Kapitel 4

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Nach einer Weile gingen Johannes und ich ins Wohnzimmer, wo wir uns aufs Sofa fallen ließen. Er legte den Kopf in den Nacken und starrte zur Decke. "Seit wann denkst du darüber nach, mit uns zu reden?", fragte ich. "Weiß nicht. Ein paar Tage?" - "Und kann es sein, dass du seitdem kaum ein Auge zubekommen hast?" Er drehte den Kopf zu mir, presste seine Lippen aufeinander und starrte schließlich wieder nach oben.
"Hast du Kris noch erwischen können?" Johannes nickte - soweit das in der Position möglich war. "Und?" - "Er wurde laut." - "Inwiefern?" Er zuckte mit den Schultern, stand auf und ging kurz in Richtung Küche.
Ich blieb sitzen und schaute mir die Bilder an der Wand neben dem Sofa an; Bilder von der Band, von Anna, mit der schon ein paar Jahre zusammen war, von seiner Familie, ein Bild von uns beiden. Ich erinnerte mich gut an den Tag, an dem das Foto entstanden ist; es muss im Sommer 2009 gewesen sein. Wir hatten am Abend ein Auftritt auf einem Festival irgendwo im Süden Deutschlands und Jo und ich wollten am Nachmittag noch einmal in die Stadt. Wir verliefen uns total und landeten irgendwo an einem verlassenen See - wir sprangen einfach rein, alberten herum und schwammen ein bisschen, bis Kris uns irgendwann mal fand. Das Foto ist dann von ihm geschossen worden, als Johannes und ich in unseren durchnässten Klamotten aus dem See kamen; ich in Johannes' Schwitzkasten und wir beide mit einem Lachen im Gesicht.

"Kris hat einfach viele alte Geschichten rausgekramt", erklärte Johannes, als er urplötzlich wieder in der Tür zum Wohnzimmer stand. Seine Fähigkeit, unbemerkt aufzukreuzen, hatte er nach all den Jahren eher perfektioniert, statt verloren. Er nahm meinen Blick auf das Bild wahr: "Das war ein schöner Tag", murmelte er fast tonlos, während er selber das Foto betrachtete.
Er reichte mir ein Glas Wasser, das er gerade aus der Küche geholt haben muss, und setzte sich wieder neben mich.
"Was meinst du mit viele alte Geschichten?", kam ich zurück zum Thema. "Er hat mir viele alte Ego-Nummern von vor sieben oder acht Jahren vorgehalten. Ich weiß ja, dass ich echt ein Arsch war. Aber..." - "Ja, vielleicht warst du einer. Aber das bist du schon seit Ewigkeiten nicht mehr - und das wissen die anderen auch", unterbrach ich Johannes, der ein wenig lächeln musste. "Der Schock sitzt nunmal; du hast schließlich nie auch nur ansatzweise was in die Richtung erwähnt. Lass die anderen erst einmal runterkommen. Und du kennst doch Kris; der meint das nicht so, egal was er gesagt hat. Meine Unterstützung hast du übrigens; absolut." Ich schlug ihm leicht auf die Schulter und lächelte ihn ermutigend an, was er nach kurzem Zögern erwiderte: "Danke, Jay."

Ich blieb noch eine Weile bei Johannes, erzählte ihm sämtlichen Blödsinn, nur, damit er auf andere Gedanken kommen konnte. Auch, wenn ich tausend Fragen bezüglich seiner Soloalbum-Planung hatte, sprach ich es nicht einmal an. Johannes hatte sich in der letzten Zeit allem Anschein nach genug Stress damit gemacht, weshalb ich solange über jegliche Angelegenheiten sprach, bis er gegen 18 Uhr seinen Kopf an meine Schulter lehnte und ich ihn irgendwann ganz leise schnarchen hören konnte.
Ich lächelte zufrieden, breitete vorsichtig und ohne Johannes aufzuwecken die Sofadecke über ihn aus und stützte meinen Kopf gegen seinen. Es war zwar noch sehr früh, aber der stundenlange Monolog hatte auch mich müde gemacht, sodass mir kurze Zeit nach Johannes ebenfalls die Augen zufielen.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt