Kapitel 84

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Sascha sah uns eindringlich an, doch aus Johannes und mir war kein einziger Ton zu kriegen. Seufzend fuhr sich unser Manager durchs Gesicht, kramte dann seine Sachen zusammen und verließ ohne jedes weitere Wort den Konferenzraum.
Ein Luftzug durchströmte den Raum, als die Tür gerade wieder ins Schloss gefallen war, und ein kleiner Schauer lief mir über den Rücken.

Auch wenn sowohl Jo, als auch ich allem Anschein nach dem Schweigen verfallen waren, machte keiner von uns Anstalten, ebenfalls zu gehen. Wir wussten, dass Sascha Recht hatte und wir miteinander reden sollten; wenn nicht für uns, dann wenigstens für die Band. Immerhin waren unsere Freunde immer für uns da und wir waren es ihnen wirklich schuldig, es zumindest zu versuchen, Revolverheld zusammenzuhalten.
Jedoch trauten wir beide uns nicht, den Anfang zu machen.

Stattdessen starrte ich nur nervös in meinen Schoß und spielte mit einem alten, zerfledderten Kaugummipapier, das ich in meiner Hosentasche gefunden hatte.
Johannes' Nähe, die mich ansonsten mit dem Gefühl von Heimat und Glück erfüllt hatte, war plötzlich fast schon unerträglich für mich und ich fühlte mich unglaublich unwohl.
Ich wollte ihn ansehen, um herauszufinden, ob es ihm vielleicht ähnlich ging, doch als ich meinen Blick hob, schaute ich direkt in das vertraute Braun seiner Augen, die mich so intensiv anstarrten, dass mir das Blut in den Adern gefror. Hastig blickte ich also zur Seite, um durch das große Fenster des Konferenzraumes etwas vom Leben Hamburgs zu beobachten und verweilte mit dem Gesicht zum regen Schein der Außenwelt gewandt.

"Sieht so aus, als würde es heute mal trocken bleiben, hm?"
Ich zuckte zusammen, als Jos vorsichtige Stimme die Stille nach reichlich verstrichener Zeit durchbrach. "In den letzten Tagen war hier eigentlich ziemliches Mistwetter in Hamburg. Nicht, dass das etwas Neues wäre, aber..." Er stockte und atmete schwer aus, schien zu begreifen, dass es zwecklos war, mit mir Smalltalk über das Wetter halten zu wollen.
Seine Stimme hatte mir gefehlt. Diese Wärme, die darin lag. Dieser vertraute Klang, der ansonsten das tägliche "Ich liebe dich" so wunderschön unterlegt hatte.
Und jetzt versetzte mir jedes Wort, das aus seinem Mund kam, ein Stich in meinem Herzen.

Dann wurde es wieder still zwischen uns, wobei ich nicht sagen konnte, ob das angenehmer war. Insbesondere, weil ich im Augenwinkel immer noch sah, wie Jo mich anstarrte; überfordert, hilflos, traurig und bereuend.
Ich versuchte mich auf einen großen Dampfer zu konzentrieren, den man in der Ferne auf dem Wasser erkennen konnte. Ich wusste nicht, was ich damit bezwecken wollte, jedoch schien es mir erträglicher, als alles andere in dieser Situation.

"Das mit dem neuen Aufnahmetermin kriegen wir hin, denkst du nicht?"
Ich presste meine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und drehte meinen Kopf langsam wieder nach vorne, um Johannes' Blick doch zu erwidern.
"Ich meine... Du willst doch weitermachen. Oder?" - "Ja", krächzte ich heiser, ohne lange überlegen zu müssen, und räusperte mich direkt im Anschluss. Erleichternd nickte Johannes und scheinbar war nun er es, der nervös wurde und den der Augenkontakt zu sehr überforderte, da er jetzt seinen Blick wieder nach unten lenkte.

So verstrichen die Minuten und mit jeder weiteren wurde es unangenehmer und fühlte sich falsch an.
Es war wie Folter. Ich saß dem Mann gegenüber, den ich über alles liebte, mit dem ich eine unvergessliche Vergangenheit hatte, und alles, was wir Zustande brachten, waren ein paar lächerliche, oberflächliche Sätze.
Ich hätte fast auflachen können, so bitter und frustrierend war es.
Doch stattdessen stiegen mir Tränen in die Augen und plötzlich spürte ich eine über meine Wange laufen. Reflexartig schlug ich mir die Hände vors Gesicht und schluchzte unvermeidbar leise in diese.
Ich spürte Johannes' Unsicherheit bis zu mir und mir war klar, dass er nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte.
Vermutlich dachte er auch, ich würde weinen, weil er mich betrogen hatte, doch ich weinte, weil dieser eine falsche Schritt uns so hat werden lassen, dass wir nicht mal richtig miteinander reden konnten.

Plötzlich umpackten Jos eiskalte Finger meine Handgelenke und er zog meine Hände von meinem Gesicht weg.
"Es tut mir so leid, Jakob", flüsterte er zittrig und seine Augen glänzten von den Tränen, die sich dort ansammelten. "Ich wollte nie, dass das passiert."
Ich schaute an ihm vorbei und holte tief Luft, um meine Atmung wieder kontrollieren und das Geheule stoppen zu können. "Hör auf. Das bringt doch alles nichts mehr." - "Aber ich kann das nicht einfach akzeptieren!" Johannes ließ meine Hände los und strich sich mit seinen über seine Augen. Die Stellen, an denen er mich berührt hatte, fühlten sich an, als würden sie in Flammen stehen und ich unterdrückte das Bedürfnis, darüber zu streichen.
Er blickte hilfesuchend durch den großen Raum und sprach dann weiter: "Ich will um dich kämpfen." - "Nein, Johannes, bi–" - "Doch, ich geb' uns nicht einfa–" - "Nein!", unterbrach ich ihn nun harsch und deutlicher lauter. Er zuckte zusammen und lehnte sich in seinem Stuhl zögerlich nach hinten. Ich fuhr mir durch meine Haare und atmete tief durch.
"Nein, du wirst nicht um mich kämpfen. Du hast mich viel zu sehr verletzt, als dass man es mit ein paar lieben Worten und süßen Gesten wieder wettmachen könnte. Ich brauche Zeit, Johannes. Aber nicht, um darüber nachzudenken, dir noch eine Chance zu geben, sondern Zeit dafür, um irgendwann eine Zusammenarbeit und eine ganze Tournee mit dir gemeinsam überstehen zu können." - "Wil... Willst du damit sagen, dass wir gar keine Chance mehr haben? Nie mehr? Nicht mal mehr als Freunde?"
Johannes' Kinn zitterte beinahe genauso stark wie seine Stimme. Mein Herz schmerzte so sehr, dass ich es am liebsten betäubt hätte, um diesen Moment überstehen zu können.

"Momentan sehe ich da keine Hoffnung, nein."
Er kniff seine Augen zusammen, stand dann urplötzlich auf und stellte sich ans Fenster. Ich sah, wie seine Schultern zu beben begannen, und konnte mir nur vorstellen, wie sehr er sich das Aufschluchzen unterdrückte.
"Johannes...", sagte ich nun in deutlich sanfterem Stimmton. "Ich weiß nicht, wie es in ein paar Monaten oder Jahren aussehen wird, aber es ist gerade mal zwei Wochen her. Du warst es, der mir das Herz gebrochen hat, und du kannst jetzt nicht von mir verlangen, dass ich es einfach wegstecke und vergesse." - "Liebst du mich noch?"
Ich seufzte. Ein riesiger Kloß bildete sich in meinem Hals und ich wollte selbst laut losheulen. Doch ich würde noch ein bisschen ruhig bleiben müssen: "Natürlich tue ich das und wahrscheinlich liegt genau da das Problem."

Ich stand auf, zog den Reißverschluss meiner Jacke zu, die ich nicht einmal ausgezogen hatte und ging Richtung Tür. Ich drehte mich noch einmal um und sah zu Johannes, der immer noch mit dem Rücken zu mir stand und aus dem Fenster starrte.
"Wenn wir das mit Revolverheld packen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als die Trennung zu akzeptieren, uns vorerst aus dem Weg zu gehen und... zu lernen, ohne einander klarzukommen."
Und dann ging ich. Ohne mich noch einmal umzudrehen, ohne Johannes ein letztes Mal zu mustern.
Ich ging und alles schmerzte, doch mir war klar, dass es das einzig Richtige war.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt