Kapitel 99

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"Wollen wir uns noch einen Nachtisch teilen?", wollte Rick mit einem prüfenden Blick in die offene Speisekarte in seinen Händen wissen.
"Dein Ernst?", entgegnete ich fast geschockt, während meine Augen über die Reste meiner Spinatlasagne wanderten, die zwar köstlich war, aber sicherlich auch eine Kleinfamilie satt bekommen hätte.
"Selbst wenn nur noch ein Bissen in mich hinein passen würde", unterlegte ich also das Offensichtliche, da Rick mich nur fragend ansah, "Ich bin noch mit den Jungs zum Fußballgucken verabredet und da grillen wir später auch noch."
"Oh. Das wusste ich nicht", antwortete er und senkte seinen Blick zurück auf die Speisekarte, die er schloß, beiseite legte und stumm einer Kellnerin zu verstehen gab, dass wir zahlen wollten.
Irgendwie sah er enttäuscht aus und ich konnte mir nicht ganz erklären, wieso - am Verzicht auf einen halben Nachtisch allein konnte es nicht liegen.
Ich legte meine Hand behutsam auf seine, die auf dem Tisch lag und strich mit dem Daumen über seinen Arm. Er sah zu mir hoch und erwiderte leicht mein Lächeln, bis im nächsten Moment die Kellnerin zu uns trat und ich die Rechnung übernahm.

"Alles okay?", fragte ich zögerlich, als Rick nach einer kurzen und, bis auf meine gelegentliche Navigation, stillen Autofahrt seinen Wagen vor Kris' Haus zum Stehen brachte. Auch auf unserem kleinen Spaziergang durch ein kleines Waldstück direkt nach dem Restaurantbesuch hatte Rick kaum ein Wort gesagt.
"Ja", entgegnete er eher weniger überzeugend, weshalb ich ihn bloß skeptisch ansah und er seufzte: "Ich würde sie bloß gern mal kennenlernen. Schließlich sind sie deine engsten Freunde und bedeuten dir viel und wir sind jetzt ein Paar. Ich würde gern mehr von den Menschen wissen, die dir wichtig sind, weil du mir wichtig bist, Jakob."
Seine Worte ließen mich lächeln. Ich beugte mich zu ihm herüber, drückte ihm rasch einen Kuss auf die Lippen und ließ meine Fingerspitzen noch etwas über seine Wange gleiten.
"Du wirst sie bald kennenlernen", versprach ich, was Rick ein schwaches Lächeln entlockte, und verließ den Wagen, woraufhin mein Freund davon fuhr und ich noch einen Augenblick wartete, bis er um die nächste Ecke verschwunden war.

"Wir sind komplett, Männer!", rief Chris schon wieder Richtung Wohnzimmer laufend und nippte an seiner Flasche, nachdem er mir nur breit grinsend die Tür geöffnet hatte.
"Hey Jakob", begrüßte mich Kris, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, der viel zu nah vor seinem Gesicht war, "Bier und Snacks sind in der Küche, bedien' dich einfach" - "Okay", antwortete ich schulterzuckend, zog mir die Jacke von den Schultern und ging in die Küche, um mir ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen und es zu öffnen.
"Dass du oft zu spät kommst, bin ich ja mittlerweile gewohnt, aber dass Jakob Sinn die halbe Sportschau und Prognosen vor einem solchen Spiel verpasst? Ich mache mir Sorgen!" Seine besorgten und geschockten Worte unterstützend, legte Niels seine Hand auf die Brust und riss seine Augen auf, ehe er schmunzelnd ebenfalls eine Flasche klirrend aus der Kühlschranktüre zog.
"Entschuldige, wird nicht wieder vorkommen", lachte ich, ehe Niels mit mir anstieß mir auf die Schulter klopfte und wir zusammen zu den Anderen ins Wohnzimmer gingen.
"Hab' ich was verpasst?", fragte ich in die Runde und setzte meine Bierflasche an.
"Nur die dümmsten Prognosen gegen Werder aller Zeiten", fluchte Johannes mit dunkler Miene, die sich aufhellte, als er den Blick vom Bildschirm auf mich hob, ich mich zwischen ihm und Kris fallen ließ und er mich mehr oder weniger zur Begrüßung anlächelte, "die Aufstellung des HSV ist allerdings ziemlich gut diesmal." - "Hey, seit wann bist du denn fair, wenn es um andere Vereine und deren Taktiken geht?", witzelte ich, was ihn mich in die Seite stupsen ließ, ehe wir uns auf die restliche Sportschau konzentrierten und auf das Spiel warteten, das in gut dreißig Minuten beginnen sollte.

"Ach, verfluchte Scheiße!" Johannes' energische Stimme kam mit dem Abschlusspfiff des Schiedsrichter einher, woraufhin der Sänger wütend aufstand und sich den grünen Werder-Schal vom Hals wickelte, ehe er diesen Richtung Fernseher warf. "Es hätte mindestens noch drei Minuten Nachspielzeit geben müssen!" - "Das hätte auch nichts mehr gedreht", bemerkte ich - zufrieden über den 1:2 Auswärtssieg meiner Lieblingsmannschaft - grinsend. Schmollend ließ Johannes sich zurück aufs Sofa plumpsen, während die Wiederholung aller Tore und Highlights lief, die er noch einmal gebannt mitverfolgte. Er seufzte laut, drehte sich aber anschließend zu mir und rollte mit den Augen: "Ich gratuliere zum zugegeben einigermaßen verdienten Sieg." - "Dankeschön", lächelte ich stolz und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter, "Nächste Saison schlagt ihr euch in der zweiten Liga sicher besser!"
"Okay, ich denke", mischte Kris sich mit beschwichtigender Handbewegung ein, als er merkte, wohin dieses Gespräch führen wird, "ich unterbreche das an dieser Stelle hier und schlage vor, dass wir den Grill anschmeißen." - "Gute Idee", lachte Arne und zog Johannes und mich an unseren Handgelenken vom Sofa und mit auf den Balkon. Johannes sah schmunzelnd zu mir: "Wir werden ja sehen, wer bald in der zweiten Liga spielt."

Eine Stunde später war das Fußballspiel schon wieder vergessen und wir saßen einfach nur als Freunde zusammen auf Kris' Balkon, aßen, unterhielten uns über belangloses, über das kommende Release unseres neuen Albums und über die uns erwartenden Interviews zur Promo. Dass wir eines Tages wieder so gemeinsam dasitzen und lachen würden, hätte wohl niemand vor einem Jahr gedacht - kurz nach der Trennung von Johannes und mir. Zugegeben; es war ein langer Weg bis hierhin gewesen, doch Jo und ich hatten es ganz gut gemeistert und waren mittlerweile so weit, dass wir uns wieder wie Freunde verhielten. Es tat uns gut; ihm und mir, aber auch ganz besonders der gesamten Band. Musik zu machen fiel uns wesentlich leichter und ohne diese riesige Anspannung konnten wir uns alle auch gleich viel besser gegenseitig beruhigen und versuchen, einander die Nervosität vor der Reaktion unserer Fans und Kritiker auf unser Album zu nehmen.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt