Kapitel 5

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Es ist still. Totenstill in meiner Kabine, wo ich gerade allein warten muss. Ich bekomme mit, dass auf den Fluren vor meinem Zimmer einige Sachen, Kisten und Requisiten hin und hergeschoben werden und dass die Crew miteinander redet, damit später alles gut laufen würde. Mein Handy zeigt auch keine neue Nachricht an, ich bin hier einsam für mich allein. Du bist es doch eigentlich schon gewohnt, Christian. Das ist jetzt dein Leben. Auch wenn manches schon seit Jahren so ist, daran gewöhnen will ich mich nicht.

Zum wiederholten Mal laufe ich im Zimmer umher, weil ich irgendwas noch suche, umsortiere oder wieder weglegen muss. Wo geht es morgen hin? Wo wache ich morgen wieder auf? Morgen...15. November...in Hannover. Ich schüttle mit den Kopf und schaue auf den Tisch, wo alle Sachen stehen, die ich brauche, damit ich später wieder auf der Bühne stehen kann. Wird man sich jemals daran gewöhnen, dass so viele Menschen kommen? Dass man tatsächlich das machen darf, was man immer machen wollte, was der eigene Traum über so viele Jahre gewesen ist? Ich muss darüber lachen. In den letzten Jahren ist so viel passiert, dass ich es nicht glauben kann.
Andreas: Alles gut bei dir?"

Nebenbei habe ich zwar mitbekommen, dass meine Tür geöffnet wurde, aber trotzdem zucke ich leicht zusammen, als Andreas dann bei mir steht.
Chris: Klar, alles bestens."
Sein Blick geht einmal durch den Raum und bleibt im Anschluss bei mir stehen. Lügner. Sag es mir schon, Andreas. Sag, dass du es weißt. Wir beide schweigen aber. Keiner spricht ein Wort. Keiner wendet allerdings auch nicht den Blick vom anderen ab.
Chris: Ich soll noch von Mama grüßen."
Andreas: Ihr habt gesprochen?"
Da er jetzt in meine Kabine kommt, die Tür anlehnt, weiß ich, dass ich ihn so schnell nicht mehr los werde. Gut gemacht...

Meine Position, dass ich am Rand steht und die ganze Zeit den Blick nicht von ihm losreißen kann, wird auch von Andreas nicht geändert, der zu einen der beiden Stühle geht und sich dort setzt. Er klappt den Mac von mir auf und schaut danach einen Moment zu mir hin, da dieser ein Passwort hat.
Chris: Ich mach eben..."
Ich muss mich nur hinter ihn stellen und kann auf die Tastatur zugreifen, damit ich die Kombination eingeben kann. »Cr.23_01!97@1511-S«. Danach öffnen sich sogleich die Pläne der Show im nächsten Jahr, da sie immerhin jetzt fast schon fertig sind. Außer das Lichtkonzept, die Ideen für die Bühne, die Position der Pyrotechnik...
Andreas: Ich habe so bock auf diese Show...wäre es nicht so anstrengend alles."
Chris: Alles etwas viel auf einmal und etwas so großes nach so kurzer Zeit..."
Danach beginnt ein Monolog meines Bruders, dass wir das doch schon so lange machen und dass wir das schaukeln werden. Ich hingegen habe die letzten Jahre kaum mitbekommen. Seit vier Jahren bewegt sich alles zugleich in Zeitlupe und so schnell, dass ich kaum was wahrnehmen kann.

Mein Handy leuchtet wieder auf, daher nehme ich es in die Hand und öffne die Benachrichtigung. Das Spiel geht in die Halbzeit, aber es steht gerade 2-2. Wird in der zweiten Hälfte somit eine knappe Kiste, aber das wird die Mannschaft schon schaffen. Danach stecke ich das wieder in meine Hosentasche, damit mein Bruder das nicht mitbekommt, aber damit ich es bei mir behalten kann. Als ich wieder aufschaue, bekomme ich die Blicke von Andreas mit. Lass es. Sprich es nicht an. Bitte!
Andreas: Eigentlich bin ich hier, weil morgen-"
Chris: Die neue Illusion wird laufen, mach dir keine Sorgen Ich bespreche das nach der Show heute noch mit der Technik und dann wird das."
Andreas: Chris, du weißt, was ich sagen will und-"
Chris: Ja, aber lass es, bitte."
Andreas schaut auf. Sieht meinen flehenden Blick. Danach muss er seufzen und zeigt mit wieder den gleichen Blick, den er jedes Mal mir gibt. Wie gesagt, ich habe schon lange aufgehört zu kämpfen und dafür fehlt mir mittlerweile auch die Kraft.

Demonstrativ klappt er den Bildschirm wieder zu und steht im nächsten Moment vom Stuhl auf. Zuerst denke ich, dass er auch mich zugeht und mit mir das Gespräch führt, vor dem ich seit einer zu langen Zeit eigentlich schon weglaufe. Stattdessen geht er an mir vorbei zu den Sachen, die ich dort liegen habe und greift nach einen Shirt.
Andreas: Ich leihe mir das für heute. Auf meinem anderen sind noch Rußrückstände. Ich kümmere mich zu Hause in Bünde darum."
Chris: Ist gut."
Wieder diese bedrückende Stille, bis Andreas endlich das Zimmer verlässt und hinter sich die Tür schließt. Erst dann atme ich wieder aus und die Anspannung in mir fällt zusammen. Wird es jemals einfacher? Ich kann mich kaum weiter damit beschäftigen, da ich danach von Manu, einem aus der Crew, der sich um den Aufbau der Bühne kümmert, aufgehalten werde und als ich wieder in der Kabine bin, werde ich auch schon für die Show fertig gemacht, auch wenn die erst in drei Stunden ist. Wie gesagt, sie soll zu dieser Zeit beginnen, aber ich glaube, dass noch nie eine Show pünktlich begonnen hat. Wenn sich alles etwas eingespielt hat, wird es auch besser. Bestimmt.

Etwas über eine Stunden musste ich auf meinem Platz und vor dem Spiegel sitzen. In der Zeit redet Sonja oft mit mir, die sich um mich kümmert, aber der gesprächigste war ich einfach noch nie. Wenn dir früher nie jemand zugehört hat, dich jeder unterbrechen musste oder du einfach ignoriert wurdest, weil deine Meinung nicht zählt, verstummst du irgendwann. Im Anschluss wieder umziehen, die Sachen für die Show anziehen und den Schmuck anlegen, den ich trage. Zuletzt die Kette für unseren Papa...zwei Jahre schon, bist du nicht mehr bei uns...das Klopfen an der Tür reißt mich aus dem Gedanken und bringt mich dazu, dass ich dahin schaue. Andreas, wer auch sonst.
Andreas: Wir haben noch das eine Interview, bevor es los geht. Kommst du?"
Chris: Natürlich, bin unterwegs."

Ein aufgesetztes Lächeln, zu mehr bin ich nicht in der Lage. Wir laufen nebeneinander den Flur runter, in etwas über einer Stunde soll die Show beginnen, aber gerade ist es knapp 17 Uhr erst. Als ich realisiere, wie spät es ist, krame ich mein Handy hervor und schaue auf den Endstand des Spieles. Die Gäste haben 4-2 gewonnen. Ich muss lächeln.
Andreas: Was freut dich denn so?"
Chris: Ich habe das Ergebnis vom Spiel. Sieg, vier zu zwei gewonnen."
Andreas: Ich dachte, dass Dortmund erst nächste Woche spielt."
Chris: Davon rede ich doch auch gar nicht, Bruder...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt