Kapitel 14

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Wütend, verwirrt, frustriert, traurig, enttäuscht, verletzt, fassungslos, einsam. Diese Adjektive beschrieben mich perfekt, als ich schnell durch den dicken Schnee stapfte. Bloß weg von Johannes' Wohnung. Weg von der Vorstellung, dass er und Anna jetzt...Nein, ich durfte wirklich nicht dran denken. Jeder Gedanke daran war ein weiterer Stich ins Herz.
Musste er sie vor meinen Augen küssen, wie er letzte Nacht noch mich geküsst hatte? Wie konnte er vor seiner langjährigen Freundin denn so tun, als wäre rein gar nix zwischen uns vorgefallen?

Zurück in meiner Wohnung ließ ich mich erst einmal gegen die Tür fallen, legte meinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen, um nicht komplett die Beherrschung zu verlieren. "Du bist so dumm, Jakob", flüsterte ich immer wieder vor mich hin, wobei ich immer lauter wurde, bis es fast einem Schreien glich, ich mich an der Tür hinuntergleiten ließ und in Tränen ausbrach. Mein Gesicht vergrub ich in meinen angezogenen Knien, raufte mir die Haare und verbrachte so bestimmt eine Stunde.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals solche Schmerzen gespürt zu haben. Johannes' Küsse brannten immer noch auf meinen Lippen, genauso wie das Bild von ihm und Anna vor meinen Augen.

Die Türklingel riss mich zurück in die Realität: "Niels? Was machst du hier?" Er sah mich verwirrt an: "Du hast mir doch geschrieben, dass ich vorbeikommen soll. Und wenn ich dich so ansehe, hätte ich schneller sein sollen." Ohne eine weitere Sekunde zu zögern, zog er mich an sich und schloss mich in seine Arme. Tatsächlich habe ich Niels direkt nach meiner Ankunft bei mir zuhause eine SMS geschrieben, an die ich mich seltsamerweise nicht erinnern konnte. Doch jetzt war er hier und irgendwie tat das gut.

"Bevor du erzählst, was passiert ist, bestelle ich uns erstmal 'ne Pizza. Ich hab Mordshunger und du siehst auch so aus, als hättest du schon lange nichts mehr gegessen." Er hatte Recht. Seit dem Shooting hatte ich wirklich wenig runterbekommen und nach Johannes' Flucht am Morgen, hatte ich gar nichts gegessen. Während Niels sich um die Bestellung kümmerte, holte ich uns zwei Flaschen Bier aus der Küche, wovon mir meine direkt wieder aus der Hand gerissen wurde: "Du trinkst jetzt lieber nichts. Nachher endet das noch in Frustsaufen und das will ich weder dir, noch mir antun." Niels sah mich eindringlich an, bis ich nachgab. Er kannte mich zu gut, um zu wissen, dass es genauso verlaufen würde.

"Was ist letzte Nacht noch zwischen dir und Johannes vorgefallen?" - "Eigentlich soll ich darüber nicht reden", erwiderte ich und Niels verdrehte die Augen: "Lässt du dich von ihm jetzt wieder rumkommandieren, wie damals?" Das saß. Es verletzte mich ohnehin schon, wie Johannes mit mir sprach, aber das jetzt auch noch Niels mir den kleinen verängstigten Jakob von vor zehn Jahren vorwarf,  war nochmal eine andere Hausnummer.Ich schüttelte wortlos mit dem Kopf.
"Na also; was ist passiert, nachdem ich euch alleine gelassen habe?", fragte er erneut mir ruhiger Stimme, seine blauen Augen besorgt auf mich gerichtet und seine Art, die mir zeigte, dass er aufmerksam zuhören würde und mir wirklich helfen wollte.

"Diese Küsse haben ihn definitiv verwirrt. Ob er jetzt tatsächlich auch Gefühle für dich entwickelt hat oder nicht...er braucht jetzt erstmal Zeit, um sich genau darüber bewusst zu werden. Und die musst du ihm geben. Wenn er dich auch lieben sollte, dann müsst ihr schauen, wo das hinführt. Und wenn nicht, dann..." - "Dann muss ich damit leben", unterbrach ich Niels' mal wieder ziemlich weise klingendes Gerede, nachdem ich ihm alles haargenau unter Tränen erzählt hatte. Er atmete schwer aus und sprach weiter: "...dann müsst ihr reden. Dass du ihn liebst, wird Johannes nicht daran hindern, dein bester Freund zu sein und andersrum. Ich kenne ihn doch."
Zögerlich sah ich wieder auf und in Niels' Gesicht erkannte ich, dass er das, was er sagte, auch genauso gemeint hatte: "Danke." Er zog seinen rechten Mundwinkel nach oben und nickte. "Findest...Siehst du mich anders, seitdem du das von mir weißt?", fragte ich schließlich vorsichtig. Es beschäftigte mich tatsächlich. Ich hatte Angst, dass ich ein vollkommen anderer Jakob für ihn war.
In diesem Moment klingelte es an der Tür, Niels holte unsere Pizzen und ich kümmerte mich um das Besteck.
Ich wollte meine Frage nicht wiederholen, als wir wieder im Wohnzimmer saßen, aber scheinbar war das sowieso nicht nötig: "Du bist derselbe gute alte Jakob, wie früher. Einer meiner besten Freunde, mein Lieblingsdrummer und der schlechteste Pizzaschneider der Welt", grinste Niels, nach einem Blick auf meine wirklich krumm und schief geschnittene Käsepizza. "Es ist mir sowas von schnurzpiepegal, ob du auf Frauen oder Männer stehst. Und was mir weiterhin nicht so egal bleibt, ist, wenn es dir nicht gut geht. Deswegen machen wir uns einen gemütlichen Flimeabend und ich bleib über Nacht hier, in Ordnung?" - "Und Nicci?" - "Sie wird das verstehen. Freunde lässt man nicht hängen."
Auch, wenn ich in diesem Moment nur ein traurig aussehendes Lächeln fabrizierte, war ich Niels unendlich dankbar. Er war schon immer in gewissermaßen der Fels unserer Band. Er redete nie wirklich viel, aber wenn es um gute Ratschläge oder ähnliches ging, war er Profi. Wahrscheinlich nutzte er all die Zeit, in der er so still war, damit, seine Mitmenschen zu beobachten - genau wie mich. Sonst hätte er vielleicht nicht gemerkt, dass ich mich in Johannes verliebt habe. Kris beispielsweise plappert wie ein Wasserfall und wie Niels mir versicherte, hat jener nie auch nur ein Gedanken an irgendwelche Gefühle von mir für Johannes laut ausgesprochen, was er sicherlich getan hätte, wenn er irgendwas bemerkt hätte.

Bis zum letzten MomentWo Geschichten leben. Entdecke jetzt