Kapitel 92

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Rick und ich hatten uns erst spät in der Nacht dazu entschlossen, endlich zu schlafen, was ihm zumindest relativ schnell gelang, bei mir allerdings dauerte, bis die ersten Sonnenstrahlen bereits in mein Schlafzimmer fielen. Die kleine Auseinandersetzung von eben aus dem Auto schien Rick zwar tatsächlich wieder vergessen zu haben, doch mich beschäftigte sie seltsamerweise. Ich mochte Rick; er war ein anständiger, freundlicher, witziger Mann, der sich jedoch zu viel von mir erhoffte. Ich verletzte ihn mit jedem Treffen ein Stückchen mehr, doch - so hart wie es vielleicht klingen mag - er ließ sich auch verletzen. Weil Verliebtheit blind und naiv machte und er irgendwo in sich drinnen die leise Hoffnung hatte, dass ich mich auch eines Tages in ihn verlieben würde, wenn wir nur oft genug miteinander schlafen. Ich hatte ihn immer in den Glauben gelassen, weil ich diese Affäre, die für mich eine lockere Absicherung war, nicht verlieren wollte.
Doch in dieser Nacht bekam ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen - vielleicht lag es an dem verwirrenden Wortwechsel zwischen Johannes und mir, der sämtliches in mir durcheinander gebracht hatte, obwohl er doch eigentlich so harmlos und friedlich war. Vielleicht lag ja genau da das Problem.
Jedenfalls sah ich, während Rick neben mir tief und fest schlief und ich meinen Gedanken nachhing, endlich ein, dass ich mich ihm gegenüber unfair und wie ein narzisstischer Arsch verhalten hatte.

"Scheiße", war das erste, was mich nach wenigen Stunden schon wieder auf dem Schlaf riss. Ich blinzelte ein paar mal, bevor ich meine Augen endgültig öffnen konnte und Rick entdeckte, der sich mit gequältem Gesichtsausdruck hochdrückte, ehe er sich mit dem Gesicht voran kraftlos wieder ins Kissen fallen ließ.
"Dir auch einen wunderschönen guten Morgen", grummelte ich in die Bettdecke und rieb mir über die Augen.
"Verdammt, ich hab's so übertrieben." - "Du bist scheinbar auch nicht mehr der Jüngste", zog ich ihn gähnend auf, was mir einen gespielt bösen Blick einbrachte: "Immerhin neun Jahre jünger als du, alter Sack." Ich lachte auf und schlug dem Blonden spielerisch gegen den Oberarm: "Der alte Sack hat dir letzte Nacht provisorisch etwas gegen deinen Kater auf den Nachttisch gelegt, also sei lieber nett zu mir, bevor ich's dir wieder wegnehme."
Ich hatte den Satz nicht mal zu Ende ausgesprochen, da stürzte Rick sich quasi schon auf die Aspirin und die Tablette gegen Übelkeit, was mich schmunzelnd mit dem Kopf schütteln ließ.

"Du siehst müde aus", stellte er fest, nachdem er eben ins Bad verschwunden war und nun wieder zurück unter die Bettdecke kroch. "Schlecht geschlafen?" - "Ich hab' viel nachgedacht", gestand ich ehrlich und Rick sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: "Über was?"
Ich fuhr mir seufzend durch die Haare und setzte mich anschließend auf: "Über uns."
Überraschung spiegelte sich in seinem Gesicht wieder und ich glaubte, einen kleinen Funken Hoffnung in seinen Augen schimmern zu sehen.
"Du weißt von meiner letzten Beziehung", begann ich und ließ den Satz dabei beinahe wie eine Frage klingen, obwohl ich die Antwort kannte.

Nachdem Rick erfahren hatte, wer ich bin und in welcher Band ich spielte, ist ihm auch unser Outing von damals wieder in den Sinn gekommen, das er ganz blass in Erinnerung gehabt hatte. Er war verwundert gewesen, als er verstand, dass Johannes und ich allem Anschein nach getrennt waren, hatte mir aber hoch und heilig versprochen, darüber mit niemanden zu reden. Ich vertraute ihm. Ich hatte ihm ein wenig von unserer Beziehung erzählt, ihm auch angeboten, dass er ruhigen Gewissens über uns recherchieren könne, wenn er wollte, und ihm auch so kurz und knapp wie nur irgend möglich den Grund für unsere Trennung erklärt. Es tat gut, mit jemand außenstehendem zu reden.

"Ja... Wieso?" Er wirkte nervös; fast so, als hätte er Angst, ich würde ihm jetzt erzählen, dass wir das zwischen uns beenden müssten, weil sich wieder etwas mit meinem Ex anbahnte.
"Ich... Ich bin einfach noch nicht über Johannes hinweg und ich kann dir nicht garantieren, dass ich das überhaupt jemals sein werde. Ich bin nicht bereit für eine neu–" - "Okay, Jakob; Stopp", lachte Rick und ich sah ihn verzweifelt und zugleich irritiert an. "Das weiß ich doch alles. Wir haben da zwar nie direkt drüber geredet, aber... Ich bin doch auch nicht blöd. Ich akzeptiere das vollkommen." - "Sicher? Es ist so, wie es ist, in Ordnung für dich?"
Er brach für einen kurzen Moment den Augenkontakt ab, ließ seinen Blick über das Muster meiner Bettdecke schweifen und sah dann wieder zu mir. Er zog seine Mundwinkel ein kleines Stück nach oben und nickte: "Klar."

So ganz konnte ich das Rick nicht abkaufen, doch ich ließ es einfach so stehen, weil ein ernstes Gespräch wahrscheinlich zu genau dem demselben Ziel geführt hätte und ich schlicht und ergreifend keinen Kopf dafür hatte: "Okay. Gut."
Er nickte erneut zustimmend, während ein erzwungenes Lächeln sein schmales Gesicht zierte. Er war viel zu durchschaubar für mich, denn ich war früher ganz genauso wie er. Ich wusste also, was ungefähr in ihm vorgehen musste, während er versuchte, mir einzureden, dass er glücklich mit unserer Affäre war. Doch wie gesagt; ich hatte einfach nicht die Kraft, mich damit nun auseinanderzusetzen. Da war zu viel Johannes-Chaos in meinem Kopf, das dringend beseitig werden musste.

"Also", wechselte ich deswegen mit einem dreckigen Grinsen das Thema. "Bevor ich ins Studio muss, spring ich nochmal unter die Dusche. Wenn du mitkommst, spendiere ich dir gleich noch schnell 'n Coffee to go." - "Klingt nach 'ner fairen Abmachung", lachte Rick auf, schlug seine Bettdecke beiseite und zog mich prompt an meinem Handgelenk von der Matratze und hinter sich her in mein Badezimmer.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt