Kapitel 33

363 21 11
                                    

Alle starrten entsetzt zu Nicci, die noch immer ein fast schon Angst einflößendes Funkeln in ihren Augen hatte: "Wie kannst du so etwas tun, verdammt?!" Fast alle anderen Gäste in der Kneipe verstummten und sahen neugierig zu unserem Tisch 'rüber. Johannes saß vollkommen perplex neben mir und wusste einfach nicht, was er sagen sollte.

"Was ist denn bloß in dich gefahren?!", fragte Niels seine Freundin aufgebracht und griff dabei nach ihren Händen, bevor sie auf die Idee kommen sollte, Johannes eine weitere Ohrfeige zu verpassen. "Das weiß Johannes ganz genau!" Dieser wurde immer blasser und schaute hilfesuchend in mein Gesicht. Allerdings hatte ich wahrscheinlich noch weniger Ahnung, wovon Nicci, die den Tränen nahe war, da redete, als er.
"Gebt mir 'ne Sekunde", entschuldigte sich Niels, schob Nicci von der Bank und zerrte sie aus der Bar.

"Was war das denn?", murmelte Chris, der noch immer mindestens genauso schockiert da saß, wie wir anderen. In Johannes' Augen sammelten sich mehr und mehr Tränen und ich erkannte Angst in seinem Gesicht; Angst, Nicci würde ihn hassen - aus welchen Gründen auch immer.
"Ich weiß ehrlich nicht, was ich getan haben soll, dass sie so ausrastet", schwor Johannes, während er den Griff um meine Hand wieder fester werden ließ. Mit seinem rechten Arm stützte er sich auf den Tisch und versteckte sein Gesicht hinter seiner Hand. Sein ganzer Körper zitterte, ich platzierte meinen Arm um seine Schultern und legte meine Stirn an seine Schläfe: "Mach' dir nicht so viele Gedanken, ja? Niels regelt das schon; es wird sich alles aufklären", flüsterte ich und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
"Euch so zu sehen und zu wissen, dass ihr nicht mehr bloß beste Freunde seid, ist befremdlich und doch ziemlich süß." Ich wusste, dass Kris, während dieser Aussage, schmunzelte, ohne, dass ich ihn ansehen musste. Tatsächlich brachte er Johannes damit kurz zum Lachen, ehe er wieder verstummte und seinen Gedanken nachhing, was man in seinen Augen erkannte. Ich löste mich von ihm und strich ihm ein letztes Mal über den Rücken.

"Nicci ist wahrscheinlich nur geschockt. Sie hat nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe." Nun versuchte auch Steffi, ihn aufzumuntern, doch sie klang selbst nicht 100% überzeugt, was auch Johannes nicht entging und ihn bloß noch nervöser machte.
Ich sah hilfesuchend zur Tür und hoffte darauf, dass Niels und Nicci wiederkamen und erklärten, dass das bloß ein überaus geschmackloser Gag war. Stattdessen betrat lediglich unser Gitarrist die Kneipe; sein Gesichtsausdruck sorgte nun endgültig dafür, dass auch ich langsam Panik bekam - was zur Hölle stimmte nicht mit Nicci? Warum hatte sie so reagiert? Johannes war schwul, ja und? Ich doch auch und mich ist sie nicht so angegangen. Vielleicht hatte es etwas mit Anna zu tun; immerhin waren die zwei beste Freundinnen. Aber selbst, wenn Nicci scheinbar gerade erst von der Trennung von Anna und Johannes erfahren hatte und sie sich Sorgen um Anna machte, hätte man das doch anders rüberbringen können. Sie weiß ja nicht einmal, wie genau das alles verlaufen ist und wie Anna zu der Sache stand.

"Alles ok?" Kris legte besorgt seine Stirn in Falten und sein bester Freund wusste einfach nicht, was er darauf antworten sollte. Seine Augen wirkten gläsern; als würde er Tränen zurückhalten.
"Nicci wartet draußen. Du solltest rausgehen und dir anhören, was sie weiß. Und was sie denkt, was du weißt." Niels richtete sich an Johannes, nachdem er seinen Blick vom Boden lösen konnte.
Verwirrt und unsicher sah Jo mich an, ich zuckte überfordert mit den Schultern, Johannes stand mit zittrigen Knien auf und steuerte auf den Ausgang zu.

Ich zögerte kurz, doch dann wollte ich ihm hinterher - ihm Halt geben und ihm zeigen, dass ich für ihn da bin; ganz egal, was Nicci erzählen würde. Doch Niels hielt mich zurück und drückte mich wieder auf die Bank: "Nein", sagte er mit fester und gleichzeitig mitfühlender Stimme, woraufhin ich ihn erschreckt und verwundert ansah. "Ich denke, er sollte es erstmal alleine erfahren." - "Was erfahren?", fragte Kris besorgt und legte Steffi seinen Arm um die Schultern, als würde er ihr ihre Besorgnis nehmen wollen, die man ihr ansah. Wahrscheinlich wollte er auch einfach sich selbst beruhigen, indem er die Nähe seiner Freundin spürte.

Niels schüttelte mit den Kopf: "Ich kann euch das nicht sagen...Ihr werdet es verstehen." Er ließ sich seufzend auf seinen Platz fallen, exte sein noch fast volles Glas Bier und vergrub anschließend sein Gesicht in seinen aufgestützten Handflächen. Chris, Kris, Steffi und ich warfen uns fragende und besorgte Blicke zu. Ich wurde immer unruhiger und verkrampfte fast so, wie Johannes vor noch wenigen Minuten.

Wir verweilten eine Weile stumm schweigend und mir gingen tausend Gedanken durch den Kopf, bis ich es nicht mehr aushielt und aufsprang. "Jakob, warte!", forderte Niels mich auf, ich weigerte mich: "Nein, ich hab jetzt lang genug gewartet." Ich stürmte aus der Kneipe und sah mich besorgt um, bis ich Johannes ungefähr zwanzig Meter von mir entfernt stehen sah. Er war alleine; Nicci war nirgends zu sehen.

Johannes stand einfach da und starrte in die Leere. Er bemerkte mich nicht, bis ich neben ihm stand und meine Hand behutsam auf seine Schulter legte; er schreckte um und sah mich mit solch traurigen Augen an, dass es mir im Herzen wehtat.
Ich brauchte nicht zu fragen, was los ist. Er schlang seine Arme um mich und flüsterte mir gebrochener Stimme etwas in mein Ohr, was ich erst nicht verstand. Ich bat ihn, sich zu wiederholen, woraufhin er zunächst schluchzte.

"Ich wäre Vater geworden."

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt