Kapitel 27

356 20 3
                                    

Ich atmete schwer aus und blieb noch kurz vor der verschlossenen Wohnungstür stehen. Natürlich machte ich mir Gedanken und Sorgen um Johannes und um uns; wenn er sich wegen so etwas, wie das, was zwischen Niels, ihm und mir am vergangenen Tag vorgefallen ist, so exzessiv betrinken musste, dann hatte ich keine Ahnung, was sonst noch auf uns zukommen würde.
Ich legte mich zu Johannes ins Bett, er rutschte sofort an mich und schmiegte sich in meinen Arm. Er stank wirklich ekelhaft nach Alkohol und ich war mir auch ziemlich sicher, den Geruch von Zigaretten wahrgenommen zu haben.
"Es tut mir leid", nuschelte er an meiner Brust. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Haare und schloss meine Arme um ihn noch enger: "Schlaf einfach", flüsterte ich. Es dauerte nicht lang, da hörte ich ihn schon leise vor sich her murmeln: "1, 2, 3, 4, ..."

An Schlaf war für mich in dieser Nacht nicht mehr zu denken; zu intensiv zerbrach ich mir den Kopf über alles, was auch nur ansatzweise mit Johannes zu tun hatte. Um halb acht gab ich es dann komplett auf und schob Johannes vorsichtig von mir runter, um aufzustehen. Er bekam davon überhaupt nichts mit - natürlich nicht; die Unmengen an Alkohol, die in seinem Blut gerade abgebaut werden mussten, machten seinem Körper zu schaffen, sodass er sicherlich noch einige Stunden schlafen würde.

Auch, wenn es immer noch Januar war, entschloss ich mich dazu, joggen zu gehen. Ich schlüpfte in eine Jogginghose, ein langärmeliges Sweatshirt und in meine Laufschuhe, schnappte mir mein Handy und verließ leise die Wohnung.
Es war wesentlich kälter, als gedacht, doch ich lief los, in der Hoffnung, dass ich bald nicht mehr so frieren würde. Die eisige Luft in meinen Lungen tat weh, doch ich wollte nicht aufhören. Ich lief und lief und tatsächlich bekam ich einen freien Kopf. Doch wärmer wurde mir nicht. Da mich meine übliche Laufrunde auch durch die Marktstraße führte, hielt ich bei Gretchens Villa an, um mich etwas aufzuwärmen.

"Hey, Steffi", begrüßte ich sie, als sie aus der Backstube kam. "Jakob!", lächelte sie und kam auf mich zu, um mich zu umarmen: "Gott, du bist ja eiskalt. Kaffee?" - "Gerne!" Sie nickte und brachte mir kurz darauf eine dampfende Tasse.
"Alles gut bei dir?", fragte sie und setzte sich zu mir an den Tisch, da sonst gerade eh nicht viel los war. Ich zuckte mit den Schultern und nickte beiläufig: "Und bei dir?" - "Ja, alles gut", grinste sie. "Was treibt dich so früh zum Joggen? Und dann auch noch bei der Kälte?" - "Naja, der Winterspeck muss weg." Ich klopfte mir schmunzelnd auf den Bauch und Steffi verdrehte lachend die Augen: "Ist klar."
In dem Moment öffnete sich die Tür zum Café, auf die ich freie Sicht hatte. Ein kalter Windstoß zog durch den kleinen Laden und Anna tauchte in der Tür auf. Sie entdeckte mich sofort, starrte mich genauso fassungslos an, wie ich sie, und wollte gerade wieder umkehren, als Steffi sich schon zu ihr umdrehte: "Hey, vor der Arbeit noch kurz was warmes zum Trinken?" Anna nickte zögerlich und folgte Steffis Geste, sich auf den freien Stuhl an unserem Tisch zu setzen. "Heiße Schokolade?" - "Ja, danke", murmelte sie und Steffi ließ uns alleine.

Es herrschte Stille, ich schaute runter in meine fast leere Kaffeetasse und als ich vorsichtig aufsah, bemerkte ich, dass Annas leerer Blick an meinem Hals heftete. Schnell schob ich meine Hand an die Stelle, wo der Knutschfleck liegen musste.

"Anna, hat Johannes eventuell den blauschwarzen Gitarrengurt von Kris eingepackt mit dem Schriftzug, den ich ihn irgendwann mal geschenkt habe? Kris findet ihn nicht und ich dachte, vielleicht haben Johannes oder Niels ihn gestern eingesteckt?" Anna schluckte und schüttelte mit den Kopf: "Nicht, dass ich wüsste." Etwas verwirrt sah ich Anna an, doch sie wich meinen Blicken aus.
"Kannst du den Kakao to go machen?", fragte sie und stand schnell auf. "Ähm, klar. Alles ok?" - "Ja, ich wollte den Laden heute nur etwas früher aufmachen und ein bisschen Ordnung schaffen." Sie legte das Geld auf den Tresen, schnappte sich den Becher, den Steffi ihr gerade hinstellte und verschwand dann aus dem Café, um direkt nach links abzubiegen und ihren Laden aufzuschließen. Nachdenklich sah ich an die Stelle, wo Anna gerade noch gesessen hatte.
"Fandest du auch, dass sie seltsam war?", riss mich Steffi aus meinen Gedanken. Ich zuckte mit den Schultern: "Schon irgendwie." - "Vielleicht war der Urlaub mit Johannes doch nicht so gut, wie sie am Telefon erzählt hatte." Jetzt war ich vollends verwirrt und der Gedanke, den ich eben schon bei der Frage nach dem Gitarrengurt kurz hatte, bestätigte sich; Steffi wusste scheinbar wirklich nichts von der Trennung.

"Ich red mal mit ihr; schreibst du mir den Kaffee an?", fragte ich und stand bereits auf. "Geht aufs Haus", lächelte Steffi und ich warf ihr einen Luftkuss zu: "Du bist die Beste."

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt