Kapitel 47

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Die kalte Luft auf meiner Haut habe ich in den letzten Tagen, wo ich immer nur zu Hause im Bett oder auf dem Sofa gelegen habe, sehr vermisst. Hinter den grauen Wolken ist die Sonne, die es nicht viel wärmer hier macht. Zumindest kann ich die Kälte dieses Mal genießen und erfriere nicht wieder, wie es in Münster der Fall gewesen ist.

Mein Vater und ich sind zu Fuß unterwegs, da er gemeint hatte, es wäre kein langer Weg. Außerdem ist das sowieso in Herford, man käme vielleicht schlechter mit dem Auto voran und so komme ich wieder etwas in Fahrt. In den letzten Tagen tat mir immer wieder mein gesamter Körper weh und das Sofa hat es nicht wirklich besser gemacht. Neben mir läuft Papa, der die Tasche auf seinen Rücken gespannt hat und ich kämpfe eine lange Zeit mit mir, mit meiner verdammten Sucht, aber am Ende gewinnt sie auch. Aus meiner Jackentasche krame ich meine Schachtel mit Zigaretten raus und bekomme mir, dass er mir einen Blick zuwirft. Ich weiß, dass das nichts ist, worauf du stolz bist oder was dir gefällt.

Während des Gehens zünde ich mir die erste Zigarette seit Tagen wieder an und nehme den ersten Zug, der wie jedes Mal, nach einer solchen Zeit, einfach bitter ist. Zwischen uns beiden ist es komplett still und das einzige, was ich wahrnehme, sind die vereinzelten Autos, die über die Straßen fahren. Ich rauche meine Zigarette, senke zwischendurch meinen Kopf immer wieder, bis ich mich traue wieder was zu sagen.
Christina: Tut mir leid."
Papa schaut nun zu mir hin, wobei ich nicht das Gefühl habe, dass er mich verurteilt oder enttäuscht zu sein scheint. Dabei glaube ich genau wissen zu können, was du gerade denkst. Die Zigarette brennt langsam ab, die Ruß Reste fallen zum Boden und ich traue mich auch wieder zu meinem Vater aufzuschauen.
Christina: Ich weiß, dass du es nicht leiden kannst, dass ich angefangen habe zu rauchen. Das tut mir leid...ich finde die Sucht auch mehr als bescheuert."
Chris: Warum hast du überhaupt angefangen? Ich weiß, dass du das gemacht hast, bevor du 17 geworden bist. Warum, Christina?"
Und wieder kommt eine der peinlichen Aktionen von mir ans Tageslicht, die ich dachte vor ihn verheimlichen zu können. Scheinbar weiß er aber leider zu viel über mich.
Christina: Aufmerksamkeit? Dass du endlich mal irgendwas sagen würdest? Ich war bei meinen Freunden immer die einzige. Ich wollte einfach...weiß ich auch nicht."
Chris: Um mich dazu zu bringe, dass ich mich aufrege, solltest du nicht deine eigene Gesundheit gefährden."

Wenn es denn manchmal nur so leicht wäre. Es war zum einen Teil deswegen, aber zugleich auch, weil mich alles einfach genervt und gestresst hat. Das, was mit meinen Vater war, was mit Mama los ist und was generell mein Leben betrifft. Ich weiß, dass es eine dumme Entscheidung gewesen ist – Jede Sucht ist eine nicht sehr intelligente Entscheidung – aber jetzt komme ich nicht mehr davon los. Ist ja auch das Problem an einer Sucht, dass man nicht davon los kommt so einfach.

An einem Mülleimer kann ich die Reste entsorgen und danach wieder mit meinen Vater aufschließen. Wir sollten gleich da sein, der Weg ist gleich geschafft.
Christina: Ich werde damit aufhören, wirklich."
Chris: Wenn du selbst nicht an etwas glaubst, dann solltest du auch keine Versprechungen machen. Sie werden schlussendlich nur zu Lügen, die dich unglaubwürdig erscheinen lassen. Wenn du es dir selbst nicht abkaufen würdest, versprich es niemals jemand anderen."
Auch wenn mich seine Aussage in gewissen Zügen verletzt, zugleich verstehe ich, was er meint und dass er mir nur die Wahrheit und seine ehrliche Meinung mitteilt. Ich werde damit aufhören. Ich werde es mir beweisen. Ich kann das!
Christina: Du hast das nie getan, oder?"
Er kann gleich mit den Kopf schütteln, aber muss wohl über einen anderen Punkt anfangen zu lachen und schaut danach auch wieder zu mir hin.
Chris: Zwar habe ich noch nie eine einzige Zigarette geraucht, aber dafür habe ich schon einiges an Alkohol getrunken, was du noch nie angefasst hast. Irgendwas verfolgt uns alle, niemand kann sich von allem freisprechen."

Endlich kommen wir beim Ziel an. Einige Familien sind hier, aber nicht derartig viele. Kann daran liegen, dass viele sich mit ihren Familien an Weihnachten und den Feiertagen treffen. Und du bist mit deiner gesamten Familie hier. Dir bleibt nur dein Vater. Für den generellen Eintritt mussten wir noch einen kleinen Betrag zahlen, wobei ich durch meine Schülerkarte ein bisschen Rabatt bekommen habe. Am Rand der Eisbahn können wir unsere Schuhe noch austauschen und diese dann dort stehenlassen.

Im Gegensatz zu meinem Vater wirke ich nicht komplett ungeschickt dabei als wir beide aufs Eis gehen. Nur beinahe ist er dabei gleich hingeflogen, aber nach einer kurzen Zeit hat er sich gefangen. Mein Vorteilliegt dabei, dass ich dieses Jahr bereits mit...
Christina: Bolin?"
Mein Papa fährt an mir vorbei, weil ich immer langsamer werde, da ich am Rand meinen besten Freund erkenne. Als er mich dann auch bemerkt, winkt er und für einen Moment gehe ich zu ihm.
Christina: Was machst du denn hier?"
Bolin: Ben wollte mit mir heute etwas Zeit verbringen und du weiß, dass ich mit meinen homophoben Großeltern nicht viel Zeit verbringen muss. Meine Eltern haben mich daher freigegeben und ich bin mit Ben hier. Und du bist wieder gesund?"
Christina: Kann ich sehr gut nachvollziehen. Ja, fast wieder komplett die Alte. Ich habe noch ein bisschen mit meiner Erkältung zu kämpfen, aber das wird sich alles schon legen."

Bolin zeigt mir sein typisches Lachen und wird danach einen Moment von Ben gerufen. Da schaut er einen Moment hin, bekommt die Signale von ihn mit, schaut aber im Anschluss wieder zu mir hin.
Bolin: Wir wollen noch was essen gehen. Willst du dich anschließen?"
Bevor ich antworte, schaue ich hinter mich und sehe dabei meinen Vater, der am Rand der Bahn steht und scheinbar auf mich gewartet hat. Das ist unser Weihnachtsfest.
Christina: Nein. Ich bin mit meinen Vater hier und will bei ihm bleiben. Ein anderes Mal vielleicht."
Scheinbar freut sich auch mein bester Freund für mich, immerhin habe ich in den letzten Jahren nie von meinem Vater gesprochen. Geschweige denn wollte ich für eine längere Zeit freiwillig etwas mit ihm machen.
Bolin: Klar, nächstes Mal einfach. Hast du in den nächsten Tagen mal Zeit? Hatte überlegt, ob ich für einen Tag mal nach Düsseldorf fahre oder so."
Christina: Ähm, nein...tut mir leid."
Ich muss leicht lachen und gehe mit meiner Hand über meinen Hinterkopf. Ich habe das Gefühl, als würde ich gerade zu viel Zeit mit meinen Vater verbringen. Kurz schaut Bolin wieder zu seinen Freund, da die beiden gleich vermutlich los wollen.
Christina: Ich fahre ab Morgen bei meinen Vater mit. Er ist über Silvester auf Tour und da sowieso Ferien sind, begleite ich ihn."
Bolin: Wie cool. Du musst dringend davon berichten, wenn wir uns nach den Ferien in der Schule wiedersehen, okay?"
Christina: Wird erledigt. Ich denke, dass du zu Ben solltest. Er wird ungeduldig."
Bolin: So ist er immer, wenn er Hunger hat."

Nachdem wir beide uns verabschiedet haben, geht er zu seinen Freund und ich mache mich auf den Weg, damit ich wieder mit Papa aufschließen kann.
Christina: Entschuldige, Bolin ist auch hier und wir haben kurz gesprochen. Er ist mit seinen Freund hier und die beiden gehen jetzt etwas essen."
Chris: Und vermutlich willst du dich ihnen anschließen?"
Es scheint nicht mal so, als würde es ihn überraschen mehr, als würde er das erwartet. Dass ich jemand anderen ihm vorziehen würde.
Christina: Nein. Ich bin mit dir hier und ich will den Tag mit dir verbringen. Mit Bolin kann ich nach den Ferien schon wieder etwas machen."
Als wärst du es nicht gewohnt, dass sich jemand für dich entscheidet. Zuerst schaut er mich durchaus verwirrt an, bevor mein Vater leicht lächelt und sich danach vom Rand abstößt und weiterfährt. Ich brauche kurz, bis ich auch wieder weiterkomme und auf seiner Augenhöhe bin.
Christina: Du hast dich so benommen, als hättest du damit gerechnet, dass ich gehe."
Chris: Wenn dir immer wieder das Gefühl gegeben wird, ein Fehler und einfach nur da zu sein, glaubst du es auch."
Wieso haben wir so oft das gleiche gedacht und gefühlt? Warum habe ich das nicht bemerkt und warum hast du es mir niemals gesagt?

Mitten auf der Eislaufbahn bleibe ich stehen, andere müssen mir ausweichen und auch meinem Vater. Als der das nämlich bemerkt, dreht er sich um und lenkt seine Aufmerksamkeit komplett zu mir hin.
Christina: Ich weiß, dass Mama dich nicht gut behandelt hat. Dass sie dich eigentlich nicht wollte und dich einfach dazu gezwungen hat zu bleiben, weil du mich nicht verlieren wolltest. Ich weiß, dass du 15 Jahre immer wieder gehört hast, dass du ihr nicht genug bist und dass sie dich einfach leiden lassen will."
Die letzten Meter Eis, die uns trennen, lasse ich hinter mir und muss mich mit meinen Händen an seinen Schultern stützen, da ich sonst gegen ihn fahren würde. Sein ruhiger Blick weicht nicht von mir ab.
Christina: Du bist mein Vater und ich bin froh, dass du es bist. Du bist keine Option oder ein Versuch...du bist meine Entscheidung, ich will Zeit mit dir verbringen und will dich bei mir haben. So wenig, wie ich ein Fehler bin, bist du es. Du weißt doch: Menschen machen Fehler, sie sind aber niemals einer."

Zuerst lacht Papa schwach, bevor ich ihn in eine Umarmung ziehe. Auch wenn unser Weihnachten so anders war als all die Jahre zuvor, ich habe die Tage mehr als genossen. Ich will immer wieder solche Moment mit meinen Papa teilen und hoffe, dass wir uns niemals wieder so weit voneinander entfernen, wie es in den letzten Jahren war...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt