Fifty-Nine. Brotherly Love

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Benjamin

Drei Mal habe ich mir die letzten Stunden einen runtergeholt. Für nichts. Mein dauergeiler Zustand bleibt unverändert. Noch immer schmecke ich Emily auf meiner Zunge. Sehe noch immer ihr vor Lust verzerrtes Gesicht, als sie kam und dabei schöner aussah denn je. Ich spüre ihre seidige Haut unter meinen Fingerspitzen, höre ihr leises Wimmern nach mehr. Wahrscheinlich könnte ich mir den Schwanz abhacken und könnte noch immer an nichts Anderes denken. Im Nachhinein frage ich mich ja wirklich wie ich es geschafft habe, mich so zu beherrschen. Womöglich besitze ich eine weiche Seite in mir, die Jungfrauen nachsichtig behandeln möchte. Liegt eventuell daran, dass ich so gut wie keine Erfahrung mit jemanden habe, der so gar keinen blassen Schimmer zu haben scheint. Gut, eigentlich ist meine Erfahrung nicht existent. Die Frauen mit denen ich mich normalerweise umgebe um Druck abzulassen, schmeißen sich mir an den Hals oder werden dafür bezahlt, dass ich so richtig auf meine Kosten komme. Eine Jungfrau ist etwas völlig Neues in meinem Repertoire.

Blinzelnd sehe ich meinem Spiegelbild entgegen, zurre den Knoten meiner Glückskrawatte fest und schließe mein Jackett. Im gleichen Augenblick vibriert mein Handy auf der Kommode neben mir und zeigt mir eine Nachricht von Carlos an, dass sie unterwegs sind. Perfektes Timing, wie ich feststelle. Nochmals werfe ich einen Blick in den Spiegel, mustere meine harten Gesichtszüge, die keinerlei Emotionen nach außen verraten. Es ist meine Maske, die ich mir über Jahrzehnte angeeignet habe. Einzig meine Augen haben heute einen seltsamen Schimmer, was durch die silbergraue Glückskrawatte sogar noch mehr betont wird. Ich seufze, schüttele den Kopf und schalte mich selbst einen Idioten, der neuerdings an Wahrnehmungsstörungen leidet, ehe ich mein Handy schnappe, meine Heckler und Koch in den Hosenbund stecke und anschließend das Ankleidezimmer meines zweiten Büros verlasse. An sich ist es völlig überzogen, dass ich mich auf meinem eigenen Grundstück bis unter die Zähne bewaffne – noch ein Grund, weshalb ich ihn heute Morgen hierher gebeten habe – doch es fühlt sich immer besser an, wenn man ein paar Messer am Hosenbeinhalfter und eine Knarre im Bund stecken hat. Reine Vorsichtsmaßnahme. Letztlich hat das Arschloch es schon einmal geschafft mich in meinem Zuhause zu überraschen.

Bereits am oberen Treppenabsatz höre ich Stimmengemurmel und ich beschleunige meine Schritte, bis ich wie vom Donner berührt inmitten der Stufen stehen bleibe. Santos und zwei seiner Männer stehen in meiner Eingangshalle und gerade ist mein Cousin dabei, Maria Küsschen auf die Wange zu geben, die sich allerdings keinen Millimeter regt. „Meine Liebste, schön dich endlich mal wieder zu sehen", säuselt der Dreckssack. Er blickt nicht meine langjährige Haushälterin dabei an, sondern Emily. Meine Emily, die hinter dem Schutz von Marias Rücken steht und deren zierlicher Körper bis in jede Faser angespannt wirkt.

Scheiße! Verfickte, verfluchte, verquirlte Scheiße aber auch!

Der Schwachkopf, den ich extra vor meiner Schlafzimmertür positioniert habe, um sie daran zu hindern nach unten zu kommen, hat in diesem Moment sein Todesurteil unterschrieben!

Ich räuspere mich leise, unterdrücke meine Wut und schlendere betont lässig das letzte Stück nach unten. Meine Ankunft wird nicht einmal bemerkt. Kein Wunder, die Typen sind allesamt damit beschäftigt Emily anzustarren und dabei ihre Speichelproduktion im Zaum zu halten. Verübeln kann ich es ihnen nicht, jeder Mann mit funktionierenden Eiern würde das tun - Emily sieht wie immer verboten scharf aus. Dennoch verspüre ich das dringende Bedürfnis, den Gaffern meine Faust in ihre lüsternen Gesichter zu schmettern.

„Santos, mein Freund", begrüße ich ihn und bekomme meinen Pulsschlag halbwegs unter Kontrolle, als dieser sich von der Kleinen losreißt und seinen Blick mir zuwendet. Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie Maria Emily etwas zuflüstert, die daraufhin Peewee einen kleinen Stups gibt und einige Schritte nach hinten weicht. Die Töle scheint aber nicht auf ihr Kommando gehört zu haben, fletscht weiterhin die Zähne und knurrt Santos' Untergebe an. „Bruder!" Santos grinst, reicht mir die Hand und klopft mir auf die Schulter, als wären wir alte Bekannte die sich wunderbar verstehen. „Welch Überraschung, dass du mich in dein Heim eingeladen hast.", er betont das Wort dein mit Bitterkeit in der Stimme – ein sehr subtiler Hinweis darauf, dass wir beide hier aufgewachsen sind-, und macht eine ausschweifende Geste mit seinen Händen, „Ich bin schon gespannt, den Grund dafür zu erfahren." Erneut schweift sein Blick zu Emily, die mittlerweile deutlich energischer an Peewees Halsband zerrt um ihn von der Stelle zu kriegen, und seine erweiterten Pupillen verraten mir, dass er sich im Auto noch eine Line Koks gezogen haben muss. Seine fehlende Professionalität war nur einer der vielen Gründe weshalb ich das Erbe meines Onkels angetreten habe und nicht sein einziger Sohn. Bis heute kommt er damit nicht klar und versucht mit allen Mitteln sein Imperium zurückzubekommen. Zwar ist er noch immer ein koksender, schwanzgesteuerter Taugenichts, doch er hat in den letzten Jahren deutlich an Raffinesse dazugelernt. Schon alleine deswegen ist es wichtig, ihn im Auge zu behalten. Kenne deine Freunde, aber deine Feinde noch viel besser.

„Maria sei so nett und bring Emily und den Köter nach oben, bevor du uns etwas zum Frühstück bringst", sage ich bissig, ohne den Blick von dem halb-sabbernden Santos zu nehmen. Ein breites Grinsen bringt seine Augen zu leuchten und er geht auf Maria zu, legt ihr einen Arm um die Schultern und zeigt auf meine Irin. Ich breche ihm gleich alle Finger.

„Nicht doch." Er dreht sich mit Maria im Arm zu mir um und legt den Kopf schief, während in ihren Augen deutlich die Abneigung gegen meinen Cousin zu lesen ist. „Ist es nicht deutlich angenehmer in Gesellschaft einer Dame zu essen? Das wäre doch äußerst unhöflich." Mit gehobener Augenbraue leckt er sich über die Lippen. Und wie ich ihm die Finger breche!

„Das was wir zu besprechen haben ist persönlich", knurre ich und gebe Maria mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass sie meiner Anweisung Folge zu leisten hat. Sie nickt, befreit sich aus Santos Umarmung und greift hektisch in Peewees Halsband um ihn aus seiner Angriffsstellung zu reißen. Sie kennt Santos, sie kennt seine geheuchelte Freundlichkeit und sie mag Emily. Deshalb ist ihr auch klar, dass sie schleunigst aus seiner greifbaren Nähe verschwinden soll. Dass sie dabei sogar einen Hundebiss riskiert, verblüfft mich. Obwohl Peewee diesmal nicht nach ihr schnappt und letztlich seinen Wiederstand aufgibt, einmal kräftig bellt und dann die Treppen nach oben hechtet. Maria folgt ihm im Laufschritt und Emily gleich hinterher.

Erst jetzt fühle ich, wie ich wieder halbwegs durchatmen kann und rolle meine verspannten Schultern. „Seit wann hältst du es für nötig deine Nutten aus dem Geschäft rauszuhalten? Sieht dir nicht ähnlich, Bruder", spottet Santos und packt Emily am Handgelenk, ehe ich reagieren könnte. Instinktiv mache ich einen Schritt auf ihn zu, balle die Händen zu Fäusten und besinne mich in letzter Sekunde. Wenn ich ihm zeige, dass Emily mir etwas bedeutet, habe ich ein verdammt großes Problem. Wo auch immer diese Einsicht gerade herkommt – damit muss ich mich später beschäftigen.

„Lass mich los", faucht sie auf Spanisch und versucht sich seinem harten Griff zu entziehen. „Die Störrischen sind mir die liebsten", raunt er und fährt mit seinem Daumen beinahe ehrfürchtig über ihre samtig weichen Wangen. Es bereitet mir körperliche Schmerzen dabei zusehen zu müssen und nicht eingreifen zu können. Ebenso ihr angstvoller Blick, der sich wie ein Messer in meine Eingeweide bohrt. Die Erkenntnis, dass ich nichts tun werde, trifft sie mit voller Wucht und da, wo vorher noch Furcht war, befindet sich nun Verständnislosigkeit und Wut.

„Sie ist keine Nutte", bringe ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und zwinge mich, meine Augen von Emilys grüner Iris zu lösen. Mich selbst zu foltern, erscheint mir im Moment nicht allzu klug. Der Zug mit dem ‚einen kühlen Kopf bewahren' ist zwar schon längst abgefahren, aber ich muss irgendwie Herr der Lage bleiben. Ansonsten geht mein Plan in die Hose. Und wie er das wird...

„Meine Zeit ist begrenzt, also sollten wir uns um das Geschäftliche kümmern." Stoisch marschiere ich ins Wohnzimmer, wissend, dass Santos und seine Gefolgschaft mir folgen werden. Emily wird er so schnell nicht aus seinen Klauen entlassen, dafür kenne ich ihn zu gut. Er kannte noch nie die allgemeinen Grenzen. Kannte noch nie den Punkt, an dem es besser ist, seinen Kopf ein- und den Penis auszuschalten. Wenn ich ein kranker Sadist bin, dann gibt es für meinen Cousin aka Stiefbruder keine Beschreibung, die in irgendeinem Sprachgebrauch zu finden wäre. Ihn könnte Emily problemlos ein Monster nennen – denn das ist er. Ohne Rücksicht auf Verluste.

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Soooo. Ihr hattet Recht. Santos erscheint mal wieder auf der Bildfläche und macht Ärger. Wie wird das ausgehen? Emily ist ja schon immer ein Hitzkopf... und Ben. Naja, ob der sich beherrschen kann?

Ganz liebe Grüße an euch!

Eure Lary<3

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt