Fourty. Broken

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♦ Emily ♦

Meine Wangen schmerzen schon nach wenigen Sekunden, weil ich sie vermutlich so unnatürlich verziehe. Zumindest fühlt es sich so an. Die Sehnsucht und Angst nach meiner Familie frisst mich förmlich auf und es ist allein Bens unerbittlichem Griff an meiner Hand zu verdanken, dass ich nicht schon längst zu Boden gegangen bin. Die letzten Wochen über hatte ich es kaum zugelassen an meine Eltern und an meinen Bruder zu denken. Ihn jetzt gesehen zu haben, ihn auch noch in Gefahr zu wissen, tut höllisch weh. Gott, ich verachte Ben dafür. Für alles was er mir bereits angetan hat. Sei es die körperliche Tortur oder der seelische Schmerz. Bis jetzt hatte ich es erfolgreich geschafft mich seiner Autorität zu entziehen. Jetzt hat er förmlich eine Ertrinkende an der Angel.

Ich würde alles für meine Familie tun. Selbst wenn das bedeutet, dass ich für immer in dieser Hölle gefangen sein sollte.

„Egal was heute Abend passieren sollte, du bleibst immer an meiner Seite", raunt mir Ben zu und reißt mich somit aus meiner Melancholie. Ich wage es nicht ihn anzusehen. Aus Angst, etwas zu tun was meinem Bruder das Leben kosten könnte. „Hast du das verstanden, Emily?" Zur Verdeutlichung drückt er meine Hand fester und ich nicke nur. Meine Sicht klärt sich langsam etwas auf, lässt es zu, dass ich so langsam meine Umgebung wieder wahrnehme. Die Kälte meiner Hände löst sich und wird durch das Gefühl von Bens heißer Haut verdrängt. Mein Hirn erwacht und mein Pulsschlag wird etwas ruhiger. Nur um sofort wieder in die Höhe zu schießen, als ich begreife wo wir uns befinden.

Wir laufen an kleinen runden Tischen vorbei hinter denen eine große Bühne aufgebaut ist. Darauf befreit sich eine junge Frau gerade von ihrem BH und entblößt ihre blanken Brüste. Geschockt sehe ich mich um, entdecke zwischen den vielen Tischen kleine Podeste mit Poledance-Stangen und am rechten Ende des Raums eine Bar. Die Frau dahinter ist zwar nicht nackt, aber ihre Klamotten bedecken so gut wie gar nichts. Ben hat mich in einen verfluchten Stripclub geschleppt!

Mein Gesicht glüht, mein Kopf brummt und ich stolpere beinahe, als eine Kellnerin mit einem Netzkleid an uns vorbeiläuft. Sie trägt nichts darunter. Gar nichts. Peinlich berührt senke ich meinen Blick, achte auf meine Schritte, die weiterhin von Ben gelenkt werden und versuche ruhig ein und auszuatmen. Ich darf nicht ausflippen. Ich muss tun was er von mir verlangt. Das ist wie mein neues Mantra, das ich stumm wiederhole und wiederhole.

Als wir stehen bleiben wage ich es vom Boden aufzusehen, was vermutlich keine gute Idee war. Mir wird nämlich noch wärmer. Direkt gegenüber von uns sitzen zwei Männer, einer der beiden hat ein Mädchen auf seinem Schoß sitzen und fährt ihr ungeniert unter den kurzen Rock, ehe er sich mit einem Blick zu uns aufrichtet, das Mädel von seinem Schoß schiebt und ihr noch einen Klaps auf den Hintern gibt. Sein Kumpel tut es ihm gleich und ich beobachte wie in Trance, wie Ben ihre Hände schüttelt. Weiß Gott, ich bin nicht prüde, aber mit so viel Freizügigkeit weiß ich einfach nicht umzugehen. Noch dazu beschleicht mich die Angst, dass diese Mädchen das nicht freiwillig tun. Schließlich sind wir in Kolumbien. Also sind sie entweder mittellos und auf die falsche Bahn geraten oder aber sie sind in das Netz von Menschenhändlern gegangen. Gänsehaut erfasst mich und ich bekomme so eine Scheißangst, dass ich am liebsten wieder losgeheult hätte. Panisch schiele ich zu Ben. Er würde mich doch nicht hierlassen, mich verkaufen oder...oder was auch immer?!

Rechts von uns steht Carlos mit verschränkten Armen wie eine Sicherheitsmauer und es ist wahrscheinlich das erste Mal seit ich hier bin, dass ich ihn lächeln sehe. Zumindest mit den Augen, die gerade die Show auf der Bühne verfolgen. Das macht meine Angst echt nicht besser.

„Hugo, Raul, darf ich euch meine neue Angestellte Emily vorstellen?" Ben schiebt mich weiter in Richtung Tisch und geistesgegenwärtig strecke ich den Männern meine Hand entgegen, die sie grinsend schütteln. Erleichtert atme ich durch den Mund aus und durch die Nase wieder ein. Er will mich nicht verschachern. Er meinte es so wie er sagte – ich soll für ihn arbeiten. Der Typ der gerade noch die Stripperin betatscht hat, lässt seinen Blick anzüglich über meinen Körper wandern und beschert mir eine große Portion Ekel. Meiner Schätzung nach zu urteilen, müsste er an die dreißig sein, der andere sieht aus, als wäre er schon weit über die Fünfzig hinaus. Beide haben dunkle Haut und dunkle Haare und eine stattliche Größe.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt