Kapitel 63

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"He! Wo wollt ihr denn hin?", rief Kris mir und Johannes hinterher, als wir sturzbetrunken und Arm in Arm aus dem Club taumelten, in dem wir die letzten Stunden ausgelassen gefeiert hatten. "Nach Hause, Hüni. Ins Bett", erklärte ich nuschelnd, während ich mich umdrehte, und kurz darauf schlang Johannes von hinten seine Arme um mich und verteilte Küsse an meinem Hals entlang. Kris verzog irritiert das Gesicht, bis ihm wohl von alleine einleuchtete, warum wir jetzt schon fahren wollten, obwohl es erst halb fünf morgens war und wir eigentlich noch topfit waren. "Naja, da ihr euch so vorbildlich an unsere Kein Sex im Tourbus Regel gehalten habt, habt ihr zwei..." Er unterbrach und tippte mit seinem Zeigefinger zuerst auf Johannes' Stirn und anschließend auf meine Brust, wobei er so viel Kraft hatte, dass ich fast mein Gleichgewicht verlor. "...meine persönliche Erlaubnis, jetzt nach Hause zu fahren und so viel Spaß zu haben, wie ihr wollt." Sein typisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während mir seine gewaltige Alkoholfahne entgegenschlug und Johannes hinter mir zu kichern begann. Auch ich musste schmunzeln, weshalb Kris verdutzt zwischen uns hin und her sah: "Was ist?" - "Ganz so vorbildlich waren wir dann doch nicht", lallte Jo und unserem Freund klappte die Kinnlade 'runter: "Wann?" - "Nach dem Konzert in Frankfurt." Er schnappte nach Luft, bevor er ohne weiteres auf Absatz kehrt machte und zurück Richtung Club torkelte. Wir schauten ihm lachend hinterher, als er abrupt wieder umdrehte und schnellen Schrittes auf uns zustürmte: "Erst in meinem Proberaum auf meiner Couch und jetzt treibt ihr es trotz Verbot in unserem Tourbus?!" Würde er bei seinem Wutausbruch auch nur ansatzweise still stehen, statt hin und her zu schwanken, und nicht lallen, hätten Johannes und ich ihn vielleicht sogar ernst genommen. Doch da wir beide ebenfalls viel zu viel getrunken hatten, verfielen wir nur in ein lautes Gelächter, was Kris nur noch wütender machte: "Ihr seid die schlechtesten besten Freunde auf der ganzen Welt!" Trotzig machte er sich wieder auf den Weg ins Warme, doch kurz vor der Tür, drehte er sich noch ein letztes Mal zu uns um: "Und trotzdem liebe ich euch! Ihr Penner!", schrie er, ehe er zurück in den Club huschte und Jo und ich uns ein Taxi riefen, um nach Hause zu kommen.

Die Luft einige Zeit später im Schlafzimmer war stickig, als Johannes meinen verschwitzten Körper in seine Arme zog und mir einen Kuss auf die Stirn drückte. Der Himmel draußen wurde bereits hell, sodass etwas Licht durch die nur halb 'runtergelassenen Jalousien gespendet wurde. "Wann wollen wir eigentlich zu deinen Eltern?", fragte ich immer noch leicht lallend und verteilte anschließend Küsschen auf Jo's Unterarm. "Ernsthaft? Du denkst nach diesem Sex mit mir gerade wirklich an meine Eltern?" Er klang tatsächlich etwas in seinem Stolz gekränkt, weshalb ich stumm vor mich hin schmunzelte und abwartete, bis sein kurzzeitig gebrochenes Herz wieder verheilt war: "Aber wie wäre es mit Mittwoch? Da steht - soweit ich weiß - nichts an." - "Klingt gut", nuschelte ich und schmiegte mich noch enger an ihn. Wir waren immer noch viel zu wach, um jetzt einfach zu schlafen, was unter anderem auch daran lag, dass GQ unser Interview in wenigen Stunden veröffentlichen würde und je näher das rückte, desto größer wurde unsere Angst - doch keiner sprach es an.
Ich setzte mich auf und fuhr Johannes durch seine feuchten Haare, ehe ich meine Hand an seiner Wange legte und mich vorbeugte, um ihn zu küssen. Ich schmeckte immer noch den vielen Alkohol auf Johannes' Lippen, doch da wir beide ungefähr gleich betrunken waren, störte es mich nicht im geringsten. "Schlaf schön", flüsterte ich schließlich, ehe ich mich wegdrehte, und kurz darauf rückte Jo sich hinter mich und legte seinen Arm um mich. Er drückte mir noch einen Kuss in den Nacken und nuschelte ein "Du auch", bevor wir endgültig in Schweigen verfielen.

Ich bekam kaum ein Auge zu und ich vermute, dass es Johannes ähnlich ging. Immer wieder wälzte er sich hin und her, während ich es sogar mit Schäfchen zählen versuchte - vergebens. Vollkommen übermüdet rafften wir beide uns gegen späten Mittag dann endlich auf, schlüpften in bequeme Sachen und setzten uns mit zwei Tassen Kaffee an den Küchentisch. Das Interview wurde bereits um 11 Uhr online gestellt und Johannes und ich starrten stumm auf das iPad, welches zwischen uns auf dem Tisch lag.
"Das ist doch lächerlich", murmelte Jo irgendwann und fuhr sich seufzend durch die Haare. Ich runzelte irritiert die Stirn, ehe er weiterredete: "Wir haben uns dafür entschlossen, unsere Beziehung öffentlich zu machen, und jetzt, wo sie das ist, trauen wir uns weder den aufklärenden Artikel darüber, noch die Reaktionen darauf zu lesen. Das ist lächerlich." Noch bevor ich irgendetwas dazu hätte sagen können, griff Johannes nach dem iPad, entsperrte es und rief die Seite auf. "Soll ich vorlesen oder willst du?" Ich schluckte und streckte meine Hand aus.

»Wir wollen uns nicht verstecken.«
Wenn ein Fotoshooting große Gefühle auslöst

Im Dezember nahmen Sänger Johannes Strate und Schlagzeuger Jakob Sinn von der Band Revolverheld an der GQ #Mundpropaganda Aktion teil, wo sie über Homosexualität in der Öffentlichkeit sprachen und für die Kamera ein paar Küsse austauschten. Genau diese Küsse waren es, die viele Gefühle offenbarten und die beiden Musiker letztendlich dazu brachten, uns vor wenigen Tagen in ihr womöglich größtes Geheimnis einzuweihen.
»Wir wollen uns nicht verstecken und hoffen darauf, auch anderen etwas Mut zu machen«, ist dabei wohl der ausschlaggebendste Grund und die wichtigste Aussage, für und während des Interviews. Seit über zwei Monaten sind Johannes und Jakob nun ein Paar und jetzt sprachen sie mit uns darüber, wie sich alles entwickelt hat und was für Veränderungen ihre Beziehung mit sich brachte.

"...und dann kommt da noch das ganze Interview", murmelte ich gedankenverloren und scrollte etwas weiter nach unten. "Und am Ende noch ein paar Glückwünsche und das Schlusswort." - "Zeig' mal her." Ich reichte Johannes das iPad und er las sich selbst die letzten Zeilen durch, bevor auch er nochmal nach ganz oben scrollte und anerkennend die Augenbrauen hochzog: "Mh, ist'n gutes Foto geworden", schmunzelte er und zeigte mir noch einmal das Bild von ihm und mir, was während des Interviews entstanden ist. Als ich nicht - wie von ihm erhofft - mit einem Lachen antwortete, rückte Jo mit seinem Stuhl neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern: "Hey... Die ersten Kommentare dadrunter sind größtenteils auch echt positiv. Wir warten jetzt erstmal ab, was in den nächsten Tagen so passiert und dann haben wir es auch schon geschafft." - "Wir haben schon schlimmeres überstanden", lächelte ich selbstbewusst, griff nach seiner Hand und verschränkte unsere Finger miteinander.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt