Kapitel 18

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Die Party zog sich noch lange hin, es floss noch mehr Alkohol und die Stimmung wurde immer besser, bis Johannes - Anna stützend - ins Wohnzimmer kam: "Leute, ich...ich denke, es ist besser, wenn wir fahren. Anna hat's echt übertrieben." Er hatte Recht; sie konnte kaum mehr alleine stehen, ihr Kopf fiel ihr immer wieder nach vorne und sie reagierte kaum.
"Oh Mann, was ist denn in sie gefahren?", fragte Arne besorgt, als er Anna sah. So kannte man sie wirklich nicht.
"Kann jemand mitkommen? In ihrem Zustand will ich nicht mit ihr in ein Taxi steigen und zu uns nach Hause ist's zwar nicht all zu weit, aber alleine kann ich sie nicht den ganzen Weg stützen." Ich zögerte kurz, doch ehe jemand anderes antwortete, meinte ich: "Ich kann mitkommen." Johannes sah mich ein wenig entgeistert an, nickte jedoch schließlich mit unsicherem Gesichtsausdruck.

"Ihr könnt gleich gehen; ich muss noch kurz was mit dir besprechen", kam Niels uns dazwischen und zog mich prompt mit in die Küche, bevor ich auch nur reagieren konnte. Er lehnte sich gegen die Küchenzeile und zog skeptisch die Augenbrauen hoch, während er die Arme vor die Brust verschränkte. Ich zog die Tür hinter uns zu und sah ihn erwartungsvoll an.
"Ich weiß nicht, was da eben wieder zwischen dir und Johannes vorgefallen ist", begann er mit einer Stimmlage, die ich selten bei Niels hörte und die ich nicht definieren konnte. "Scheinbar ist bei euch alles wieder ok, aber da jeder Blinde - vorausgesetzt er ist nicht so besoffen, wie all die anderen in dieser Wohnung - sieht, dass ihr füreinander etwas empfindet, finde ich, ist es eine verdammt schlechte Idee, Johannes dabei zu helfen, seine stockbetrunkene Freundin, die er mit dir schon vor einigen Tagen und eventuell sogar noch vor ein paar Stunden irgendwie betrogen hat, nach Hause zu bringen." - "Ich will nur helfen", verteidigte ich mich kleinlaut und Niels schnaubte: "Jakob, glaubst du dir das wirklich selbst?" Ich sah nur verletzt in sein Gesicht und wandte schließlich meinen Blick auf den Boden.

"Begleite die zwei ruhig", redete Niels weiter; diesmal mit einer deutlich sanfteren Stimme. "Aber denk' an Anna." Mit diesen Worten verließ Niels die Küche und ich blieb allein zurück, starrte weiterhin auf den Boden und dachte über das nach, was Niels gerade gesagt hatte.
"Hey, Jay, kommst du nun oder nicht?" Johannes stand bereits mit seiner Winterjacke in der Tür. "Ja, klar", antwortete ich, zog mir meinen Mantel über und verabschiedete mich von den anderen.

Draußen nahmen Johannes und ich Anna in die Mitte: "Ich weiß echt nicht, was mit ihr nicht stimmt", murmelte mein bester Freund nach einem besorgten Blick zur Seite. "Jeder trinkt mal einen zu viel." - "Das ist mehr, als nur einer. Schau sie dir mal an. Dass sie überhaupt noch bei Bewusstsein ist, gleicht einem Wunder." Ich verstummte und dachte an das Gespräch zwischen mir und Anna vor einigen Stunden nach. Ich erwähnte es jedoch nicht und verwickelte Johannes in ein komplett anderes Thema, über das wir den ganzen Fußmarsch über reden konnten. Es fühlte sich gut an, endlich wieder mit ihm sprechen zu können, wie wir es sonst immer taten. Es hatte mir gefehlt - das wurde mir währenddessen bewusst.
"Okay, Anna, in ein paar Minuten kannst du endlich schlafen", sagte Johannes mit ruhiger Stimme, als wir die Wohnung der beiden erreichten. Er schloss auf und zusammen brachten wir Anna ins Bett, sie nuschelte irgendwas, was wie ein 'Danke' klang.

"Lass uns noch kurz auf den Flur", flüsterte Johannes und ich folgte ihm. Er lehnte sich an die Wand und seufzte. "Machst du dir Sorgen um sie?", fragte ich und er nickte: "Ich rede, wenn sie wieder bei Verstand ist, mal mit ihr. Das war heute Abend wirklich zu krass. Aber danke für deine Hilfe." Ich lächelte nur und lehnte mich mit der Schulter neben ihn an die Wand; ich war müde und hätte auf der Stelle einschlafen können. Johannes drehte den Kopf zu mir und schmunzelte: "Willst du auf'm Sofa schlafen?" - "Vielleicht besser so", nuschelte ich, ohne groß darüber nachzudenken, dass das vielleicht eine seltsame Situation wäre. "Okay, geh ruhig ins Bad und mach dich fertig; ich bereite das Wohnzimmer vor." Dankbar nickend steuerte ich auf die Tür zum Badezimmer zu.

"Kann ich dir helfen?", fragte ich amüsiert, als ich aus dem Bad kam und Johannes kurz dabei beobachtet hatte, wie er beim Beziehen einer Bettdecke verzweifelte. Erschrocken drehte er sich zu mir: "Ja, gerne", lachte er und ich griff nach den zwei freien Ecken der Decke, um ihm zu helfen.
"Wie kommst du überhaupt in deinem Leben zurecht, wenn du nicht einmal eine Bettdecke beziehen kannst?", neckte ich ihn frech schmunzelnd, woraufhin er mich gespielt böse anfunkelte: "Na, warte!", sagte er, ließ die Decke los und nahm mich in den Schwitzkasten, kitzelte mich und ich versuchte mich zu befreien, bis wir schließlich lachend auf dem Sofa lagen; Johannes halb auf mir. Ganz spurlos schien der wenige Alkohol wohl doch nicht an uns vorbei gegangen zu sein, da wir beide uns wie kleine Kinder verhielten.
Irgendwann erfror Johannes' Lachen plötzlich und sein Gesicht wurde vollkommen ernst. Er mustere mich kurz, legte seinen Zeigefinger an mein Kinn und näherte sich, ehe er mich küsste und ich zunächst darauf einging.
Mit einem mindestens genauso großen Verlangen, wie das seine, erwiderte ich den Kuss.
Plötzlich schossen mir Niels' Worte durch den Kopf und ich schob Johannes von mir weg: "Johannes, ich...deine Freundin, eine meiner besten Freundinnen, liegt zwei Zimmer weiter und schläft." Ich setzte mich aufrecht hin und seufzte. Er sah in Richtung Flur und fuhr sich durch die Haare: "Du hast Recht, das war...unüberlegt." Er setzte sich neben mich und trommelte nervös mit seinen Fingern auf seinem Oberschenkel herum: "Ich könnte morgen früh sagen, dass wir noch was wegen der Band besprechen müssen und dann komme ich mit zu dir", schlug er vor und ich schaute ihn fassungslos an: "Was?", fragte er besorgt. "Ist das dein Ernst?" Er zuckte mit den Schultern. "Johannes, die letzten Küsse sind einfach so passiert und allein das ist schon schlimm genug für Anna, wenn sie davon erfährt. Und jetzt willst du sie vorsätzlich betrügen? Du bist doch sonst nicht so!" Er sah mich stumm an. "Das war nicht so gemeint", stammelte er schließlich mit schuldbewusstem Gesichtsausdruck. "Ich will niemandem von euch beiden wehtun..." - "Das wirst du aber müssen. Du musst dich für einen von uns entscheiden; Anna hat es nicht verdient, so hintergangen zu werden und ich werde nicht einfach irgendeine Affäre für dich sein, nur weil du Angst hast, zu deinen Gefühlen zu stehen!"

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt