Kapitel 40

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Niels sah, nachdem er ebenfalls Johannes hinter sich bemerkt hatte, kurz zwischen uns hin und her und klopfte mir nochmal leicht auf die Schulter: "Ich geh mal wieder rein. Kommt ihr später nach? Eine kurze Pause tut uns allen wohl mal ganz gut." Johannes nickte bloß und richtete anschließend seinen Blick wieder auf mich. Er wartete noch kurz, bis er die Tür ins Schloss fallen hörte und kam dann einen Schritt auf mich zu.

"Hast du uns belauscht?", kam ich ihm zuvor, als er gerade den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Er zuckte mit den Schultern, hatte allerdings nicht einen Hauch schlechtes Gewissen in seinem Ausdruck: "Wieso redest du nicht gleich mit mir über so etwas? Wieso muss ich denn auf solchem Wege erfahren, dass dich solche Gedanken quälen?" Johannes klang besorgt und gleichzeitig ein wenig wütend. Ich senkte beschämt den Blick und fuhr mir durch die Haare, ehe Johannes noch einen Schritt auf mich zukam und meine Hände in seine nahm: "Ich hab' dich in den letzten Tagen immer wieder gefragt, ob alles in Ordnung ist; ich hab' doch gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wieso redest du denn nicht mit mir?" - "Wie soll ich denn mit dir darüber reden, wenn dein Blick mir das Herz zerreißt, wenn das Thema Baby auf den Tisch kommt?" Ich sah auf und schaute direkt in das tiefe Braun seiner fesselnden Augen, die mich mit einem undefinierbaren Ausdruck in sich musterten. Er schwieg, wusste scheinbar nicht, was er antworten sollte und suchte nach den passenden Worten.

"Sei ehrlich; du hast doch bestimmt auch schon einmal darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn wir uns nie geküsst hätten." - "Natürlich habe ich das", murmelte der Sänger. "Und?", hakte ich nach, woraufhin Johannes nachdenklich in der Gegend herum sah. "Ich wäre wahrscheinlich noch mit Anna zusammen, wir würden ein Kind erwarten, das ich mir schon seit Ewigkeiten wünsche, und vermutlich wäre mein Leben ein wenig einfacher, als es das jetzt momentan ist." Auch, wenn das genauso das war, was ich mir auch gedacht hatte, trafen mich diese Worte aus Johannes' Mund wie ein Schlag in mein Gesicht, eine Faust in meiner Magengrube und ein Messer in meinem Herzen. Ich schluckte schwer und verbot den Tränen, die in meinen Augen brannten, über meine Wangen zu rollen: "Genau", brachte ich mit zittriger Stimme zu Stande. "Man kann nichts mehr daran ändern. Man kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen und das alles geschehen lassen. Aber ich bin der Verursacher für das Leid, das so viele Menschen erlitten haben; ganz besonders du, was mich selbst zerstört." - "Jay, worauf willst du hinaus?", fragte Johannes besorgt, während seine Augen zwischen meinen hin und her sprangen und er meine Hände immer noch fest in seinen hielt. Ich wich seinem Blick aus und starrte stattdessen auf den verdreckten grauen Bordstein, der sich unter uns erstreckte.
"Vielleicht...", begann ich, nachdem ich einmal tief Luft geholt hatte. "Vielleicht hat das alles zwischen uns keinen Zweck. Was bringt das alles, wenn ich so ein Unglück mit mir bringe?" Die Worte strömten unkontrolliert aus mir heraus; ich hatte gar keine Chance, darüber nachzudenken, was ich da gerade sagte. "Alles, was ich mir für dich wünsche, ist, dass du glücklich bist. Dass du nicht andauernd nachts weinst oder vor Albträume aufschreckst. Du sollst jemanden finden, mit dem auch der Beginn wunderschön ist und nicht schon am Anfang alles kompliziert und schwer ist." Ich brachte es nicht über's Herz, Johannes während meines Redeschwalls anzusehen. Ich spürte den Griff um meine Hände, der sich nach und nach löste: "Heißt das...Schmeißt du gerade alles hin?" Johannes' Stimme brach am Ende des Satzes und ich verschränkte meine Arme vor meiner Brust: "Es tut mir leid. Alles. Ich will auch nicht, dass wir uns jetzt nicht mal mehr ansehen können, aber ich glaube, eine Trennung ist die beste Lösung. Die beste Lösung für dich."
Ich traute mich doch kurz in sein Gesicht zu schauen, das mich ungläubig und verletzt anstarrte. Ich drückte mich an dem stummen Johannes vorbei, der wie angewurzelt stehen blieb und betrat wieder das Gebäude.

"Das kann nicht dein Ernst sein!", rief er mir in dem Flur, von welchem man aus in die Proberäume der einzelnen Bandmitglieder und in unseren 'Hauptproberaum' gelangen kann, wütend hinterher, als er sich scheinbar aus seiner Starre gelöst hatte. Ich blieb prompt stehen und ließ mich einholen. Johannes stellte sich vor mich: "Jay..." Seine Stimme klang einfühlsam und plötzlich viel weicher, als vor wenigen Sekunden noch. Er verharrte kurz stumm vor mir, ehe er mir tief in meine Augen sah, während aus seinen vereinzelte Tränen liefen: "Ja, vielleicht ist das alles hier nicht das, was ich mir immer vorgestellt habe. Und ja, vielleicht war der Großteil unserer bisherigen Beziehung eher hart und kompliziert, aber...Die besten Momente habe ich mit dir. Ich hab' schon vollkommen vergessen, wie es ist, ohne dich zu sein. Und ich will es auch gar nicht mehr wissen. Du bist seit Jahren ein Teil meines Lebens und seit einigen Wochen mehr denn je. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass die letzte Zeit einfach gewesen ist oder dass ich mir dieses Kind nie gewünscht hab und mich der Verlust überhaupt nicht getroffen hat. Aber, ob du es mir glauben willst oder nicht: Du bist das, was mich glücklich macht. Wenn ich dir in deine Augen sehe, weiß ich, dass ich dort bin, wo ich hingehöre. Und dass wir alles richtig gemacht haben."

Zögerlich kam er noch mehr auf mich zu, legte seine linke Hand sanft an meine Wange und lehnte seine Stirn gegen meine, sodass ich seinen warmen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. Erst, als er mir mit seinem Daumen die Tränen aus meinem Gesicht wischte, bemerkte ich, dass ich weinte. Es waren Tränen, die aus einer Mischung von Selbsthass, Trauer, Verzweiflung und Rührung entstanden sind und nun kontinuierlich aus meinen Augen flossen. Ich war nicht in der Lage, irgendwie zu reagieren, doch in Johannes' Ausdruck erkannte ich sowieso, dass ihm noch etwas auf dem Herzen lag.

"Ich liebe dich, Jay", flüsterte er nach einer Ewigkeit, in der wir uns schweigend vor unserem Proberaum ganz nah gegenüberstanden; seine Hand an meiner Wange, sein Atem auf meinen Lippen, seine Augen auf meine fixiert. "Es gibt nichts, das ich mehr liebe, als dich, verstehst du? Und genau deswegen, kann dieses uns auch gar nicht falsch sein. Ich liebe dich." Seine Worte hallten immer und immer wieder in meinem Kopf wieder und ich konnte fast gar nicht glauben, was er da gerade alles von sich gegeben hat. Ich konnte mir ein ehrliches Lächeln nicht verkneifen und scheinbar ließ dies Johannes' Angst vor einer negativen Reaktion meinerseits etwas lindern, denn man sah ihm direkt an, wie er sich etwas entspannte.
"Ich liebe dich auch", hauchte ich irgendwann und platzierte nun meine Hände an seiner Hüfte, um noch den restlichen kleinen Abstand zwischen uns zu vernichten und ihn direkt innig zu küssen. "Ich liebe dich", wiederholte ich immer wieder, während die Küsse intensiver wurden und Johannes mich gegen eine Tür drückte. Eben waren seine Worte noch so liebevoll, seine Stimme noch so weich und seine Berührungen so sanft und jetzt waren seine Küsse so hart und fordernd. Er griff in meine Haare und presste sich so fest an mich, dass wirklich kein Blatt Papier mehr zwischen uns gepasst hätte und ich nach einigen Sekunden auch schon spürte, wie sich etwas in seiner Lendengegend regte, während Johannes' freie Hand unter mein Shirt glitt. Meine Finger bohrten sich schon fast in seine Hüfte, die ich so noch enger an meine drückte, was Johannes leise aufstöhnen ließ.
Mit zittriger Hand tastete ich neben mir nach dem Griff der Tür, öffnete diese und zog Johannes hinter mir her in den Raum.
Dass wir uns nur wenig später knutschend und schon fast komplett nackt auf dem Sofa in Kris' Proberaum wiederfanden, war uns egal. Alles war in diesem Moment egal, abgesehen von der Tatsache, dass wir uns liebten und uns wollten. Es gab einfach nur noch uns.

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Ich wollte eigentlich einen fiesen Cut einfügen, aber meh, ich hab's gelassen 💁🏻

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt