Kapitel 17

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Nach einer gefühlten, aber dennoch viel zu kurzen, Ewigkeit, gab Johannes meine Lippen wieder frei und ein kleines Lächeln legte sich auf seine. Tatsächlich; er lächelte mich an. Das erste mal seit elf Tagen. Und dieses Lächeln schien mir nur noch wunderschöner, als jemals zuvor. Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen; selbst wenn die Küsse an meinem Geburtstag wirklich nur Produkte des Alkohols gewesen sind - dieser hier, war es nicht.

"Wo bleibt der Sekt?", hörten wir Chris rufen. "Wir sollten hoch", flüsterte ich. Johannes konnte seine Augen nicht von mir lösen: "Ja, vielleicht sollten wir das", gab er leise zurück. "Und vielleicht sollten wir vorher noch mal eine neue Flasche Sekt und heile Gläser holen." - "Jay, warte", hielt Johannes mich auf, als ich gerade wieder in die Küche wollte. Jay. Diese drei Buchstaben ließen mich noch breiter grinsen.
Noch einmal zog er mich an meinen Händen zu sich ran, um mich zu küssen. Es fühlte sich mit jedem weiteren Mal immer besser an: "Frohes neues Jahr."

"Endlich! Warum hat das so lange gedauert?", fragten Kris und Chris gleichzeitig. Niels stand neben ihnen und vor lauter Scham wich ich seinem durchbohrendem Blick aus - er wusste ganz genau, warum Johannes und ich nicht pünktlich zum Jahreswechsel auf dem Dach waren.
"Ach egal, jetzt her mit dem Sekt und frohes Neues!", lachte Arne, umarmte kurz mich und schließlich Johannes und nahm uns das Tablett mit den Getränken ab. Auch die anderen umarmten mich, wünschten mir das Beste für 2014 und stoßen mit mir an. "Du musst wissen, was du tust", flüsterte Niels mir bei unserer Umarmung zu. "Ich hoffe für dich nur das Beste und vielleicht wird 2014 ja euer Jahr." Ich lächelte.
Anna war mittlerweile noch betrunkener, als bei unserem Gespräch und drückte Johannes bloß einen kurzen Kuss auf die Lippen. Ich bin ehrlich; es schmerzte. Aber diese ganzen Glückshormone, die seit dem Kuss eben in mir herum schwirrten, überwogen einfach. Er hatte mich geküsst. Von sich aus. Nüchtern. Und dann auch noch zwei mal innerhalb weniger Minuten. Das konnte mir nie mehr jemand nehmen.

Silvester war in einer Großstadt wie Hamburg wunderschön. Insbesondere, wenn man so eine schöne Aussicht hatte, wie von Kris' und Steffis Dach aus. Der ganze Himmel war bunt und hell, immer wieder gingen neue Raketen in die Luft. Manchmal konnte sich dieses bunte Treiben bis ein Uhr ziehen, bis es erstmals etwas ruhiger wird.
Ich stand am Geländer des Dachs und beobachtete einfach das Getümmel, bis plötzlich jemand ganz eng neben mir stand und nach meiner Hand griff. Ich musste gar nicht zur Seite schauen, um zu wissen, dass es Johannes war; mein rasendes Herz bei der Berührung unserer Hände war Auskunft genug. Ich verschränkte meine Finger mit seinen und lächelte einfach, während wir gemeinsam in die Ferne schauten.
Angst, dass uns jemand so da stehen sah, hatte ich keine. Erstens standen wir Schulter an Schulter, sodass das Händchen halten wahrscheinlich nicht mal auffiel. Zweitens waren eigentlich alle anderen stockbetrunken und würden das nicht einmal realisieren. Niels und Steffi waren vielleicht die einzigen, die noch etwas Verstand besaßen, allerdings war Steffi mit ihrem gefährlich nah am Geländer tanzendem Freund beschäftigt und Niels wusste eh Bescheid.
Es fühlte sich unglaublich gut an, dort mit Johannes zu stehen und die ersten Minuten vom neuen - hoffentlich besserem - Jahr zusammen mit ihm zu genießen.

"Leute, Zeit für den melancholischen Rückblick!", rief Kris irgendwann begeistert und Johannes ließ sofort meine Hand los. Die Sache mit dem 'melancholischen Rückblick' haben wir uns vor sechs Jahren einfallen lassen; jedes Jahr an Silvester hielt einer eine Rede über unsere Erfolge der vergangenen 365 Tage und manchmal brachte man die Wünsche für die kommenden 365 Tage ein. Dieses Mal war Johannes wieder an der Reihe.
Nachdem wir Chris und Arne eingeweiht hatten, setzten wir uns im Kreis auf den Boden des Dachs. Die Frauen ließen uns dafür alleine.

"Ok, Jungs", begann Johannes und sah einmal in die Runde. Sein Blick blieb kurz an mir kleben, bevor er wieder nach vorne schaute: "2013. Wir haben uns wiedergefunden, konnten uns mit den anderen über das freuen, was wir in der Bandpause jeweils erreicht haben: Niels hat seinen eigenen Laden eröffnet, Jakob hat mit seiner unglaublich guten Fotografie angefangen, Kris und ich haben jeweils ein Soloalbum aufgenommen und sind damit getoured." - "Hey, das hab ich letztes Jahr doch schon alles aufgezählt", protestierte Niels lachend. "Halt die Klappe, Grötsch!", fuhr Kris ihn gespielt beleidigt an; er liebte diese Rückblicke und hasste es, wenn diese unterbrochen wurden. "So richtig perfekt wurde das alles aber doch nur, als wir uns alle gemeinsam freuen konnten, oder nicht? Nicht nur als Freunde, sondern wieder als Band. Das konnten wir 2013 machen, als wir uns wiedervereint haben. Wir haben noch Chris und Arne dazu geholt und ein neues Album rausgebracht. Männer, ich bin stolz auf unsere kleine Revolverheldfamilie. Das war ein gutes Jahr. Und für 2014 wünsche ich mir einfach, dass wir die Tour genießen, Deutschland Weltmeister wird und wir zusammen darauf trinken können...und dass wir diesmal nicht den passenden Song schreiben müssen. Ich finde, 2014 sollte die vergangenen zehn Jahre noch einmal toppen und ich bin mir sicher, dass wir das schaffen. Ich glaube, das wird ein gutes Jahr. Vielleicht sogar mit der ein oder anderen Überraschung." Er lugte kurz zu mir rüber, wobei er kaum merkbar lächelte. Wir anderen schwiegen. Nie wusste jemand etwas auf so einen Rückblick zu sagen. Irgendwann unterbrach ich die Stille, hob mein Sektglas und lächelte: "Auf uns!" - "Auf uns!", bekam ich von den anderen laut zurück und wir stießen lachend an.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt