Kapitel 41

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"Wir sollten wieder rüber", keuchte Johannes, als er sich gerade außer Atem neben mich fallen ließ. "Da hast du wohl leider Recht", murmelte ich, rutschte noch einmal kurz auf ihn und küsste ihn. Wir zogen uns an, ich fuhr mit meinen Händen noch schnell durch Johannes' Haare, bis sie wenigstens ansatzweise so aussahen, wie noch vor wenigen Minuten: "Das kannst du dir sparen; dein Hals sieht schrecklich aus", grinste er und hielt mir sein Handy hin. In dem ausgeschalteten Display spiegelten sich die vielen großen Knutschflecke, die auf meinem Hals prangten. Entgeistert sah ich Johannes an, der lediglich frech grinste: "Es macht mir einfach zu viel Spaß bei dir", erklärte er unschuldig schulterzuckend, drückte mir noch einen Kuss auf die Lippen und zog mich dann aus dem Raum. Wir sahen uns auf dem Flur um und steuerten dann auf unseren Bandproberaum zu, in dem wir eben noch geprobt hatten, bis ich rausgestürmt war.

Niels, Chris und Arne schauten uns mit hochgezogenen Augenbrauen an, schwiegen jedoch mit einem dicken Schmunzeln im Gesicht. "Ich muss mir 'n neuen Proberaum suchen", murmelte Kris hingegen verstört, nachdem er meinen Hals gemustert hatte, sich schließlich auf seinen Hocker fallen ließ und einfach nur geradeaus starrte.
"Den Geräuschen nach zu beurteilen, hattet ihr draußen wohl einen ziemlich heftigen Streit, aber die Versöhnung verlief wohl...ziemlich schnell und gut", grinste Niels frech und Arne musste sich gemeinsam mit Chris ein Lachen verkneifen: "Dafür, dass das für euch beide die erste Beziehung mit einem Mann ist, scheint's im Bett wohl sehr gut zu laufen...oder auf Kris' Sofa", ergänzte der Bassist und prustete dabei dann doch laut los, während Johannes und ich knallrot anliefen. Wir wussten zwar, dass wir relativ laut waren, aber dass man es einen Raum weiter hörte, obwohl hier alles schalldicht isoliert war, konnten wir nun wirklich nicht ahnen und am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Die Sprüche der anderen für die nächsten Tage waren uns gesichert.
"Das ist nicht witzig. Das kam aus meinem Proberaum. Karli spielt da manchmal drin. Ich... Ich werde jetzt immer Kopfkino haben, wenn ich da drin bin." - "Ach, du bist doch sonst nicht so prüde, Hünecke", lachte Niels und wuschelte seinem besten Freund dabei durch die Haare. "Wir wollen gar nicht wissen, was du und Steffi schon da..." - "Nichts dergleichen!", unterbrach Kris ihn.

"Habt ihr's dann mal? Oder wollt ihr noch eine Therapiegruppe für Kris eröffnen?" Johannes bemühte sich, möglichst ernst und genervt zu klingen. Allerdings merkte man deutlich, dass ihm die Situation einfach nur furchtbar unangenehm war und er vom Thema ablenken wollte, wofür ich ihm wirklich dankbar war. "Also, wenn ich mir den so angucke, sollten wir es heute lassen und einfach morgen weiter machen?", schmunzelte Arne mit einer Kopfbewegung in Kris' Richtung. Dieser erhob sich und verschwand mit den Worten "Ich brauch' 'n Bier" aus dem Raum.
Lachend folgten wir ihn in eine Bar, in der wir öfter mal nach einer unserer Proben waren. Es war relativ leer und so konnten wir uns an unseren Stammtisch setzen. Johannes und Niels holten die ersten Runde und damit begann ein langer Abend mit einer Menge Alkohol.

Nach nur wenigen Stunden, ein paar Bier und zu vielen Kurzen, hatte Kris sein kurz zuvor aufgetretenes Trauma scheinbar schon wieder vergessen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann wir sechs das letzte mal alle zusammen so betrunken gewesen sind. Auch bevor Chris und Arne mit dabei waren, waren wir restlichen vier wahrscheinlich nur selten so dicht gewesen, wie an diesem Abend. Wir unterhielten uns über jedes belanglose Banalität, während Johannes - vollkommen abgedriftet mit seinen Gedanken - wieder leise vor sich her zählte. Als er bei 116 ankam, unterbrach Kris ihn lallend: "Ok, ihr zwei", begann er und stützte sich mit dem Unterarm auf meiner Schulter ab. "Wie genau läuft sowas eigentlich bei euch?" Er hatte Schluckauf und anhand seiner Augen, die er fest zusammenkniff, ließ sich vermuten, dass er nur noch verschwommen sah. Wir antworteten einfach nicht, doch Kris hatte noch gefühlt einhundert weitere Fragen, die unter die Gürtellinie gingen und bei denen spätestens jetzt klar wurde, dass definitiv zu viel Alkohol geflossen ist. Auch die anderen drei warteten neugierig auf irgendwelche Antworten - scheinbar waren sie ganz froh, dass sich wenigstens einer mal traute, die Fragen auszusprechen, die sie alle offensichtlich brennend interessierten.

Zum Glück wurde es Kris ohne Antworten dann doch ziemlich schnell langweilig und das Thema wurde endlich gewechselt. Während wir lautstark darüber diskutierten, wer mehr Alkohol vertragen würde - wobei unser Zustand Beweis genug dafür war, dass wir alle nicht mehr die Jüngsten waren und längst genug hatten - lehnte sich Kris wieder zu meinem Ohr 'rüber. Wahrscheinlich wollte er flüstern, doch jeder Anwesende konnte seine gelallten Worte klar und deutlich verstehen - zumindest akustisch: "Würdest du mich auch mal küssen? Ich mein' ja nur...Mich würde das auch mal interessieren, wie das so ist." - "Kris!", lachte Niels und jener erhielt von Arne stellvertretend für Niels einen Schlag gegen den Hinterkopf: "Sein Freund sitzt daneben!" - "Meinetwegen kann Jo mich auch küssen. Es geht mir lediglich ums Prinzip!", wehrte er sich und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und was spricht dann dagegen, dass ich dich küsse? Immerhin bin ich dein bester Freund!" Niels klang so ernst dabei, dass ich ehrlich gesagt nicht wusste, ob er nicht wirklich ein kleinen wenig beleidigt war. Auch er verschränkte trotzig die Arme und Chris, Johannes, Arne und ich verfielen in lautes Gelächter.

"Das ist nicht witzig", murmelte Kris frustriert neben mir. Johannes stieß mir sanft in die Seite und lachte: "Nur zu!" Mein vollkommen vernebeltes Gehirn ließ sich das nicht zweimal sagen, ich drehte mich Kris zu und nahm sein Gesicht in meine Hände: "Du wolltest es so", grinste ich und bevor er auch nur die Chance dazu hatte, irgendwie zu reagieren, lagen meine Lippen auf seinen. Anders, als bei den ersten Küssen mit Johannes damals beim Shooting, war ich alles andere als zimperlich, glitt mit meiner Zunge direkt in Kris' Mund und er machte sofort mit. Da ich mindestens genauso viel getrunken hatte, wie er, schmeckte ich nur kaum den Mix aus den vielen alkoholischen Getränken.
Es fühlte sich anderes an, als die Küsse mit Johannes. Ich verspürte kein aufregendes Kribbeln, kein Verlangen nach mehr und kein Feuerwerk auf meinen Lippen. Wahrscheinlich hatte ich deswegen nicht einmal Angst, Johannes könnte das falsch verstehen oder gar eifersüchtig werden.

Dennoch zog er mich nach kurzer Zeit lachend an meiner Schulter zurück und legte direkt demonstrativ seinen Arm um mich: "Das sollte reichen; sonst muss ich mir noch Sorgen machen." Ihm liefen schon vor lauter Lachen Tränen die Wangen hinunter und er versuchte sich, genau wie Chris und Arne, vergebens zu beruhigen: "Damit das nämlich klar ist: Jay gehört mir!" Stolz nickte ich grinsend, ehe ich Johannes Lippen kurz auf meiner Schläfe spürte.
"Ich kann Johannes' Uferwechsel nun ein wenig nachvollziehen, aber ich bleibe doch lieber bei meiner Steffi", bewertete Kris näselnd unsere kurze Knutscherei, weshalb nun auch Niels, der die ganze Zeit über noch einen auf beleidigt getan hatte, in das Gelächter mit einfiel. Wir ernteten schon skeptische Blicke vom Barkeeper, doch wir bestellten einfach noch eine Runde und auch wenn es vermutlich eine blöde Idee war, wurde die Nacht noch viel länger und die Getränke noch wesentlich höher konzentriert.

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Ok, ich finde diese Vorstellung einfach zu gut und musste es schreiben. Gebt's zu; das Bild, das sich vor euren Augen abspielt, ist toll, was?😏

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt