Kapitel 24

382 21 2
                                    

- wieder Jakobs Sicht -

Johannes und ich lagen noch lange zusammen auf dem Sofa; mal schwiegen wir, dann schauten wir einen Film und dann redeten wir ununterbrochen. Die Streits, die Wut und all das Chaos der letzten Wochen waren vergessen und es fühlte sich unfassbar gut an, dort in Johannes' Armen zu liegen, zu wissen, dass man ihn jederzeit küssen konnte und mit ihm über die banalsten Dinge reden zu können.
Wir schliefen genauso ein; auf wohl einem der unbequemsten Sofas weltweit und doch war es der erholsamste Schlaf, seit Jahren.

Ich wurde durch ein sanftes Streicheln über meiner Brust und meinem Bauch geweckt; ich musste mich im Schlaf aus Johannes' Armen gelöst haben und nun lag ich einfach auf dem Rücken. Ich hielt meine Augen noch für eine kurze Zeit geschlossen, um die aufkommende angenehme Gänsehaut, die sich auf meinem gesamten Körper ausbreitete, zu genießen.
"Guten Morgen, Schlafmütze", nahm ich Johannes' warme Stimme an meinem Ohr wahr, ehe ich seine weichen Lippen auf meinen spüren konnte. Ich musste unwillkürlich lächeln und meine Hand wanderte automatisch hoch, um sie in seinen zausen Haaren zu vergraben. "Guten Morgen", erwiderte ich leise in einem Moment, in dem unsere Lippen nicht aufeinander lagen, nur, um sich direkt danach wieder zu finden.
"Frühstück?", fragte ich schmunzelnd, als sich Johannes' Magen meldete. Er errötete leicht und nickte: "Klingt gut."

"Johannes?", fragte ich zaghaft, als wir peinlich schweigend unsere Brötchen aßen. Ich hatte die ganze Zeit überlegt, wie ich folgendes sagen könnte. "Vielleicht ist diese Frage dumm, aber...Was ist das? Zwischen uns, meine ich." Skeptisch runzelte er die Stirn. Ja, er hatte seine Freundin gerade verlassen und anschließend die Nacht bei mir verbracht. Er küsst mich und hat mir auch schon irgendwie seine Liebe gestanden. Aber ich wollte wissen, was es für ihn zu bedeuten hat. Sind wir nun ein Paar oder ist das alles eher eine Art Zeitvertreib, bis seine Gefühle für mich wieder verebbt sind?
"Ich weiß es nicht, Jay." Falsche Antwort.
"Verstehe", murmelte ich frustriert, stand auf und stellte meinen Teller auf die Spüle. "Jetzt renn' doch nicht gleich weg..." - "Das muss ich mir doch nicht ausgerechnet von dir sagen lassen, oder?" - "Ich mein doch nur, dass du mich vielleicht erstmal ausreden lassen solltest", rief er mir hinterher und folgte mir durchs Wohnzimmer auf meinen kleinen Balkon mit einem Blick auf die ganze Stadt.

"Ich bin überfordert mit der ganzen Situation. Vor ein paar Wochen war ich noch glücklich mit Anna zusammen; also das dachte ich zumindest. Dann küsst du mich und jetzt sind Anna und ich getrennt und ich bin so wie es aussieht..." Er stockte und konnte es nicht über seine Lippen bringen. Er wandte seinen Blick von mir und sah Richtung Elbe, die man in der Ferne erkennen konnte.
"Schwul", vollendete ich seinen Satz. "Du bist schwul." Ich wusste nicht, ob ich es mir bloß einbildete, doch ich hatte das Gefühl, dass er zusammenzuckte, als ich dies sagte. "Sprich es aus", forderte ich ihn auf und er sah mich geschockt an. Er öffnete ein paar mal seinen Mund, doch brachte keinen Ton raus.
"Wieso kannst du dir eingestehen, Gefühle für mich zu haben, aber nicht, dass du schwul bist?" - "Hör auf", bat er mich. "Womit? Zu sagen, dass du homosexuell bist? Macht dir das Angst?" Er schüttelte mich dem Kopf, hielt kurz inne und zuckte dann mit den Schultern - begleitet von einem einzigen, winzigen Nicken.
"Johannes Strate. Ein selbstbewusster junger Mann, der vor kurzem noch vor laufender Kamera mit einem Mann rumgemacht und davon geredet hat, wie wichtig es ist, in der Öffentlichkeit zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen, und dass es im Musikbusiness sowieso schon vollkommen normal ist, homosexuell zu sein, hat Angst, wenn es ihn selbst betrifft."
Ich schob mich an ihm vorbei zurück in meine Wohnung, ging wieder in die Küche und schüttete mir etwas Wasser in ein Glas, als ich plötzlich zwei starke Arme spürte, die sich von hinten um meine Hüfte schlangen.
"Es ist nicht, dass ich Angst davor habe, es mir einzugestehen. Es geht darum, es allen anderen zu erklären. Meinen Eltern, den Jungs und allen anderen Freunde", flüsterte er, während er sein Kinn auf meine Schulter stützte. Ich legte meine Hände auf seine, die auf meinem Bauch ruhten.
"Zusammen schaffen wir das. Ich kann verstehen, wenn du etwas Zeit brauchst; du musst es dir auch erstmal selber sagen können. Und dann kommen irgendwann die anderen dran." Ich drehte mich in seinen Armen und legte meine Hände auf seine Brust ab. "Ich habe es für mich selbst schon längst verstanden. Ich steh' nicht auf Frauen, sondern auf einen ganz bestimmten Mann", schmunzelte Johannes und beugte sich zu mir vor. "Ich bin schwul", fügte er noch an, was mich kurz lächeln ließ, ehe wir die Lücke zwischen unseren Lippen schlossen und uns in einen innigen Kuss fallen ließen.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt