Kapitel 32

393 21 6
                                    

Nachdem wir gemeinsam gefrühstückt hatten, kümmerten Johannes und ich uns per SMS darum, die Meute für den nächsten Abend zusammenzutrommeln. Wir bestellten sie auf 20 Uhr in unsere Stammkneipe, mit der Begründung, einfach mal wieder einen netten Abend unter Freunden zu verbringen. Bis auf Arne - der scheinbar mit Grippe im Bett lag - sagten alle zu.
Ich war jetzt schon angespannt, doch verdrängte es weitestgehend, machte mir einfach noch zwei schöne Tage mit Johannes in meiner Wohnung - wir spielten viel Musik und probierten neue Versionen unserer Songs aus -, bis wir uns einen Tag später gegen 19:30 dann auf den Weg zur Bar machten.

Der Fußmarsch verlief größtenteils schweigend; es lag eine große Anspannung gemixt mit Nervosität in der Luft. Kurz vor der Kneipe, blieben Johannes und ich - hinter einer Häuserecke versteckt - stehen und ich ließ mich seufzend gegen eine Hauswand fallen: "Es wird alles gut werden, oder?" Johannes zögerte seine Antwort hinaus, nickte schließlich jedoch zaghaft und stützte sich mit seinem Arm neben mir an der Wand ab, während er sich vorbeugte und mich küsste. Es sollte uns beide beruhigten; das spürte ich an der Art und Weise, wie er mich küsste.

"Na, dann mal los", sagte ich möglichst motiviert und ging geradewegs los in die Bar und auf unseren Stammtisch zu, an dem bereits Kris, Niels, Chris, Steffi und Nicci saßen und warteten: "Hey, da kommen ja unsere Nachzügler!", grinste Kris schief, als er uns bemerkte. Ehe wir auch nur einen begrüßen konnten, streckte unser Bassist seinen Arm aus und deutete auf den Tresen: "Wer einlädt, übernimmt die erste Runde."

Während Johannes und ich am Tresen darauf warteten, dass der Kellner uns die letzten zwei Gläser Bier hinstellte, bemerkte ich die extreme Anspannung bei Johannes. "Alles ok?", fragte ich besorgt und er zuckte lediglich mit den Schultern: "Ich hab sowas noch nicht so oft gemacht." Er versuchte die Situation mit einem Lachen aufzulockern, doch es half nichts. Wie gerne hätte ich ihn einfach geküsst, um seine Angst zu lindern und meine gleich mit. Stattdessen legte ich unauffällig meine Hand auf seine und streichelte sanft darüber.

Wir trugen die Biere 'rüber und gesellten uns zu den anderen. Mir entgingen Niccis besorgte Blicke nicht, die sie Johannes zuwarf; ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte. Vielleicht haben Niels, Kris oder Anna selbst ihr von der Trennung erzählt und sie dachte, dass Johannes darunter litt. Doch sie sprach nichts dergleichen an und der Abend verlief, wie nunmal ein gewöhnlicher Abend unter Freunden, die tranken, sich viel erzählten und lachten.
Fast vergaßen Johannes und ich, warum wir überhaupt hier waren, bis Steffi sich plötzlich nach Anna erkundigte und fragte, ob sie immer noch krank sei - das muss sie ihr wohl erzählt haben, um ein paar Tage für sich sein zu können.

Johannes' Gesichtsfarbe wandelte sich in ein Weiß, das mir schon fast zu denken gab; für einen kurzen Moment hatte ich Angst, er würde kollabieren: "Des...Deswegen seid ihr hier. Ich muss euch was erzählen", begann er zu stammeln, wobei er den Blick senkte, währenddessen meiner die Gesichter der anderen musterte. "Ich habe mich von Anna getrennt..." Mit jedem Wort wurde er leiser und sackte immer mehr in sich zusammen. Steffi, Chris und Nicci, die es wohl am wenigsten fassen konnte, starrten ihn ungläubig an.

"Du verarscht uns, oder?", fragte Chris, der Anna und Johannes schon immer als absolutes Traumpaar bezeichnet hatte - jeder, der die beiden kannte, hatte das getan. Johannes schüttelte kaum merkbar mit dem Kopf.
"Warum?" Steffi bemühte sich, möglichst ruhig zu klingen, obwohl ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben war. "Das würde ich jetzt langsam auch mal erfahren", murmelte Kris und erklärte auf die fragenden Blicke seiner Freundin, Nicci und Chris hin, dass er schon seit ein paar Tagen Bescheid wüsste, jedoch vergebens auf eine Erklärung gewartet hatte.
Johannes' Finger bohrten sich in seinen Oberschenkel, während sein restlicher Körper zitterte. Er brachte keinen weiteren Ton mehr über die Lippen.
"Das ist wohl etwas komplizierter", versuchte ich also zu erklären. Alle Blicke richteten sich auf mich, Niels nickte mir ermutigend zu, doch ich fand einfach nicht die richtigen Worte und stammelte nur irgendwelche unverständlichen Wortbrocken, während sich wahrscheinlich jeder fragte, weshalb ich für Johannes antwortete - oder es zumindest wollte.

"Ich steh' nicht auf Frauen", schoss es so plötzlich aus Johannes, dass ich mich selbst erschreckte und ich meinen Kopf überrascht zu ihm drehte. Er fixierte mit seinen Augen jedoch immer noch seine Füße unterm Tisch.
"Wie jetzt? Bist du schwul, oder wie?", fragte Kris unsicher lachend. Niels stieß ihm mit voller Kraft in die Rippen, was Kris wohl zu verstehen gab, dass er Recht hatte. Ihm klappte die Kinnlade hinunter und er verstummte.

"Hättet ihr damit denn ein Problem? Ich meine, wenn Freunde von euch schwul wären...", hakte ich irgendwann vorsichtig mit zitternder Stimme nach. Die Verwirrung, die eh schon in jedem Gesicht - außer in dem von Niels' - lag, verdoppelte sich nur.
Schweigen. Diese Stille war unerträglich. Ich senkte nun ebenfalls meinen Blick, wobei mir auffiel, dass Johannes' Finger schon weiß durch den festen Griff in seinen Oberschenkel waren - langsam musste das doch richtig wehtun. Ich zog zaghaft seine Hand weg und hielt sie fest in meiner, während ich mit meiner anderen beruhigend über seinen Unterarm fuhr, wobei ich bemerkte, wie verkrampft er seine Muskeln angespannt hatte.

Die überforderten Blicke der anderen schweiften zwischen mir, Johannes und unseren Händen hin und her.
"Wie jetzt? Ihr...?" Weiter traute Steffi sich nicht, zu reden.
"Soll das alles hier gerade heißen, dass...dass ihr zusammen seid? Hast du deswegen mit Anna Schluss gemacht? Weil du dich in Jakob verknallt hast?", sprach Chris die Frage aus, die wohl jedem auf der Zunge lag.
Wir sagten nichts, was wohl Antwort genug war: "Das erklärt so einiges, was in letzter Zeit so vorgefallen ist...", murmelte Kris. "Eure Distanz zueinander, euer Verhalten, die Anspannung...zuletzt Jakobs Knutschfleck." Ich sah verwirrt auf; ein Knutschfleck war jetzt nicht die allergrößte Seltenheit an mir.
"Ich meine...es war dir richtig unangenehm, als ich dich darauf angesprochen habe - normalerweise hast du sofort damit geprahlt, wenn du dir irgendeine Frau geklärt hast", schmunzelte Kris unsicher - er wollte wohl die Situation auflockern, doch dies gelang ihm nur mäßig.

Wieder trat bedrückende Stille ein. Johannes' umklammernder Griff ließ meine Hand schmerzen, doch ich wollte sie nicht wegziehen; ich wusste, dass Johannes diesen Halt gerade brauchte und den wollte ich ihm geben. Ich spürte, dass er sich mir zuliebe zusammenriss, nicht wieder einfach abzuhauen, zu weinen und sich zu betrinken. Und scheinbar bemerkten nun langsam auch die anderen, was in Johannes und mir vorgehen musste.

"Ich habe es euch bereits gesagt; ihr seid zwei meiner besten Freunde. Ich liebe euch Idioten und mir ist es scheiß egal, auf wen ihr steht", brach dann Niels endlich das Schweigen. Ich lächelte ihm dankbar zu und er nickte einmal.
"Eigentlich habe ich zu wenig Alkohol getrunken, um hier irgendwelche Liebesgeständnisse zu machen, aber euch so verzweifelt zu sehen, tut weh", murmelte nun Kris, exte den Rest seines Bieres und sah dann mit festem Blick zu Johannes und mir: "Ich liebe euch auch. Ihr sollt glücklich sein; und wenn ihr das nunmal nur als Paar sein könnt, dann sollt ihr verdammt noch mal zusammen sein." - "Ich stimme den beiden zu und ich werde euch und eurer Beziehung ganz bestimmt nicht im Weg stehen - abgesehen davon, dass ich das weder wollen würde, noch das Recht dazu hätte." Chris, der links neben mir saß, bestätigte Steffis Aussage mit einem zustimmenden Nicken und legte lächelnd seine Hand auf meine Schulter: "Warum sollten wir ein Problem damit haben, dass ihr zusammen seid? Liebe ist etwas schönes."

Ich spürte, wie sich Johannes' Griff etwas lockerte und im Augenwinkel konnte ich erkennen, wie er langsam dem Blick hob: "Danke", flüsterte er. So etwas wie ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und er hatte einen so starken Ausdruck von Dankbarkeit in seinen Augen, dass diese sich umso mehr auch auf mich übertrug. Nicci war die einzige, die noch gar nichts gesagt hatte; sie starrte durchgängig fassungslos in Johannes' Gesicht. Alle schauten sie erwartungsvoll an, doch in ihren Augen erkannte man mehr und mehr Wut.
Plötzlich fand ihre flache Hand Johannes' Wange mit einem so raschem Tempo, dass sein Gesicht - begleitet von einem lauten Schallen - zur Seite schnellte: "Du egoistisches Arschloch."

_____________________________
Ich musste es einfach jetzt schon raushauen, meh

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt