Kapitel 38

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Freitagabend versuche ich das Abendessen für Christina und mich zuzubereiten, während sie gerade noch in Bünde ist. Obwohl, sie sollte bereits im Bus wieder zurück sitzen oder den gerade nehmen. Morgen muss ich wieder zur Halle fahren, dann fängt die Arbeit wieder an. Früher oder später musste es sein, das einzige, was ich hinbekommen muss, ist, dass ich eine gute Balance zwischen Arbeit und Christina finde. Ich will nie wieder an den Punkt kommen, dass sie denken würde, das wäre mir das wichtigste.

Gerade, als ich den Herd anstellen will, damit ich anfangen könnte, meldet sich mein Handy. Zuerst denke ich, dass es mein Bruder sein könnte, der mir noch irgendwas für das Treffen morgen sagen will. Oder weil eine Datei nicht angekommen ist. Sowas eben, was immer wieder passiert. Aber als ich auf das Display schaue, steht dort der Name meiner Tochter. Leicht nervös – hoffentlich ist nichts passiert – nehme ich den Anruf dann entgegen.
Chris: Hey Christina."
Es ist ungewohnt, sie wieder bei kompletten Namen zu nennen. Ich muss mich daran gewöhnen, aber das wird schon werden.
Christina: Hey Chris, ich habe so ein kleines Problem. Ich hatte mich mit Heiko bei einem Stück verquatscht und den Bus verpasst. Könntest du mich abholen?"
Gut, das stellt wohl das kleinste Problem dar. Alles wieder zurück, was ich bisher gemacht habe und ich gehe auch schon gleich in den Flur.
Chris: Klar, kann ich machen. Ich würde zur Musikschule kommen, okay?"
Christina: Klingt gut. Wie weit bist du mit dem Abendessen?"
Chris: Ich konnte noch nicht anfangen, wollte das gleich machen."
Christina: Dann mach das morgen, ich bringe was aus der Stadt mit. Das dauert alles sonst noch länger. Einverstanden?"
Chris: Klingt gut. Ich mache mich auf den Weg, bis gleich."

Das letzte Mal zur Musikschule bin ich gefahren, als Christina 15 Jahre alt war. Erst danach ist sie allein mit dem Bus dorthin gefahren, vorher wollte sie das nicht. Stellt jetzt nicht das größte Problem dar, einen Moment benötige ich dennoch. Im Radio werden gerade die Nachrichten angesagt, als ich endlich in die letzte Straße komme. An der Seite nehme ich sie auch schon wahr, halte dann, damit Christina einsteigen kann, wobei sie ihre Sachen und unser Essen auf die Rückbank legt.

Sie ist gleich nach der Schule mit Bolin dahin gefahren, ich habe sie heute noch gar nicht gesehen und somit haben wir bisher auch nicht gesprochen. Und jetzt schweigen wir auch. Innerlich bin ich leicht nervös, aber davon bekommt sie kaum was mit, da Christina gerade aus dem Fenster und somit auf die Straßen schaut.
Chris: War Bolin vorhin noch eine Zeit bei dir?"
Christina: War er. Wir waren zusammen einkaufen, habe nur ein neues Buch gefunden. Er wollte die Geschenke zu Weihnachten für seine Familie und seinen Freund besorgen."
Chris: War es voll in der Stadt?"
Christina: Fast nicht auszuhalten. Am Wochenende wollte er jetzt noch nach Münster, aber da wusste ich nicht, ob ich sollte. Ich schreibe ihm heute Abend nochmal."

Danach bekomme ich mit, dass sie ihren Blick zu mir gerichtet hat und dass sie nun schweigt und mit sich kämpft, dass sie mir die Frage stellt, die in ihren Kopf kreist. Ich habe gerade keinen Freiraum, dass ich zu ihr schauen könnte. Aber ich denke, ich weiß, was sie mich fragen will.
Chris: Ich habe deinen Hausarrest aufgehoben, du kannst das machen, wenn du willst. Morgen muss ich sowieso wieder zur Halle fahren."
Peinlich berührt lacht sie, bevor sie wieder rausschaut.
Christina: Danke."
Chris: Dafür nicht, Ca- Christina...entschuldige. Muss mich wieder dran gewöhnen."
Für einen Moment schaut sie auf ihre Hände, die Christina auf ihren Beinen zusammenfaltet. Da ich leicht darüber lachen muss, reiße ich ungewollt ihre Aufmerksamkeit auf mich.
Chris: Du bist nervös. Ich mache immer genau das gleiche, mache irgendwas mit meinen Händen."
Christina: Ich habe sehr viele Sachen an mir, die nach dir kommen...warum habt ihr mich damals auch nach dir benannt?"

Ich wusste, dass das irgendwann kommen könnte und dass ich dann das Handeln von Sarah erklären muss, was ich nie verstehen konnte und was ich ihr nicht sagen will.
Chris: Das war deine Mutter, weil...das waren damals ganz seltsame Umstände, ich habe da gar nicht mitgesprochen, das war ihre Entscheidung und...eigentlich..."
Christina: Ja, aber warum? Du redest drum herum. Sag mir einfach die Wahrheit. In den letzten Tagen habe ich schon viel gehört und gelesen, was mich verletzt hat."
Und ich will dir eigentlich nicht noch eine weiter Geschichte sagen, aber es muss wohl.
Chris: Sarah hat mir immer vorgehalten, dass ich an all dem Schuld bin. Von Anfang an habe ich gesagt, dass ich für euch da bin, aber dass das mit uns nicht funktioniert. Sie hat dich nach mir benannt..."
Ich seufze, denn als ich das rausgefunden habe, habe ich sie dafür gehasst. Dass sie das an unsere Tochter weiterträgt.
Chris: Sie wollte, dass ich immer wieder an den "Fehler" erinnert werde, für den ich allein verantwortlich bin. Sie wollte es mir immer wieder vorhalten, damit ich mich nicht rausreden könnte."

Christina denkt darüber nach und schaut danach zu mir hin, während ich auf eine der letzten Kreuzungen zufahre.
Christina: Warum betonst du das Wort "Fehler" so seltsam?"
Chris: Menschen machen Fehler. Sie treffen falsche Entscheidungen, lassen etwas fallen oder waschen das weißes Lieblingsshirt, was man für die Tour braucht, mit den bunten Sachen, sodass es jetzt pink ist."
Kurze Unterbrechung, weil wir beide einen Moment lachen müssen. Danach lässt sie ihren Blick weiterhin auf mir liegen.
Chris: Ich muss dir nicht sagen, dass du nicht geplant warst, aber du warst niemals im Leben ein Fehler, Christina."
Als ich an der Ampel halte, schaue ich zu ihr und bekomme mit, dass sie nun wieder zum Fenster schaut, aber ihren Kopf leicht gesenkt hält.
Chris: Auch wenn du nicht geplant warst und auch wenn es mein Leben stark verändert hat, du bist kein Fehler. Und du warst niemals nicht geliebt oder nicht gewollt von mir. Du warst schon immer genug, warst von mir immer geliebt und bist das Beste, was mir hätte passieren können."

Keine Antwort kommt von ihr, aber ich muss mich wieder auf den Straßenverkehr konzentrieren. Es sind die letzten Straßen, bis wir wieder zu Hause ankommen. Bevor ich in die letzte Straße einbiege, bemerke ich, dass Christina sich mit ihren Ärmel einen Moment über die Augen wischt, durchatmet und danach wieder aufschaut, auch wenn sie ihren Blick nicht zu mir richtet.
Christina: Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich das hören wollte...wie oft ich mir das einreden musste...danke...das bedeutet mir sehr viel...

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