Four. Tears

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♦ Emily ♦


Er drückt Jesus das Messer in die Hand und unterschreibt damit mein Todesurteil. Die Narbe versinkt bei seinem Grinsen in einer tiefen Falte, seine Augen strahlen, während er ehrfürchtig auf die Klinge sieht. Langsam fährt er mit seinem Finger darüber, ehe er sich zu mir dreht und mich herausfordernd anvisiert. Auf meinen Händen bildet sich ein Schweißfilm, mein Atem beschleunigt sich und ich schlucke schwer, als er einen Schritt auf mich zugeht. Hoffentlich macht er es schnell.

„Oh nein mein Freund", stoppt ihn der Engländer und Jesus bleibt sofort stehen, dreht sich verwirrt zu seinem Chef um, „Ihn." Wir alle im Raum folgen seinem Finger, der auf den dritten Mann im Bunde zeigt. Der Einzige, der mich nicht angerührt hat. Meine Kinnlade klappt herunter und der Narbenmann lässt seinen ausgestreckten Arm wie einen nassen Sack nach unten fallen. „S-sir. D-das", stottert er und sein Kollege geht angsterfüllt einen Schritt zurück. „Ihr zwei habt Mist gebaut. Er war dabei. Du weißt doch wie das läuft, mein Freund. Du bist doch schon lange genug dabei." Er spricht so sanft, so gleichgültig, als würde er hier ein Rezept vortragen.

Mit weit aufgerissenen Augen beobachte ich ihn. Wie er sich an die Wand lehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und einen Fussel von seinem Oberarm streicht. „Sir, ich kann nicht." Selbstbewusst strafft Jesus seine Schultern und wirkt trotzdem eingefallen. Ich kann es kaum glauben, dass er nicht so abgebrüht ist und seinen Kumpel einfach absticht. Dieses Monster scheint doch irgendwo ein Herz zu haben. Im Gegensatz zu seinem Boss, der unbeeindruckt mit seinen blauen Augen rollt. Dieser Mann ist eiskalt.

„Entweder du erledigst das oder ich hole Carlos. Kannst du dir überlegen, ob du ihm das Leid nicht lieber ersparen willst." Er schürzt die Lippen, guckt seine Fingernägel an, an denen er herumfummelt und stöhnt genervt, als Jesus sich noch immer nicht bewegt. Mit einem Mal greift er hinter sich und ich höre nur noch einen lauten Knall, der mehrmals zwischen den Wänden wiederhallt. Kreischend wende ich mein Gesicht ab, schließe die Augen und traue mich nicht zu rühren. Tränen laufen aus meinen Augen und mein gesamter Körper erbebt. Ein schmerzerfüllter Schrei ertönt und ich will nur noch eins.

Raus aus dieser Hölle voller kaltblütiger Menschen.

„Also?" Seine tiefe Stimme bricht die kurzzeitig herrschende Stille. Nur ein leises Wimmern ist im Hintergrund zu hören. „Entweder Carlos zerstückelt ihn und nimmt sich danach dich vor oder du machst das und alle sind glücklich." Wieder zucke ich zusammen, als er in die Hände klatscht und schiele leicht zur Seite. Auf dem Boden hat sich ein dunkelroter Fleck gebildet und ein paar Zentimeter weiter kniet Jesus und hält sich sein Bein. Sein Gesicht ist von Schmerz verzogen und ich fühle, wie ich selbst für ihn Mitleid entwickle. Das hier ist barbarisch. Teuflisch und verachtenswert. Wie es aussieht, scheinen die beiden gut befreundet zu sein. Das ist mir im Auto schon so vorgekommen. Und jetzt soll er seinen Kumpel töten. Wie grausam, wie herzlos kann ein Mensch sein?

Wütend fällt mein Blick auf den Engländer, der weiterhin gelangweilt die Szene beobachtet. In seinen Augen leichtet jedoch ein selbstgefälliges Funkeln auf. Er liebt die Macht. Das kann man deutlich erkennen. „Tür A oder Tür B, Jesus?", hakt er nach, „Tick Tack." Er zeigt auf seine Uhr und wahrscheinlich wägt dieser gerade ab, ob er nicht lieber mit dem Messer auf seinen Chef losgehen soll. Und ich kann nicht mal sagen, ob ich das gut fände. Wenn es nach ihm geht, bin ich tot. Nicht sein Freund. Aber ich will auch nicht zusehen müssen, wie dieser Mann erstochen wird. Wegen mir. Wegen meiner Neugierde.

„Tu es einfach", flüstert sein Kumpel und ich blicke weinend zu ihm rüber. „Nein Miguel..." „Tu es verdammt nochmal. Ich gehe doch so oder so drauf", unterbricht er ihn und sieht zu Boden. Die Narbe von Jesus vertieft sich zu einer Furche und er wischt sich schniefend die Nase ab, eine Träne flüchtet aus seinem Auge und er geht einen Schritt auf Miguel zu. Seine Hand zittert, als er zaghaft das Messer hebt und ich schüttle wild mit dem Kopf. „Aufhören!", schreie ich und es ist das erste Mal, dass mich der Engländer wieder ansieht. Seine Augen bohren sich in meine, ich verbrenne unter seinem Blick. „Das können Sie nicht tun", schluchze ich. „Sie können ihn doch nicht einfach umbringen, das was Sie da tun ist seelische Folter. Es ist grausam. Es ist..." Meine Stimme erstickt, bricht ab. Er grinst mich amüsiert an.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt