Fourty-Six. Hulk

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♦ Emily ♦

Wut, Hass und Enttäuschung mischen sich in mir zu einem explosiven Cocktail und ich stampfe mit dem Fuß auf, während ich mich schwungvoll umdrehe.

Carlos steht in der Tür, füllt diese komplett aus und hat wieder seine undurchdringliche Miene aufgesetzt. Mit einer ausladenden Handbewegung zeigt der den Gang entlang, stößt sich vom Türrahmen ab und läuft los. Wie es scheint will er, dass ich ihm folge. Vor mich hin murrend laufe ich ihm nach, noch immer zu geschockt, um auf irgendwelche äußere Einflüsse zu reagieren. Ich bin auf 180. Ich ärgere mich über mich selbst, da ich tatsächlich zu bescheuert war zu glauben, dass Ben auch eine nette Seite in sich trägt. Ich ärgere mich über Ben, seine Kontrollsucht, seine Dominanz und seine Kaltschnäuzigkeit und dass alleine seine Präsenz ausreicht, um etwas noch nie da gewesenes mit mir anzustellen. Genauso so sehr ärgere ich mich darüber, dass ich Hulk wie ein treuer Hund hinterherdackele und mich somit in die nächste bekloppte Situation katapultiere.

Wir kommen in einem riesigen und weitläufigen Raum an, der zum Garten hin komplett verglast ist. Der Boden ist teilweise mit Matten ausgelegt, schwere Boxsäcke hängen von der Decke und ein riesiges Arsenal an Fitnessgeräten steht im Raum verteilt. Verglichen mit dem kleinen Fitnessstudio ein paar Orte von zu Hause entfernt, gleicht dies einer absoluten Luxuseinrichtung. Meine Augen entdecken hinter einem Raumteiler sogar ein Kältebecken und einen Pool.

Erschrocken zucke ich zusammen, als plötzlich Black Sabbath mit Paranoid aus den Boxen dröhnt. Carlos hat sein obligatorisches Jackett abgelegt, schnallt sich, während er auf mich zu schlendert, gerade seinen Waffengürtel mit einer Glock und etlichen Messern ab und lässt diesen achtlos auf den Boden fallen. Wäre ich nicht noch immer so wütend, würde ich mir vor Angst wahrscheinlich wirklich in die Hosen machen. Allerdings kann ich nur daran denken, dass Carlos Gesichtsausdruck so starr ist wie die der royalen Garde in London. Augenblicklich muss ich ihn mir mit roter Uniform und diesen riesigen Bärenfellmützen vorstellen. Mein Kopfkino läuft auf Hochtouren, ich kann es nicht abstellen. Gespielt hüstelnd halte ich mir eine Hand vor den Mund und versuche damit mein Kichern zu verbergen.

Der Druck, den ich bis eben noch in meiner Brust verspürt habe, wird etwas milder und ich kann wieder etwas tiefer Luftholen. Es beruhigt mich zu wissen, dass die alte Emily nach dieser langen Zeit noch immer in mir schlummert. Und es wir Zeit, dass ich meine Depression überwinde und aus meiner Starre erwache. Vielleicht sollte ich Ben für seine Demütigung danken? Schließlich ist er alleine Schuld daran, dass ich eine unbändige Kraft in meinen Muskeln spüre, dass ich endlich aus meinem Schneckenhaus krieche und mich wehren möchte.

„Wärm dich erstmal auf", brummt Carlos und zeigt auf eines der Laufbänder an der Fensterfront. Seine Stimme ist noch dunkler als die von Ben und deutlich rauer. Es klingt beinahe so, als würde er am Tag mehrere Schachteln Zigaretten rauchen. Sein Akzent erinnert mich an die typisch amerikanischen Hollywoodfilme und ich bin mehr als verblüfft. Mit seiner gebräunten Haut und den dunklen Haaren hatte ich ihn für einen Einheimischen gehalten. Bis jetzt habe ich ihn noch nie bewusst reden hören.

Möglichst selbstbewusst recke ich mein Kinn nach oben, räuspere mich und schlüpfe aus meinen Flip-Flops. Glücklicherweise hatte ich noch ein paar Leggins und ein einfaches Top in meinem Kleiderschrank gefunden. Im Kleid wäre mir das noch unangenehmer geworden. Da ich weiß, dass Carlos auf dieses Training genauso wenig Lust hat wie ich, komme ich seiner Aufforderung ohne zu meckern nach und schalte das Laufband ein. Schon nach wenigen Minuten fühle ich die Anstrengung in meinen protestierenden Lungen und auch meine Muskeln brennen. Die Wochen der Untätigkeit machen sich deutlich bemerkbar. Genauso wie meine Rippen und meine Oberschenkel vom gestrigen Zusammentreffen mit Raul schrecklich schmerzen. Aber ich genieße es, nicht länger nach einer Beschäftigung suchen zu müssen und mich mal wieder so richtig auszupowern. Vor allem dient das Laufen hervorragend als Stressbewältung. Sei es drum, dass ein furchteinflößender Riese unmittelbar in meiner Nähe ist und mich aus Argusaugen beobachtet. Er wird mir nichts tun. Letztlich ist er nur einer von Bens Pitbulls die erst beißen, wenn er nach ihnen pfeift. Das beruhigt mich.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt