Kapitel 23

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- Johannes' Sicht -

Ich war wieder auf dem Weg zu Jakob; ich ging zu Fuß, da ich noch ein bisschen Zeit für mich brauchte. Um mir selber darüber klar zu werden, dass Anna und ich es gerade beendet hatten. Anna; die Frau, die mich schon bei unserer ersten Begegnung irgendwie fasziniert hat. Die ich meinen Eltern vorgestellt hatte, die hin und weg von ihr sind. Mit der ich eine Zukunft geplant habe; sogar Kinder.
"Geh zu Jakob", flüsterte sie, als wir immer noch in meinem Arbeitszimmer standen und uns voneinander lösten. "Ich komm klar", meinte sie noch und setzte dabei ein Lächeln auf. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und sah sie eindringlich an: "Es war 'ne schöne Zeit." Sie nickte.
Und das war es wirklich. Ich bereute keine einzige Sekunde, diese Frau an meiner Seite gehabt zu haben. Vielleicht waren meine Gefühle nicht solche, für die ich sie gehalten hatte, aber trotzdem war Anna ein großer, wichtiger Bestandteil in meinem Leben und ein wunderschöner noch dazu - in mehreren Hinsichten.

Ich erreichte Jakobs Wohnung. Die Gedanken an Anna waren beiseite geschoben und ich war nervös, wie vor meinem allerersten Date; jetzt gab es nichts mehr, was uns daran hindern konnte, glücklich zu werden. Jetzt zählten nur noch Jakob und ich. Es war bereits spät geworden; ich habe lange für den Weg gebraucht.
Ich drückte auf die Klingel, wippte aufgeregt nach vorne und hinten und wartete, bis Jakob mir schließlich die Tür aufmachte; er trug mittlerweile eine Jogginghose und einen dicken, alten Pullover: "Ich dachte, du kommst heute nicht mehr", stammelte er und sah an sich herab. "Ich hab vermutet, dass euer Gespräch länger dauert und du irgendwie auf'm Sofa pennst, sonst hätte ich mir wahrscheinlich etwas andere..." - "Halt die Klappe, Jay", unterbrach ich ihn schmunzelnd und zog ihn mit einem Ruck an mich ran, um ihn zu küssen. Jakob schien anfangs ziemlich überrumpelt, doch dann bewegten unsere Lippen sich synchron. Langsam und zärtlich, als wäre es unser beider erster Kuss.
Als ich jedoch meine Hand in seinen Haaren vergrub, entfuhr Jakob ein Seufzen, er zog mich in die Wohnung, schloss mit einem vorsichtigen Tritt die Tür und drückte mich direkt dagegen, während seine Finger sich in den Stoff meines Pullovers krallten, er seinen Mund öffnete und unsere Zungen zu kämpfen begannen.
"Sorry, hab kurz die Kontrolle verloren", keuchte er, als er sich irgendwann urplötzlich von meinen Lippen löste. Ich schaute ihn tatsächlich ziemlich überrascht an; so dominant kannte man Jakob nicht. Er war sonst immer der Schüchterne und Zurückhaltende - in allen Situationen.
"Schon gut", schmunzelte ich und er lief etwas rot an, bevor noch ein letztes Lächeln über sein Gesicht huschte und er sich von mir wegdrückte. Er jetzt bemerkte ich, dass er mich ziemlich unsanft gegen die Tür gepresst hatte und verzog kurz schmerzerfüllt mein Gesicht. "Die Rache für neulich, als du mich gegen eure Hauswand gedrückt hast", scherzte er und ging ins Wohnzimmer. "Wenn ich ehrlich bin, könnte ich mich an so eine Rache gewöhnen", rief ich ihm grinsend hinterher und folgte ihm.

Jakobs Miene veränderte sich schlagartig, als wir uns aufs Sofa setzten und einige Sekunden lang schwiegen.
"Wie geht's ihr?", fragte er schließlich leise und sah zögerlich zu mir. Seine eisblauen Augen verrieten mir, dass er sich mindestens genau solche Sorgen um Anna machte, wie ich. Ich zuckte mit den Schultern: "Du kennst sie; sie hält sich tapfer." - "Sie ist stark, oder?" Die Frage klang eher, wie eine Bitte. "Ja. Stärker, als du und ich zusammen. So war sie schon immer", antwortete ich und meinte es auch so. Anna war unfassbar tough. "Sie wird erstmal ein paar Tage brauchen, um das alles zu verarbeiten, aber das ist doch normal. Sie kommt klar; das hat sie selber gesagt", fügte ich noch hinzu und Jakob atmete erleichtert aus.
Es brachte mich dennoch selbst wieder zum nachdenken. Ich fragte mich, was wohl aus ihr würde; sie hat ihre Heimat für mich aufgegeben. Und was aus uns werden würde; ob wir Freunde bleiben könnten.
"Bereust du es, bei der Kampagne mitgemacht zu haben?", riss mich Jakob aus meinen Gedanken und ich schreckte hoch: "Was?!" - "Naja, ich mein ja nur...Bis dato hatte ich meine Gefühle im Griff; irgendwie. Hätten wir nicht bei der Kampagne mitgemacht, hätten wir uns wahrscheinlich nie geküsst und das Chaos wäre gar nicht erst entstanden." - "Jay, du..." Ich schaute ihn etwas ungläubig an und schüttelte mit dem Kopf. Ich rückte neben ihn und berührte ganz sanft seine Lippen mit meinen; so vorsichtig, als wäre sein Mund aus hauchdünnem Glas.
"Ist das Antwort genug?" Mit einem leichten Lächeln nickte Jakob und ich lehnte mich nach hinten, während ich ihn in meine Arme zog und er mit dem Kopf auf meiner Brust lag. "Versprich mir, dass du dir nicht über sowas Gedanken machst, okay? Deine Küsse sind nämlich wohl mit Abstand das schönste, was ich mir vorstellen kann", versuchte ich, Jakob von weiteren solchen Fragen abzuhalten. "Schleimer", hörte ich ihn daraufhin nur schmunzeln und musste kurz lachen. Ich griff nach seiner Hand, die auf meinem Bauch lag und verschränkte unsere Fingere miteinander: "Das schlimmste ist geschafft", flüsterte ich. "Ich hoffe es", kam es leise zurück.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt