velory. Er meinte, das läuft ein guten Monat bereits und er hätte es mir nicht sagen können.
Maddie: Seid ihr nicht getrennt?

Darauf gebe ich keine Antwort mehr. Stattdessen schalte ich mein Handy aus, stehe auf, greife vom Stuhl noch eine Jacke und verlasse danach mein Zimmer, damit ich in den Hausflur runterlaufen kann. Dort stehen meine Schuhe, die ich mir anziehe und zubinde, bevor ich nach meinen Hausschlüssel greifen kann.
Chris: Wo willst du hin?"
Cassy: Dauert nicht lange. Bin gleich wieder da."
Vielleicht hätte Chris weiter nachgefragt, aber zu schnell habe ich dafür das Haus verlassen und das Grundstück hinter mir gelassen. Velory wohnt einige Straßen und Kreuzungen entfernt, in einen dieser Wohnblöcke, aber sonderlich lange brauche ich für den Weg nicht. Wenn das, was Maddie gesagt hat, nur ansatzweise stimmt, hat sie mich so lange ausgenutzt, angelogen und hinters Licht geführt. Die letzte Straße, ich sehe das Wohnhaus und weiß, dass die Tür unten immer auf ist. Danach muss ich nur in den ersten Stock laufen, weil dort deren Wohnung ist. Ich hoffe sie ist zu Hause. ALLEIN.

Ich klingle an der Tür, versuche zu Atem zu kommen, bekomme aber nach nur kurzer Zeit die Tür von ihrer Mutter geöffnet.
Kerrin: Cassy, was kann ich für dich tun?"
Cassy: Ist Velory da?"
Kerrin: Ja, aber sie hatte gar nicht gesagt, dass du auch kommen wolltest. Sie hat gerade Besuch bei sich."
Cassy: Kann ich bitte reinkommen? Es dauert auch nicht lange?"
Kerrin: Natürlich. Du kennst den Weg, ich bin in der Küche."
Ihre Mutter lächelt mich an, als ich in die Wohnung komme. Dabei versuche ich halbwegs reguliert zu wirken, obwohl in mir gerade alles tobt. Als Kerrin außer Sicht ist, gehe ich schnell den Flur hinab und komme dort auch bei ihren Zimmer an. Zuerst wollte ich klopfen, aber wozu!? Ich stoße die Tür auf und komme genau in den Moment, in den ich nicht kommen wollte oder hätte kommen sollen. Auf dem Sofa von Velory sitzt sie mit Nate und scheinbar habe ich die beiden bei einem innigen Kuss unterbrochen.
Cassy: Ich wusste von Anfang an, dass du mich anlügst..."
Velory: Und trotzdem bist du bei mir geblieben."

Keinen Zentimeter gehe ich weiter in dieses Zimmer. Ich stehe einfach stur im Eingang und starre zu den beiden hin, wie sie eng umschlungen dort sitzen und sich keiner Schuld bewusst sind.
Cassy: Weil ich das Gute in der sehen wollte. Ich hätte einfach auf Bolin hören sollen."
Nate: Dieser Langweiler passt auch viel besser zu dir."
Velory: Wirklich, dachtest du, dass ich irgendwas an dir finden könnte? Ja, die Zeit war schön und ich hatte nichts gegen die kleinen Aufmerksamkeiten, die du mir immer wieder gezeigt hast, aber längerfristig war klar, dass das nichts wird."
Cassy: Und anstatt das einfach zu sagen, gehst du hinter meinen Rücken mit dem aus?"
Velory: Dann hätte ich auf den Alkohol, die kleinen Präsente und den Kinobesuch verzichten müssen. Irgendwann hätte ich es dir schon erzählt, bestimmt."
Cassy: Du bist wirklich das letzte, Velory."
Darüber kann sie nur lachen und lässt mich so dastehen, als wäre ich die dumme in der Situation. Ja, sie hatte mich hintergangen, aber sie hat die Scheiße gebaut.
Velory: Denkst du wirklich, dass irgendjemanden irgendwas an dir liegt? Du bist an all dem schon schön selbst schuld, Cassy."

Die bitteren Worte meiner Mutter kommen mir in den Moment wieder hoch. Als sie mir sagen musste, dass ich keine Hoffnung bei Chris haben sollte, dass ich ihn nicht interessiere. Das bringt mich zum Schweigen und bricht mich innerlich. Wieder.
Velory: Jetzt, wo du es weißt, verschwinde endlich. Von hier uns aus meinem Leben."
Nichts leichter als das, würde ich sagen, aber es braucht einen Moment, bis ich meinen Körper dazu bewegen kann, dass er diesen Ort verlassen muss. Bevor ich mitbekommen müsste, dass die beiden wieder Zärtlichkeiten miteinander austauschen, schließe ich die Tür und gelange so wieder in den Flur, wo ich erstmal begreifen muss, was da eben passiert ist. Das reißt mir den Boden unter den Füßen weg, bringt mich zum Taumeln.
Kerrin: Alles gut bei dir, Cassy?"
Auch wenn ich den Kopf schüttle, ich versuche gefasst und halbwegs freundlich zu wirken, was sie mir aber kein Stück abkauft, da sie mich im Anschluss besorgt anschaut.
Cassy: Schon okay...ich muss hier einfach weg...danke..."

Ich denke nicht, dass sie irgendwas wusste. Dann hätte sie mich nicht reingelassen und erst recht nicht zu ihrer Tochter. Jetzt verlasse ich die Wohnung genauso schnell, wie ich sie auch betreten habe. Aber dieses Mal gehe ich nicht auf den direkten Weg wieder zurück zu meinem Haus. Ich laufe zuerst durch einige Wege, gehe Umwege, damit ich meinen Kopf frei bekomme von dem, was ich eben sehen musste.

Wie konnte sie mir das antun? Sie hätte einfach Schluss machen sollen. Ja, auch das wäre schmerzhaft gewesen, aber nicht ansatzweise so zerstörerisch wie das, was sie uns eben angetan hat. Was sie MIR angetan hat. Dabei kreisen vor allem immer wieder ihre letzten Worte in meinem Kopf umher und reißen mich in Zeiten, an die ich kaum mehr denken will. Zeiten, die ich immer versuche zu verdrängen. Sie kennen dich nicht, müssen es nicht verstehen. Du bist genug, wirst geliebt und wirst gesehen. Du kannst nichts dafür.Wenn es manchmal nur so einfach wäre, diese wenigen Sätze auch zu glauben.

Warum wird mir immer wieder das genommen, was mir im Leben wichtig ist? Zuerst war es eine richtige Familie zu haben. Dann habe ich meine Mutter verloren und jetzt tut mir meine Freundin auch noch das an. Egal, was ich mache, es ist immer ein einziger Fehler. Weil ich ein einziger Fehler war. Mein ganzes Leben ist ein Fehler. Ich war nie gewollt und scheinbar werde ich es auch niemals sein. Mein Leben hasst mich und ich hasse mein Leben, denn egal, wie sehr ich mich anstrenge und versuche, etwas Gutes darin zu sehen oder zu finden, es wird immer und immer wieder zerstört. Alles soll aus einem Grund passieren, aber den beschissenen Grund würde ich gerne mal wissen...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt