Kapitel 106

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"Verdammt, das hat mir gefehlt", keuchte Johannes schwitzend und breit grinsend, während er über mir lehnte und sich anschließend kurz zu mir hinunterbeugte, um seine Lippen auf meine zu pressen. Das Braun seiner Augen hatte ich schon lange nicht mehr so schön strahlen gesehen und genauso lange hatte sich keiner meiner Herzschläge so gut angefühlt, wie in diesem Moment.
"Du brauchst mir nicht zu erzählen, dass du nach unserer Trennung keinen Sex gehabt hast", lachte ich und fuhr mit meinen Fingern durch Jos feuchte Haare, um die einzelnen Strähnen, die an seiner Stirn klebten, nach hinten zu streichen.
"Das nicht, aber kein Sex der Welt ist so gut wie unserer." - "Insbesondere wenn wir uns direkt davor noch einmal gestritten haben", ergänzte ich dreckig schmunzelnd, ehe ich uns beide im nächsten Moment ruckartig herumdrehte und mich so positionierte, dass ich auf Johannes' Oberkörper saß. Ich musterte sein Gesicht, das kleine Fältchen um die Augenpartie und auf der Stirn zierte, verlor mich kurz in seinen warmen Augen und lächelte unkontrollierbar.

"Was ist?", fragte Jo lachend, während seine Finger sanft über meine Oberschenkel strichen, und riss mich somit aus meiner Trance. Ich schüttelte kaum merkbar mit dem Kopf, platzierte meine Hände neben seinen Schultern und lehnte mich zu ihm 'runter. Sanft streiften meine Lippen die seinen, bevor ich zu einem vorsichtigen Kuss ansetzte, den Johannes ohne zu zögern erwiderte.
Ich hatte es vermisst. Diese ganz behutsamen Küsse, in denen trotzdem unbändige Leidenschaft steckte, die ich in jeder Vene meines Körpers zu spüren bekam. Sowas hatte ich nur mit Johannes. Sowas wollte ich auch nur mit ihm spüren.
Meine Lippen kribbelten, mein Atem ging ruhig. Jos Hände wanderten auf meinen unteren Rücken, wo sich seine Fingerkuppen sachte in meine Haut drückten.

Nach einigen Sekunden, die sich wie niemals endende Jahre anfühlten, löste ich mich von dem Sänger, lehnte meine Stirn gegen seine und hielt die Augen noch einen Moment lang geschlossen.
"Es ist so schön, diese Gefühle endlich wieder zu spüren", flüsterte ich, als ob ich Angst hätte, dieser Augenblick könnte durch meine Stimme zerstört werden.
"Du könntest sie wieder spüren", hauchte Johannes, wobei ich jedes Wort an meinen Lippen wahrnahm, "Immer und immer wieder. An jedem Tag." Er ließ es wie ein Versprechen klingen, doch es fiel mir unsagbar schwer, es zu glauben. Mein Vertrauen in diesen Mann, den ich alles von mir geschenkt und der dieses nicht zu schätzen gewusst hatte, war zunichte. Ein schmerzender Stich zog durch meine linke Brust.
"Vielleicht." Ich schlug meine Lider auf, wobei sich eine der in meinen Augen angesammelten Tränen löste und über meine Wange rollte. Johannes reagierte schnell und strich sie mir sanft weg, während sein besorgter Blick über mein Gesicht schweifte. "Aber vielleicht klappt das alles auf Dauer auch einfach nicht mehr", gestand ich, was mir durch den Kopf ging.

Jos Atem stockte, bevor er mich sanft von sich schob und sich selbst aufsetzte: "Was meinst du?" - "Scheiße, ja, wir lieben uns und vielleicht werden wir das auch immer, aber... Es ist so viel schief gelaufen. Wir haben so viel verbockt und vielleicht sollten wir einfach einsehen, dass es besser ist, wenn wir getrennt bleiben." Ich wusste selbst nicht, woher die Gedanken plötzlich kamen, aber ich hatte sie und ich musste sie aussprechen. Ich konnte nicht so tun, als wäre ich total optimistisch, was die Zukunft von Johannes und mir betraf. Wir mussten ehrlich sein; zu uns selbst und zueinander.
Johannes war heillos überfordert und schüttelte vehement mit dem Kopf, sprach dennoch ruhig: "Jay. Du hast einfach Angst. Das kann ich verstehen. Aber wir können nicht ohne einander. Ich brauche dich und du brauchst mich." Er rückte näher an mich 'ran und legte behutsam seine Hand an meine Wange. Ich wusste nicht, ob mir das gefiel, doch ich wehrte mich auch nicht dagegen. Sein Daumen strich über meine Haut und sein Blick wirkte so durchbohrend, dass ich fast schon Angst vor Johannes bekam: "Wir gehören zusammen, Jay. Ich bin der richtige für dich und wenn du mir noch eine Chance gibst, werde ich alles daran legen, dir zu beweisen, dass wir das alles wert sind."

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, wollte etwas auf sein Gesagtes erwidern, doch da klingelte mein Handy einmal auf. Ich seufzte kurz, ehe ich mich nach hinten lehnte und neben dem Bett nach meiner Hose tastete, um mein Handy aus einer der Taschen zu fischen. Johannes' Gesichtsausdruck verriet mir klar und deutlich, dass es ihm überhaupt nicht gefiel, dass ich unser Gespräch wegen einer vielleicht unnötigen Nachricht unterbrach, doch ich war ganz froh darüber, da ich eh noch nicht ganz wusste, was ich von seiner Einstellung halten sollte.

„Hey, wo steckst du? Ich dachte, wir hätten die Phase längst hinter uns, in der wir am Morgen aus der Wohnung des anderen verschwinden, bevor er aufwacht 😜🙈 hätte Lust, den Tag mit dir gemütlich auf dem Sofa zu verbringen❤️", las ich Ricks Nachricht auf dem Display meines iPhones, bevor ich meinen Blick kurz zu Johannes schweifen ließ, der den Namen meines Freundes scheinbar über Kopf entziffert hatte und hörbar ausatmete.
"Ich muss mit ihm reden", murmelte ich und fuhr mir dabei durch die Haare. In einer schnellen Bewegung wühlte ich mich aus dem Bett und schlüpfte in meine Klamotten, die überall auf dem Schlafzimmerboden verteilt lagen. Nachdem ich jetzt tatsächlich mit Johannes geschlafen hatte und Rick nichtsahnend auf mich wartete, nagte nun doch das schlechte Gewissen an mir - und zwar gewaltig. Immerhin wusste ich nur zu gut, wie es sich anfühlte, von einer geliebten Person betrogen zu werden. Er hatte die Wahrheit verdient und er sollte sie direkt von mir persönlich hören.

"Treffen wir uns später so gegen fünfzehn Uhr an der Brücke? Wenn du mit Rick Schluss gemacht hast?" Ich hielt meine Bewegung inne, während ich eigentlich gerade dabei war, mir mein T-Shirt anzuziehen. Ich drehte mich nicht zu Johannes um, sondern räusperte mich lediglich und bestätigte nickend: "Fünfzehn Uhr, Brücke Musikhochschule."

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt