Nine. Silence

27.2K 1K 100
                                    

♦ Emily ♦


Sofort nehmen mich seine eisblauen Augen ins Visier. Er blinzelt noch nicht einmal, während er hinter seinem Rücken die Tür schließt. Einen Moment lang male ich mir aus, wie meine Möglichkeiten aussähen, an ihm vorbei zu rennen. Er hat die Tür nicht verriegelt. Doch zu meiner Ernüchterung muss ich feststellen, dass sich mein Körper sogar weigert aufzustehen. Ich bin zu schwach. Somit glaube ich nicht, dass ich mich besonders flink anstellen würde. Noch dazu ist er zu groß und muskulös, als dass ich auch nur den Hauch einer Chance hätte, mich gegen ihn zu wehren. Hulk gibt es wahrscheinlich auch noch, der draußen auf den Gängen herumlungert. Somit haben sich meine Gedanken auch schon erübrigt. Auch wenn sie mich ein wenig von Bens einschüchternden Gestalt ablenken, die sich mir mit großen Schritten nähert. Eigentlich will ich aufstehen und zurückweichen. Mich an die Wand drängen. Am liebsten möchte ich schreien und mich gleichzeitig zusammenkrümmen. Doch ich bleibe ohne Regung sitzen. Meine Augen können sich nicht von seinen lösen. Das einzige was sich an meinem Körper regt, sind meine zittrigen Finger und mein Magen, der sich anfühlt wie ein großes Loch, dass immer weiter aufklafft und sich in meine Gedärme frisst.

Er bleibt einen halben Meter vor mir stehen, sieht auf mich hinab und ich muss meinen Kopf leicht nach hinten neigen, um ihn weiterhin ansehen zu können. Der Geruch nach Aftershave ist stärker. Der Duft nach Zigarettenrauch klebt nicht länger nach ihm und ein Blick auf seine Haare verdeutlicht mir, dass auch er sich geduscht haben muss. Sie sind noch nass. Eine kleine Strähne hat sich gelöst und hängt ihm in die Stirn, was ihn viel jünger erscheinen lässt, als das zurückgekämmte Haar von vorhin. Obwohl er erneut einen edlen Anzug trägt. Wenn er auch das Jackett weggelassen hat. Das weiße Hemd spannt über seiner harten Brust und betont seine breiten Schultern. Die schwarze Stoffhose sitzt locker auf seinen schmalen Hüften und scheint sich perfekt an seine muskulösen Beine zu schmiegen. Alles in allem ist seine Erscheinung die eines Anwalts aus dem Fernsehen, dem alle Frauen nachschmachten. Doch ich weiß es besser. Sein eleganter Aufzug kann nichts an dem dunklen, gefährlichen Inneren ändern.

Bens Augen taxieren mich. Scheinen mich klein machen zu wollen. Doch nach meinem prüfenden Blick über seinen Körper, starre ich ihn genauso an, wie er mich. Hart und kühl. Verachtend. Auf seinem Mund zeichnet sich der Anflug eines Lächelns ab und er dreht kurz den Kopf, schaut zu dem Tisch mit dem Essen und wendet sich wieder mir zu. Er befeuchtet seine Lippen, seine Mundwinkel zucken. „Du möchtest nichts essen?", fragt er. Wenn ich könnte, würde ich ihm mal kräftig gegen die Stirn klopfen. Wenn er wirklich glaubt, ich würde mir in meiner momentanen Situation großartige Sorgen über Nahrungsaufnahme machen, dann bin ich wohl nicht die einzige, die wahnsinnig wird. Ich bleibe stumm. Bewege mich nicht und erwidere seinen Blick. Jedoch mit weitaus weniger Belustigung. „Du solltest wirklich etwas zu dir nehmen. Nicht, dass du noch schwächer wirst." Er geht noch einen kleinen Schritt weiter auf mich zu. Seine Augen wandern kurz an meinem gebrechlichen Körper entlang, ehe sie erneut meine gleichgültigen Gesichtszüge mustern. Fast muss ich wegen seiner Aussage lachen. Als ob es ihn auch nur im Geringsten etwas bedeutet, wie es mir geht. Ist ja nicht so, als hätte er mich bisher sonderlich liebevoll behandelt. „Schmeckt es dir nicht?", hakt er weiter nach. Spott schwingt in seinem Ton mit. Wahrscheinlich denkt er, ich wäre nicht in der Position irgendwelche Forderungen zu stellen. Womit er vermutlich sogar Recht hat. Doch ich schweige weiter. Ich behalte meine distanzierte Miene bei und rühre mich nicht.

„Ich weiß, was du hier versuchst." Seine Lippen zeigen nun ein deutliches Grinsen. Seine Augen funkeln auf. „Aber es wird nicht funktionieren, Darling. Entweder du isst, oder du verhungerst. Dein Trotz wird hier auf kein Gehör treffen. Also rate ich dir, das schnellstmöglich abzustellen", sagt er und ich beobachte dabei die Grübchen unter dem Schatten seiner Bartstoppeln. Es verstreichen wenige Sekunden, bis die Falten seiner Mundwinkel glatter werden. Mein Blick huscht über seine Augen, die sich nun leicht zusammengekniffen haben. Die Stille die von mir ausgeht, scheint ihn wütend zu machen. Wobei ich mir wieder denke, wie dumm ich doch bin. Jedes andere Mädchen hätte in meiner Situation alles getan, was er verlangt. Doch ich kann mich einfach nicht überwinden. Außerdem gibt es mir innerlich eine kleine Genugtuung, dass ich seine oberflächliche Ruhe ein wenig durchbrechen kann. Selbst wenn es nur durch mein störrisches, kindisches Verhalten sein mag.

„Wie du willst", knurrt er. Mit Schwung dreht er sich von mir weg, läuft zur Tür und schaut mich nochmals eindringlich an. Vielleicht wartet er darauf, ob meine große Klappe nicht doch noch etwas von sich gibt. Er wartet auf den gleichen Schlagabtausch wie vorhin. Aber ich werde ihm keinen Grund mehr geben, mich in irgendeiner Form zu verletzen. Ich weiß selbst nicht, was ich mir von der Stille oder meinem Hungerstreik verspreche. Mir ist nur wichtig, seine Regeln zu umgehen, ohne sie zu brechen. „Und du bist sicher, dass du mir nichts zu sagen hast, Darling?" Grinsend zwinkert er mir zu. Seine Maske ist wieder aufrecht und er lässt sich nicht mehr anmerken, dass er wütend ist. Starr schaue ich ihn an. Schnaubend schüttelt er mit dem Kopf, zwinkert mir zu und knallt die Tür lautstark hinter sich zu, ehe das Klimpern der Schlüssel zu hören ist.

Mein Magen knurrt hörbar, zieht sich zusammen und automatisch fixiere ich das Essen auf dem kleinen Tisch. Einige Sekunden lang bin ich versucht, mir zumindest die Kartoffeln einzuverleiben, doch auch diese sind bereits vom Fleischsaft durchtränkt, sodass ich mich ekele. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht. Schon als kleines Kind habe ich kein Fleisch mehr angerührt. Für die Enkelin eines Farmers ziemlich ungewöhnlich und meine Eltern hatte es furchtbar genervt. Bis sie dann merkten, dass es nicht nur eine Phase war. Mir geht einfach nichts runter, was zuvor mal Augen und eine Seele hatte. Wie sich die letzten Tage nur wieder bewiesen hat, sind Tiere sowieso liebevoller, als es die grausame Menschheit je von sich behaupten könnte. Ein Tier würde niemals aus Rache oder Hass töten. Auch nicht aus reiner Machtgeilheit, so wie es Ben getan hat.

Ein leiser Schrei geht über meine Lippen, als es plötzlich stockdunkel wird. So dunkel, dass ich nicht mal mehr die Hand vor Augen erkennen kann. Mein Atem beschleunigt sich wieder, wird abgehakt und ich starre angsterfüllt in Richtung der Tür. Nicht mal unter deren Spalt zeichnet sich ein wenig Licht ab. Ich fühle mich zurückversetzt, zu dem Zeitpunkt, als die Maske mir die Sicht genommen hat. Ich versuche mich auf dieses Gefühl einzulassen. Darauf, dass in der Dunkelheit nichts passiert ist. Hier ist es anders, als in all den Horrorfilmen. Hier geschehen grausame Dinge, sobald das Licht angeht. Trotzdem beruhigt sich mein Puls nicht. Meine Augen sind weit aufgerissen, meine Lider schmerzen. Wachsam versuche ich zu lauschen, doch es ist mucks Mäuschen still. Er straft mich also mit Dunkelheit.

_

Es vergehen vermutlich Stunden, in denen ich nur auf der Bettkante verweile und bewusst meine Angst zurückdränge. Denn sonst weiß ich nicht, wie lange ich all das hier noch aushalten soll. Ein paar Mal sind mir sogar vor lauter Erschöpfung schon die Augen zugefallen, doch ich schrecke jedes Mal vor meinen Albträumen auf. Es sind immer die gleichen Bilder. Jesus tote Augen, die mich anstarren. Immer und immer wieder.

Das fehlende Licht bedrückt mich noch mehr als alles andere. Immer wenn ich aufwache, überfällt mich Panik, dass auf einmal jemand neben mir stehen könnte. Deshalb erhebe ich mich mit weichen Knien, strecke meine Arme nach vorne und taste mich durchs Zimmer. Meine Finger fahren jeden Millimeter Wand nach einem Lichtschalter an. Ich vermute allerdings, dass sich die Elektronik nur mit dieser komischen Fernbedingung steuern lässt, die Ben dabeihatte. Im Gegenzug zu der mittelalterlichen Folterkammer im Keller, ist hier wohl alles auf dem neuesten technischen Stand. In meiner Verzweiflung klatsche ich sogar ein paar Mal. Aber es bleibt Nacht. Es bleibt dunkel. Dunkel, still und einsam. Das nächste Mal, als ich mich aufs Bett lege und die Augen schließe, bleibt es das auch in meinen Träumen und mein Körper darf sich endlich von all den Strapazen erholen.

Warum auch immer mich dieser Ben hier festhält, und warum auch immer er mich am Leben lässt; ich gebe nicht auf. Er wird mich nicht brechen. Zumindest nicht mit so einfachen Methoden. Es macht mich schon jetzt verrückt und kaputt. Aber so leicht lasse ich ihn nicht in meine Psyche eindringen. So einfach bin ich nicht zu Manipulieren. Dieser wunderhübsche Teufel wird sich viel mehr einfallen lassen müssen, um mir seinen Willen aufzuzwingen.

________

Guten Tag meine Lieben,

hier habe ich ein sehr kurzes Kapitel für euch, das euch Emilys Verzweiflung näher bringen soll. Das nächste Kapitel wird aus Ben's Sicht sein, somit werdet ihr ein bisschen was über all die Hintergründe erfahren :)

Danke euch lieben Lesern,

einen schönen Sonntag euch.

Eure Lary<3

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt