Kapitel 90

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Knapp zwei Wochen später schien mir Johannes' Nähe fast schon erträglich. Jetzt, wo es auch tatsächlich um die Aufnahme unseres Albums ging, hatte ich auch gar keine andere Wahl, als all meine Konzentration auf die Musik zu richten. Ich erlangte meine Selbstkontrolle zurück, reagierte nicht mehr so empfindlich auf sämtliches, das auch nur ansatzweise mit Johannes zusammenhing. Ich war wieder in das Lage, klar zu denken, logisch zu handeln und produktive Vorschläge für unsere Musik zu liefern, auch wenn ich seine Nähe so intensiv spürte. Langsam schien ich wieder der alte Jakob zu werden. Es waren die erste Schritte in Richtung Normalität. In Richtung ehrliches Lächeln. Und es fühlte sich gut an.

Nach einem langen, anstrengenden Tag im stickigen Studio, beendete Sascha endlich den heutigen Aufnahmetermin und verschwand selbst kurz darauf nach Hause, um an diesem Abend noch ein bisschen Zeit mit seiner Familie zu haben. Auch Chris verabschiedete sich direkt und folgte unserem Manager nach draußen, während der Rest sich erschöpft auf die Stühle, die Sessel oder das Sofa im Raum verteilte. Nur ich blieb stehen und verstaute gerade meine Wasserflasche in meinem Rucksack.
"Ich hab' Bierdurst", verkündigte Kris appellierend und im Augenwinkel bemerkte ich sein breites Grinsen und seinen auffordernden Blick in die Runde.
"Natürlich hast du das", murmelte Niels mit geschlossenen Augen und dem auf die Sofalehne gestützten Kopf, weshalb er von seinem besten Freund einen Hieb in die Seite kassierte.

Ich bekam gerade noch den Anfang von Kris' Auflistung der in Frage kommenden Bars mit, als ich plötzlich mehrfach das kurze Vibrieren meines Handys in meiner Hosentasche vernahm, jenes zückte, entsperrte und meine Konzentration auf die Nachrichten richtete, die in Ricks und meinem WhatsApp-Chat nach und nach aufploppten;
Hey Jakobaby
Wo stefkst du?
Bin mitFreubden bowlen
Sind schin den ganzen Tag unterweg
Holst du mich
?
Vielleicht vekommst du dann ja auh eine Belohnung...

Ein kurzes, dreckiges Schmunzeln huschte über mein Gesicht, als ich mir die deutlichen Anspielungen von Rick durchlas, auf denen direkt das Senden seines Standpunktes folgte; er war betrunken, ansonsten würde ausgerechnet er nicht so etwas schreiben - von den ganzen Schreibfehlern in den Nachrichten mal abgesehen. Er war normalerweise viel zu schüchtern und viel zu unsicher für solch Zweideutigkeit. Er hatte bei unseren Treffen auch immer noch jedes Mal aufs neue Angst, irgendetwas falsch zu machen, also musste er wirklich schon einiges intus gehabt haben, um überhaupt auf die Idee gekommen zu sein, etwas dergleichen zu verfassen. Doch es störte mich nicht; ganz im Gegenteil.

Ich biss mir auf die Unterlippe und bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen, während ich "Dann lass dir schon Mal etwas einfallen... Bin in einer Viertelstunde da." zurücktippte.
Als ich von meinem Handy aufblickte und es zurück in meine Hosentasche schob, bemerkte ich erst die abwartenden Blicke von Niels, Arne und Kris auf mir. Lediglich Johannes sah mich anders an; er ahnte, dass ich gerade nicht unbedingt meinem Steuerberater eine E-Mail zurückgesendet hatte. Er kannte mich viel zu gut und konnte allein meine Mimik problemlos deuten. Wie oft hatte er mir früher immerhin schon dreckige Nachrichten geschrieben, während wir im selben Raum waren, und meine Reaktionen darauf studieren können?

Ich ignorierte ihn weitestgehend und zog unschuldig meine Augenbrauen hoch: "Ist was?", fragte ich ahnungslos in die Runde, als die vielen Blicke mich zu irritieren begannen.
"Wir haben dich gefragt, ob du mitkommen willst. Etwas trinken", erklärte Arne mir leicht lachend und ich gab ein fast schon tonloses "Oh" von mir. Ich drehte mich nervös weg und zog mir meine Jacke über: "Tut mir leid, hab' schon andere Pläne." - "Achso?" Ich schaute nur kurz augenrollend zu Kris, welcher mich provozierend ansah, konnte mir ein kurzes Auflachen dann aber doch nicht verkneifen.
"Ich treffe mich mit Rick. Er hat mir gerade geschrieben." - "Der Typ aus der Bar?", hakte Kris - sichtlich stolz auf sich selbst - nach und da er nur von diesem einem Typen wusste, nickte ich einfach.
"Was Ernstes?" Die zögerlich gestellte Frage kam von Johannes, weshalb alle Blicke plötzlich auf ihn landeten. Er selbst starrte weiterhin nur mich an, als würde es in diesem Moment nur ihn und mich geben, und wartete auf eine Antwort.

Ich hätte Jo anlügen und behaupten können, dass Rick und ich so gut wie zusammen waren.
Ich hätte auch ehrlich und direkt sagen können, dass Rick eine Affäre war, wenn ich mal gerade keine Lust darauf hatte, eine Schwulenbar zu besuchen, die ich für gewöhnlich nie alleine verließ. Dass Rick vermutlich mehr für mich empfand und dass ich deswegen nie zu befürchten hatte, er würde mir einen Wunsch abschlagen.
Genauso gut hätte ich Johannes aber auch einfach harsch fragen können, was ihn das angehen würde.

Letztendlich entschied ich mich für ein einfaches, sanftes "Nein".

Er nickte einmal - scheinbar unsicher darüber, ob ihn diese Antwort nun zufrieden stellte. Er schien mit den Gedanken völlig abzudriften, während sich eine unangenehme Stille im Raum ausbreitete. Im Augenwinkel beobachtete ich vor allem, wie unwohl Arne sich fühlte und wie Niels die Situation skeptisch mitverfolgte.
"Vielleicht wird's ja irgendwann was", beendete Johannes schulterzuckend sein Schweigen und lächelte mich dabei vorsichtig und unsicher an. Bevor ich darauf allerdings hätte reagieren können, wandte er sich den anderen dreien zu und forderte sie mit einer Handbewegung auf, aufzustehen: "Dann bleibt heute Abend wohl mehr Bier für uns übrig." Voller Tatendrang griff er sich seine Jacke, legte seinen Arm um Kris' Schultern und verließ zusammen mit dem verdutzten Gitarristen schon mal das Studio.

"Das ist 'n Anfang, oder?" Niels sah mich ermutigend an, doch ich war noch nicht in der Lage dazu, das Vergangene zu beurteilen. Stattdessen atmete ich erstmal schwer aus, fuhr mir durchs Haar und schüttelte ratlos mit dem Kopf: "Ja. Weiß nicht. Gut möglich."

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Kurze Infos;
als allererstes tut es mir schrecklich leid, dass ich momentan wieder so unregelmäßig und selten update, aber das hängt immer von verschiedenen Faktoren ab und ich hoffe, dass mir das niemand übel nimmt🙊
Und für diejenigen, die schon die ganze Zeit auf eine Besserung warten: es wird - so wie mir die zukünftigen Kapitel im Kopf herumschwirren - jetzt wirklich immer weniger traurig, was ich ja schon mit diesem Kapitel hier einleite💁🏻 ich denke aber, dass ihr auch verstehen könnt, dass sowas nunmal nicht von jetzt auf gleich geht 🙈
Und damit ihr euch darauf einstellen könnt, vermute ich mal, dass die Fanfiction am Ende so circa 120 Kapitel hat. Ich kann das ganz schwer einschätzen, wie ich das Geplante von der Länge her umsetzen werde, aber ich denke, an der Zahl könnt ihr euch orientieren 😊
Gute Nacht 💫

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt