Two. Illusion

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♦ Emily ♦


12 Stunden zuvor.

„Bin gleich wieder da-ha. Ich mache mich nur schnell auf die Suche nach etwas Essbarem", flöte ich von der Tür aus. Als ich nur ein einstimmiges Brummen höre, gehe ich grinsend in den Gang hinaus. Meine beiden besten Freunde vegetieren im Bett weiterhin als Schnapsleichen vor sich hin. Wohlgemerkt haben wir bereits späten Abend. Das hat man dann anscheinend davon, wenn man bis zum Morgengrauen feiert und mehr trinkt als eine ganze Kneipe voller Russen es könnte. Ich hingegen war brav. Wie immer. Nachdem wir gestern Abend hier in Medellin angekommen sind, bin ich artig in mein Bett gegangen und habe mich erstmal erholt. Während Ann und Marco also ihren Vollrausch ausgeschlafen haben, habe ich bereits die halbe Stadt erkundet.

Das hier ist mein wahrgewordener Traum und ich bin noch immer mehr als glücklich darüber, dass meine Familie ihn mir ermöglicht hat. Seitdem ich vor knapp sieben Jahren eine Postkarte aus Südamerika in der Hand gehalten habe, möchte ich dieses Land besuchen. Und nun ist es tatsächlich wahr geworden. Alle haben zusammengelegt, um mich zu meinem bestandenen Abschluss zu überraschen. Jetzt bin ich hier in Kolumbien mit meinen besten Freunden und ich habe die Aussicht, die nächsten drei Wochen hier zu verbringen. Unsere Unterkunft ist einfach, aber komfortabel. Auf Wunsch meiner Mutter liegt sie nicht direkt in der Großstadt, sondern etwas außerhalb in einem kleinen Dorf, wo jeder jeden kennt. Zumindest ist sie der Überzeugung davon, dass es dort so ist. Nach so kurzer Zeit kann ich das natürlich noch nicht bestätigen, aber dieser kleine Randbezirk ist mehr als bezaubernd.

Lächelnd schließe ich die Augen, als ich auf die Straße trete und atme ein paar Mal tief ein und wieder aus. Der Duft des Oleanders kitzelt in meiner Nase und ich schüttle mich leicht, seufze und blicke nach rechts und links, ehe ich mich entscheide meinen Weg geradeaus einzuschlagen. Dort war ich heute nämlich noch nicht. Es dämmert schon leicht und die flachen Dächer der bunten Häuser vor mir werden in ein warmes Orange gehüllt. Es ist lebhaft hier. Überall regt sich etwas und ich kann mich gar nicht an den vielen Eindrücken sattsehen, die um mich herum herrschen. Hier kommt mir alles bunter, satter und leuchtender vor. Die Gerüche wirken intensiver und die Geräusche lauter.

Ich lächele jedem freundlich zu, der meinen Weg kreuzt und ich beobachte gerade einen Mann auf dem Fahrrad, der in seinem Gepäckträger tatsächlich ein Huhn mit sich herumfährt. Meine Vorfreude auf die nächsten Wochen steigt von Minute zu Minute weiter und ich reibe mir die Hände, ehe ich einen kleinen Lebensmittelladen zu meiner Linken entdecke. Zielstrebig öffne ich die Tür, die ein lautes Klingeln verursacht, und wieder lächele ich mein nettestes Lächeln, als der Mann hinter der Kasse seine Augenbrauen nach oben zieht. Ja, ich habe schon gemerkt, dass Europäer hier nicht viel gesehen sind. Vor allem nicht so offensichtliche Europäer, wie ich einer bin. Meine Haut ist blass, da sie dieses Jahr noch kaum Sonne angekriegt hat, nur ein paar kleine Sommersprossen auf meiner Nase deuten darauf hin, dass ich schon mal vor die Tür gegangen bin. Meine blonden Haare fallen mir in Locken über den Rücken und auch meine grünen Augen scheinen eher eine Seltenheit darzustellen.

Schmunzelnd sehe ich mich in dem Laden um und es macht mir nicht gerade den Anschein, als wäre hier alles feinsäuberlich sortiert. Deswegen gehe ich auf Erkundungstour. Das macht sowieso viel mehr Spaß. Meine Augen wandern entlang der Regale, die gefüllt sind mit Gewürzen und bunten Früchten. Vorsichtig stupse ich mit meinem Finger gegen eine Frucht, die aussieht wie eine Tomate, aber viel ovaler ist. Mir läuft alleine bei dieser saftig roten Farbe das Wasser im Mund zusammen.

„Kann ich Ihnen helfen, Miss?", ertönt es auf Spanisch hinter mir und ich zucke ertappt zusammen. Langsam drehe ich mich um ich blicke mit roten Wangen zu dem Mann, der vorhin noch an der Kasse stand „Ähm, darf ich fragen, was das hier ist?" Ich zeige auf das Tomatenartige Ding und räuspere mich. Zwar wurde mir bestätigt, dass mein Spanisch sehr gut sein soll, aber es ist und bleibt eben Schulspanisch. Deswegen bin ich immer noch ein bisschen unsicher. Der Mann nennt mir einen Begriff, den ich noch nie in meinem Leben gehört habe und ich nicke nur dankbar. „Sonst noch etwas?", fragt er weiter und ich schüttle vehement mit dem Kopf. Mit einem Nicken verschwindet er wieder hinter den Regalen und ich greife nach den überreifen Mangos, sowie einer Guave. Ich weiß noch nicht ganz, was ich mit letzterer anstellen werde, aber Google wird mir das bestimmt verraten.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt