Twelve. Surprise

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♦ Emily ♦


Ich weiß nicht, wie lange ich an der Wand sitze und heule, während ich mit bebendem Körper die Tür fixiere. Die Angst, dass er zurückkommt ist größer denn je. Die letzten vier Tage kam er nur um mich anzustarren, als ob er mich so zum Reden bringen könnte. Auch das war Angsteinflößend. Doch seine Präsenz, seine Nähe ist schlimmer, als das bloße Starren seiner eiskalten Augen. Sein muskelbepackter Körper hat mich daran erinnert, dass ich vollkommen machtlos gegen ihn bin. Er kann mich wie eine Fliege zerquetschen, wenn er das möchte und ich hätte nicht die geringste Chance.

Die Erinnerungen an seine Schläge sind in dem Moment zurückgekommen, als seine rauen Finger sich auf mein Kinn legten. Als seine harten Gesichtszüge so unerschütterlich auf mich hinabgesehen hatten. Nur weiß ich noch nicht, ob mir der Tod lieber ist, als meinen Stolz beiseite zu schieben und mich zu fügen. Ich kann sein Machtgehabe nicht leiden. Auch wenn ich bezweifle, dass es nur eine Masche ist. Er hat diese Macht. Dessen bin ich mir mittlerweile sicher.

Die letzten Tage, hungrig und gefangen in der dunkeln Einsamkeit haben mich nahe an den Rand des Wahnsinns gebracht. Das Verließ im Keller war nur der Anfang. Die Isolation ist die schlimmste Folter, die ich mir vorstellen kann und ein paar Mal war ich kurz davor die Frau anzusprechen, die mir mein Essen täglich bringt. Jedoch ist sie immer mit Hulk persönlich im Schlepptau aufgetaucht, sodass ich mich grundsätzlich Schlafen gestellt habe. Selbst die Auseinandersetzung mit Ben fühlt sich merkwürdig befreiend an. Er hat mich angegriffen, mir wehgetan. Doch ich konnte die Stimme eines Menschen hören. Ich konnte die Nähe eines anderen spüren und die Wärme eines Körpers fühlen. Und das macht mir noch mehr Angst. Angst, die mich sowieso schon 24/7 beherrscht, die mich schreiend aus dem Schlaf aufschrecken lässt, die mich Dinge in der Dunkelheit sehen lässt, die gar nicht da sein können.

Ich bin kurz davor einzuknicken. Beziehungsweise bin ich das bereits. Das kurze Aufflammen seiner Augen war deutlich zu sehen, als ich ihn angeschrien habe. Seine Genugtuung war unübersehbar. Was auch immer er sich davon verspricht.

Nachdem mein Heulkrampf aufgehört hat, schleppe ich mich über den Boden zum Bett und krieche auf die große Matratze. Meine Glieder sind schlaff, als hätte ich sie monatelang nicht bewegt. Dank des Puddings fängt mein Magen an zu rebellieren und krampft. Es war vielleicht nicht die beste Idee, etwas Süßes und Fettiges als erste Mahlzeit nach Tagen zu wählen. Ich konnte jedoch nicht wiederstehen. Das war das erste Essen das nicht mit Fleisch behaftet war. Somit hat mein Verlangen nachgegeben und mich zum Aufgeben gezwungen.

Weitere Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich rolle mich verzweifelt zusammen, ziehe die Decke über mich und schaue geradlinig durch die Dunkelheit hindurch. In Gedanken versuche ich mir vorzustellen, wie warm die Luft draußen wohl sein mag. Wie eine laue Brise durch mein Haar weht, salzige Meeresluft sich in meiner Nase festsetzt. Vögel, die im Hintergrund zwitschern und warmer Sand zwischen meinen Zehen. Allerdings nicht meine Vorstellungen mittlerweile so dunkel und aussagelos geworden, dass es eher einem Gruselfilm gleicht. Die warme Luft wird eisig. Der Wind wirbelt haltlos an mir vorbei, schmeißt mich fast um. Die Palmen werden durch kahle Bäume und der Sand durch kalten Kies ersetzt. Krähen kreischen laut, umfliegen mich mit ihrem wilden Flügelschlag. Und das Meer wird eine unruhige See. Soweit bin ich also schon. Noch nicht einmal meine Fantasie gönnt mir etwas Frieden.

*

Blaue Augen, die auf mich zukommen und voller Zorn blitzen, lassen mich unsanft aus meinem Schlaf schrecken und ich sitze hochkant im Bett. Ich brauche einige Sekunden, um mich zu orientieren, blinzele gegen meine verquollenen Augen an, fast so sehr schmerzen wie das Loch in meinem Bauch. Träume ich noch? Verschreckt blicke ich mich um, zucke zusammen als ich die Silhouette eines Mannes am Ende des Raums entdecke. Zwar ist es dunkel, doch meine Augen haben sich mittlerweile so sehr an das fehlende Licht gewohnt, dass ich sofort erkenne, dass es sich nicht um Ben handelt.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt