Seventy-Seven. Trap

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♦ Emily ♦

Mit zusammengekniffenen Augenbrauen schaue ich in den Rückspiegel und zurück zur Uhrenanzeige am Armaturenbrett. Wir sind bereits seit 20 Minuten unterwegs und angesichts der Tatsache, dass ich die Strecke vom Haus bis zur Tankstelle in einer halben Stunde gelaufen bin, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns noch in der Nähe der Villa befinden. Noch dazu will dieses eklige Gefühl in meinem Nacken nicht weichen. Es gleicht einem ähnlichen Unmut wie vor wenigen Tagen auf dem Weg zu Santos. Dennoch rede ich mir ein, dass ich mich täuschen muss. Ich kann nicht behaupten, mich augenblicklich für sonderlich zurechnungsfähig zu halten.

Ich habe gerade meine erste wirkliche Chance auf Freiheit vertan. Einfach so, als bedeute sie nichts. Als wäre ich es selbst nicht Wert so zu leben, wie ich es möchte. Fernab von Gewalt, Hoffnungslosigkeit und Ängsten. Langsam glaube ich beinahe, dass ich einen Hang zum Masochismus entwickelt habe. Oder wieso tue ich mir das alles an? Wo ist die Emily hin, die vor wenigen Monaten noch in mir gewohnt hat? Meine Mutter wäre enttäuscht. Ihre Erziehung beinhaltete immer die Werte der modernen Gesellschaft – Selbstbewusstsein, Emanzipation und Gleichberechtigung. In der Ehe meiner Eltern gab es kein Oberhaupt, kein Machogehabe, keine Ungerechtigkeit. Natürlich stritten sie manchmal, doch sie waren sich ebenbürtig. Eben genau das, was sie mir immer vermittelt haben – beide.

Und nun? Nun befinde ich mich in den Fängen eines Machos wie er im Buche steht. Schlimmer noch, einem Macho mit psychopatischen Zügen und einem eindeutigen sehr ausgeprägten Kontrollwahn. Ich habe es vermasselt. Ich habe meine Eltern verleumdet und mich selbst dazu. Ist dies ein weiterer Grund dafür, dass ich meine Chance zu fliehen verpasst habe? Weil ich mich für das schäme, was aus mir geworden ist? Vielleicht.

Tief atmend schließe ich die Augen, nur um sie gleich darauf wieder zu öffnen und Diego anzublicken. „Wir müssen schon längst die Einfahrt verpasst haben", sage ich leise auf Spanisch und erkenne aus dem Augenwinkel wie sich seine rechte Hand fester um das Lenkrad spannt. Er wirft mir kurz einen Blick zu, der mir erneut Gänsehaut die Wirbelsäule hinabtreibt.

„Diego?!" Meine Stimme klingt fragend und auffordernd zugleich. Er reagiert mit einem Räuspern und auch wenn ich die Tachoanzeige nicht genau sehen kann, spüre ich, wie er beschleunigt. „Vertraust du mir, Guapita?", fragt er und schnauft tief durch. Ich selbst befinde mich in einem Déjà-Vu. Ehrlich gesagt vertraue ich niemandem mehr. Nicht einmal mir selbst. Doch die Anspannung in Diegos Körper bringt mich dazu zaghaft zu nicken, selbst wenn ich es nicht so meine. Er brummelt zustimmend und ich atme tief und bedacht ein und aus, da sich eine Panikattacke in meinem Innersten zusammenbraut. Meine Handinnenflächen beginnen zu schwitzen, mein Puls rast und mir wird eisigkalt. „Diego, was geht hier vor?"

Er antwortet nicht.

Etwas an ihm, an der Art wie er sich mir gegenüber verhält, hat sich verändert. Ich kann nicht beschreiben was es ist, nur, dass es mir nicht gefällt. Der Wagen wird langsamer und wir biegen in eine asphaltierte Seitenstraße ab, die tief in den Wald hineinführt. Der Schneefall hat nachgelassen und die Scheinwerfer enthüllen einige Reifenspuren entlang des Weges. Mir fällt es immer schwerer meine Panik nicht zuzulassen und auch Diego scheint es aufzufallen, dass ich kurz davor bin auszuflippen.

„Dir passiert nichts. Ich passe auf dich auf, okay?", flüstert er sanft und schenkt mir ein kleines Diego-Lächeln von der Seite. Es hilft mir ein wenig mich zu entspannen, wenn mich seine Aussage auch gleichzeitig aufwühlt. Wo bringt er mich hin, dass er auf mich aufpassen müsste?

Hat Ben wieder einen seiner grausigen Pläne entwickelt um mich zu quälen und zu bestrafen? Eigentlich dachte ich, dass wir diese Phase hinter uns gelassen hätten. Allerdings dachte ich auch, dass er mehr in mir sehen würde als seine Gefangen.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt