Eighty. Caller

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♦ Emily ♦

„Das ist keine Antwort auf meine Frage." Ben klingt abgeklärt wie immer, er spricht spanisch, ruhig und besonnen. Bilder von unseren letzten gemeinsamen Tagen flammen vor meinem inneren Auge auf und werden sofort davon verdrängt, wie sehr er mich doch verletzt hat. Wut, Freude, Hass, Erleichterung glimmen in mir auf und lassen mich erzittern. Meine Tränen versiegen und da bleibt am Ende nur ein kleiner, aufkeimender Funken Hoffnung, dass er mich wie ein strahlender Ritter retten wird. Selbst wenn ich weiß, dass er selbst eine schwarze Rüstung trägt.

„Nein?", antwortet Santos lachend. Er trommelt mit den Fingern gegen den Tisch, der bedrohlich unter seiner Bewegung wackelt.

„Nein. Ich fragte was du von mir willst um diesen Unsinn zu beenden. Keine Ahnung was sie mit der Sache zu tun hätte." Ich weiß, dass er von mir spricht. Nur will ich es nicht wahrhaben.

„Eine ganze Menge, mein Lieber. Wir könnten zum Beispiel einen Deal machen."

Ben seufzt theatralisch und es quietscht, als würde er sich auf einem alten Sofa zurücklehnen. Santos lässt seine Kunstpause noch kurz wirken, bevor er weiterspricht: „Ich übergebe dir dein hübsches, liebes Mädchen unversehrt zurück, dich müssen keine weiteren Schuldgefühle plagen, dass du ein weiteres Betthäschen von dir auf dem Gewissen hast und im Gegenzug ziehst du dich aus meinem rechtmäßigen Gebiet zurück, übergibst mir mein rechtmäßiges Erbe und verpisst dich ans andere Ende der Welt."

Mir wird schlecht. Von dieser Aussage, die in einem Tonfall gesprochen wird, als würde er gerade aus einem Buch vorlesen und von dem Blick, den er mir am Ende seines Satzes zuwirft. Düster, verheißungsvoll. Das Blitzen seiner Augen verrät deutlich, dass all dies nur eine große, fette Lüge ist. Genau wie Diego wird er mich den Löwen zum Fraß vorwerfen.

„Und du glaubst ich würde mich auf so einen Schwachsinn einlassen, weil...?"

„Oh, ich dachte die hübsche Kleine bedeutet dir etwas?" Santos sieht in Richtung Tür, nickt und kurz darauf klackern Schritte über das Parkett. Erschrocken fahre ich herum, erblicke den großen Mann, der entschlossen auf mich zukommt und schlucke schwer. Er war die ganze Zeit hier? Wieso habe ich ihn nicht bemerkt?

Panisch rutsche ich auf meinen Knien ein paar Meter vorwärts, wissend, dass ich sowieso keinerlei Chance habe. Meine Haare werden mit festem Griff gepackt, mein Kopf wird zurückgerissen. In meinen eingeschlafenen Armen beginnt es zu kribbeln und die Überdehnung meiner Wirbelsäule nimmt mir für einige Augenblicke die Luft.

„Falsch gedacht." Bens Timbre dröhnt in meinem Kopf, mein Herz setzt kurz aus und versucht anschließend vor meinen Gefühlen davonzurasen. Der logische Teil in mir weiß, dass ihm nichts anderes übrigbleibt, als eine solche Antwort zu geben. Aber... es klingt so ehrlich. Er klingt wirklich so, als wäre es ihm egal. Als wäre ich ihm egal. Wenn ich glaubte, mein Herz wäre vor wenigen Tagen gebrochen, dann habe ich mich getäuscht. Es bricht in diesem Augenblick in tausend Teile und hinterlässt nichts, außer Schutt und Asche. Es schmerzt, es tut körperlich weh. Es ist nichts im Vergleich zu dem Reißen an meiner Kopfhaut, oder zu dem Schmerz in jedem Muskel meines Körpers. Es ist schlimmer, als der ganze seelische Schmerz der letzten Wochen.

„Wenn du wirklich denkst, dass du mich mit einem kleinen Zeitvertreib ködern könntest, dann bist du ja noch dümmer als ich gedacht hatte." Bens bricht in schallendes Gelächter aus und auch aus dem Hintergrund vernehme ich mehrere männliche Stimmen, die Santos und mich verhöhnen.

Ein Ächzen dringt über meine Lippen, während mein Kopf noch weiter nach hinten gezwängt wird und ich fest davon überzeugt bin, bald keine Haare mehr zu besitzen. Ein Stuhl wird quietschend zurückgeschoben und dann nähern sich mir Schritte.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt