Kapitel 5

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Die warmen Sonnenstrahlen, die durch die riesige Fensterfront in Johannes' Wohnzimmer strahlten, kitzelten mich aus dem Schlaf. Wie auch immer das passiert ist, lag ich mittlerweile auf der Couch, Johannes direkt neben mir und mit dem Kopf auf meiner Brust; die Decke über uns beide ausgebreitet. Ich rieb mir die Augen und schob Johannes sanft von mir, um ihn nicht aufzuwecken. Leise und streckend schlich ich in die geräumige Küche, schnappte mir ein Glas und schüttete Orangensaft in dieses, ehe ich ebenso leise, wie zuvor, durch die Wohnung in Johannes Arbeits- bzw. Hobbyzimmer tapste.
Wahrscheinlich war es falsch, aber meine Neugier war einfach zu groß und wenn Johannes mir schon wochenlang seine Pläne vorenthielt, musste ich mir eben selbst die Fragen beantworten, die mich seit gestern Mittag quälten.

Ich setzte mich zunächst auf den Schreibtischstuhl und sah mich in aller Ruhe im Raum um; überall hingen Gitarren, Auszeichnungen und Bilder von unseren Konzerten. Ein altes Ledersofa stand an der Wand gegenüber von der Tür und vom Schreibtisch aus hatte man eine atemberaubend schöne Aussicht auf die Skyline Hamburgs. Nichts, was mir unbekannt war. Ich war schon etliche Male in diesem Raum und doch hatte Johannes es geschafft, seinem besten Freund zu verschweigen, eigene Lieder, die nie und nimmer für Revolverheld gedacht waren, zu schreiben.
Ich legte meine Hand an eine der Schubladen, doch ehe ich sie öffnete, schämte ich mich selber. Was tat ich hier überhaupt? Ich zog meine Hand weg; erschrocken darüber, dass ich wirklich vorhatte, meinem besten Freund hinterherzuschnüffeln. Kopfschüttelnd stand ich auf und stellte mich an das Fenster.

"Genau deswegen bist du mein bester Freund." Ich schreckte um und sah Johannes locker an den Türrahmen angelehnt: "Kannst du den Mist mit dem Anschleichen mal lassen? Das ist grausam!", fuhr ich ihn an und er lachte: "Wer schleicht hier denn still und heimlich durch meine Wohnung und in mein wohl privatestes Zimmer?", entgegnete er frech. Ich senkte den Blick und hatte sofort Gewissensbisse; er hatte recht. Alleine ohne sein Wissen in diesen Raum zu gehen, war falsch. "Du solltest mittlerweile wissen, dass du hier jederzeit reinkannst, Jay. Aber wenn du wirklich die Schubladen durchsucht hättest, hätte ich dir ordentlich die Ohren langziehen müssen", schmunzelte Johannes, kam in den Raum und klopfte mir zwinkernd auf die Schulter. Ich setzte ein Lächeln auf, spürte dennoch, wie mir das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben war.

"Willst du mal was hören?", fragte Johannes vorsichtig und deutete in den Raum. Ich nickte und schlenderte aufs Ledersofa zu. Johannes schnappte sich eine seiner Lieblingsgitarren - ich weiß noch ganz genau, wie wir die zusammen in Berlin gekauft hatten - und setzte sich dann neben mich. Er sah mir nochmal tief in die Augen und atmete tief ein und aus, wie er es sonst immer in den letzten Augenblicken vor einem Konzert tat.
Er begann zu spielen - ein Song, mit dem Titel "Wenn es um uns brennt", wie Johannes mir später verriet. Ich hörte aufmerksam zu und schloss die Augen, während ich Johannes' warmer Stimme lauschte.

"Und?", holte er mich schließlich zurück in die Realität. "Ich weiß jetzt auf jeden Fall, was du gestern bei der Bandbesprechung mit der Aussage 'Die Lieder sind nichts für unsere Band' meintest." - "Also...gefällt es dir gar nicht?", fragte Johannes, der meine Antwort wohl vollkommen falsch verstanden hatte, enttäuscht. "Quatsch! Johannes, das klingt wirklich mega. Ich wusste ja nicht, dass du auch so kannst...", murmelte ich. "Und du hattest Recht; das ist nichts, wozu beispielsweise ein Bass sonderlich gut klingen würde...oder ein Schlagzeug", gab ich schweren Herzens zu und zwang mir ein Lächeln auf.
Johannes seufzte, stellte die Gitarre beiseite und stützte sich mit dem Ellenbogen auf die Lehne ab. Seine braunen Augen musterten kurz mein Gesicht, bevor er sagte: "Jay...du sollst wissen, dass es mir bei der Sache nicht darum geht, euch loszuwerden. Es geht mir darum, mir selbst etwas zu beweisen. Nämlich, dass ich mehr bin, als der Frontsänger von Revolverheld. Du hast mich damals in die Band geholt und, Gott, ich bin dir so dankbar dafür. Das war bisher die beste Zeit meines Lebens. Aber ich frage mich immer wieder, ob ich es alleine auch so weit geschafft hätte."
Ich nickte; ich verstand ihn. Irgendwie.
"Gut. Dann lass uns die anderen mal überzeugen!" Auf Johannes' Gesicht breitete sich ein Strahlen aus: "Danke!", platzte es aus ihm und er umarmte mich, wobei er mir schon fast schmerzhaft auf den Rücken schlug.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt