Kapitel 13

403 21 3
                                    

Ich blieb alleine zurück in meiner Wohnung, fühlte mich einsam und wusste nicht, ob ich sauer, enttäuscht oder traurig sein sollte. Habe ich mir das etwa wirklich nur eingebildet oder war da letzte Nacht doch mehr, als der Alkohol, im Spiel? Ich hätte schwören können, dass Johannes von den immer intensiver werdenden Küssen alles andere als abgeneigt war. Aber wieso behandelte er mich dann so mies?
Ich ging duschen und putzte mir gefühlte Ewigkeiten die Zähne, um seine Berührungen und seine Küsse weder spüren, noch schmecken zu können. Ich musste alles an diesen Abend vergessen - ich wollte es zwar nicht, dennoch war es das beste.

Mich immer noch fragend, was in Johannes' Kopf vorgehen musste, entschloss ich mich am Nachmittag dazu, einen Spaziergang zu machen; in der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen. Geschlagene zwei Stunden lief ich nun durchs kalte Hamburg, versuchte, möglichst unerkannt zu bleiben, da sich Fans sicherlich nicht über ein Foto mit einem traurig und müde aussehenden Drummer freuten, doch von Ablenkung war nichts zu spüren. Stattdessen fand ich mich am Ende tatsächlich vor Johannes' und Annas Wohnung wieder.
Mein Finger wanderte zur Klingel, doch ich zog kurz vorher zurück. Vielleicht sollte ich ein paar Tage Abstand wirklich akzeptieren. Ich steckte meine Hand zurück in meine Manteltasche, drehte mich um und erschrak, als ich Johannes nur wenige Zentimeter von mir entfernt stehen sah: "War ich heute morgen nicht deutlich genug?" Seine finstere Miene machte mir Angst. Seine Haare lagen noch genau, wie vor ein paar Stunden und die Schatten unter seinen Augen waren nur noch dunkler; er war noch nicht zuhause gewesen, seitdem er aus meiner Wohnung gestürmt ist.
Da ich nicht antwortete, zückte er seinen Schlüssel und ging an mir vorbei zur Haustür.
"Warum bist du so?", platzte es aus mir. Er drehte sich wieder zu mir um und sah mich genervt an: "Was meinst du?" - "Du redest mit mir in einem Tonfall, den du schon längst abgelegt hattest. Du tust so, als wärst du was besseres, aber ich versteh nicht, was ich dir getan haben soll." Er schnaubte verächtlich und wandte sich wieder der Tür zu, in die er gerade den Schlüssel stecken wollte, doch ich packte ihn am Arm: "Rede mit mir!", forderte ich ihn auf, er ließ den Schlüssel fallen und mit einer Bewegung packte er mich an den Kragen meines Mantels und drückte mich gegen die Hauswand: "Was willst du hören, Jakob? Wir haben uns letzte Nacht geküsst, und? Wir waren betrunken. Das hatte rein gar nichts zu bedeuten!" - "Und was soll diese Show dann? Wenn es nichts bedeuten würde, dann könnten wir doch normal miteinander  umgehen." Sein Griff wurde fester, ich spürte jeden einzelnen Ziegelstein in meinem Rücken und Johannes' Atem wurde immer flacher; man sah, wie er innerlich kochte.
"Johannes, du machst mir Angst", sagte ich mit zittriger Stimme. Ruckartig ließ er mich los und ging einen Schritt nach hinten; in seinen Augen sah ich, dass er über seiner eigenen Art erschrocken war.

"Lass mich doch einfach ein paar Tage in Ruhe. Bitte, Jakob." Auf einmal klang seine Stimme wieder so sanft und vertraut, dass ich meine aufkommende Wut fast vergaß, doch ich wollte Antworten. Antworten auf sein Verhalten, das in keinerlei Hinsicht zu seinen Aussagen passte. Wenn diese Küsse nur Produkte von zu viel Alkohol waren, dann sollte er dazu stehen und gegebenenfalls darüber lachen können. Aber mir aus dem Weg gehen, mich grob anfassen und mit mir so kalt und herablassend zu sprechen, war einfach nicht das passende.
"Nein, zuerst bist du ehrlich zu mir. Diese Küsse waren nicht bedeutungslos, oder?" Johannes sah mich mit einem verletzten Blick an. Seine Augen schweiften unsicher zwischen meinen hin und her, doch dann sah ich, wie sich eine Mischung von Trauer und Wut in ihm anbahnte.

Er wollte gerade etwas sagen, als die Tür neben uns aufging und Anna da stand: "Hey, da hab ich ja eure Stimmen ja richtig erkannt", grinste sie und kam mit offenen Armen auf mich zu: "Alles Liebe nachträglich, Jakob! Süß, dass du Johannes nach Hause begleitet hast. Wieder nüchtern? Kein Kater?", fragte sie schmunzelnd in die Richtung ihres Freundes.
Wir beide standen wie gelähmt da. Johannes löste sich als erster aus seiner Starre, indem er mir zuerst einen letzten finsteren Blick zuwarf und Anna schließlich an sich ranzog, um sie zu küssen: "Wenn ich dich sehe, kann es mir ja nur gut gehen", sagte er, ehe er seine Lippen erneut auf ihre legte und sie vor meinen Augen leidenschaftlich küsste.
"Was ist denn mit dir los?", lachte sie und Johannes zuckte mit seinen Schultern, legte beiläufig seine Hände auf ihren Hintern und flüsterte mit verführerischer Stimme: "Lass uns rein; es ist kalt und ich habe dich letzte Nacht schrecklich vermisst - ich habe etwas gut zu machen."
Ich konnte es kaum glauben und presste meine Lippen fest aufeinander. Anna lief etwas rot an; wahrscheinlich war es ihr unangenehm, dass Johannes so etwas sagte, während jemand daneben stand. Sie lächelte schließlich und küsste ihn, schnappte sich seine Hand und zog ihn hinter sich her: "Wir sehen uns, Jakob", sagte sie noch hastig, bevor sie ins Haus verschwand, dicht gefolgt von Johannes, der noch einmal die Gelegenheit nutzte, um mein Herz mit seinem Blick in tausend Stücke zu zerreißen.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt