Fourteen. Emptiness

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♦ Emily ♦


Ich spüre nichts mehr. Selbst der stechende Schmerz, der sich über meinen gesamten Körper ausgebreitet hat, fühlt sich taub an. Alles ist taub. Meine Arme, die seit Stunden an der Decke befestigt sind, mein geschundener Rücken, von dem ich mir noch nicht einmal ausmalen möchte, wie er nach der Behandlung mit den verschiedenen Peitschen aussehen muss. Meine Füße, deren Nerven vermutlich durch das eiskalte Wasser schockgefrostet wurden. Meine Wirbelsäule ist durch die Streckung wie ein steifer Stock, der sich bei jeder Bewegung windet.

Nur kann ich nicht sagen, ob ich den Verlust meiner Schmerzen als gut, oder als schlecht ansehen soll. Einerseits kommt mir diese Hölle hier nun erträglicher vor, andererseits erinnert es mich daran, dass ich langsam keine Kraft mehr habe. Zumindest gehe ich davon aus, dass es das zu bedeuten hat und ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein gutes Zeichen ist. Außerdem wäre es naiv zu denken, dass die Blutlache, die ich verschwommen vor mir auf dem Boden sehe, eine bildhafte Darstellung meiner guten Verfassung wäre. Wie viel Blut fließt nochmal in einem durchschnittlichen Erwachsenen? Ich bilde mir ein im Biologie-Unterricht mal etwas von 5 Litern gelesen zu haben. Durch den Schleier meiner Augen versuche ich zu erfassen, wie viel da über die Holzplatten fließen muss, aber diese Aufgabe scheint mir unmöglich. Zum einen habe ich ständig das Gefühl, als würde ich wegnicken und zum anderen, ist die Lache mittlerweile so verteilt, dass es ein sinnloses Erraten der Fläche der dazugehörigen Menge wäre. Es könnten gut drei Liter sein, oder eben auch nur dreihundert Milliliter.

„Schön wachbleiben." Emanuel greift nach meinem Kinn, zwingt meinen Kopf in den Nacken und presst seine Finger mit starkem Druck gegen meinen Kiefer. Wie lange es her ist, dass ich mich zuletzt versucht habe zu wehren, weiß ich nicht mehr. Ich habe meine aussichtslose Lage erkannt und akzeptiert. Etwas Anderes bleibt mir nicht übrig. Das einzige was mich quält, ist die Frage, weshalb ich nicht auf dem Weg hierher versucht habe abzuhauen. Ich hätte schreien, um mich schlagen und protestieren müssen. Doch meine ganzen Gehirnstränge sind in den letzten Tagen durcheinandergeraten. Als wüsste ich nicht mehr was richtig und was falsch ist. Die Einsamkeit, der Hunger, die Stille, all das hat mich an den Rand des Wahnsinns gebracht. Es lässt mich beten, dass es vorbei ist. Dass mir die Lichter ausgehen und ich einfach nur Frieden bekomme. Etwas Anderes wünsche ich mir gar nicht, oder?

Ich musste binnen einer Woche mehr psychische und physische Qualen erleiden, als zuvor in meinem ganzen Leben. Wahrscheinlich sogar mehr, als die meisten je in ihrem Leben ertragen müssen. Ist es das also wert, dass ich weiterkämpfe? Dass ich weiterhin an der Hoffnung festhalte, wieder in mein altes, unbeschwertes Leben zurückzukehren? Oder ist das doch nur der reine Überlebenswille, der für Millisekunden in meine Synapsen dringt und mich mehr quält als die Peitschenhiebe? Von sowas erholt mich sich doch nie mehr. Man hätte doch immer Verfolgungswahn, würde von Albträumen wachgehalten werden. Trotzdem wäre es egoistisch so zu denken. Der Mensch ist dazu gemacht, Traumata verarbeiten und damit leben zu können. Schon alleine für die Familie, die Hinterbliebenen. Ist es das, was mich nicht dem hellen Licht entgegengehen lässt? Ist es mein Unterbewusstsein, dass mich drängt nicht aufzugeben, um die Chance nicht verstreichen zu lassen, vielleicht doch irgendwann wieder in den Armen meiner Mutter liegen zu können?

Ein kalter Wasserschwall trifft auf mein Gesicht, ich japse nach Luft. Mein Kopf schnellt nach oben und ich blinzele die Wassertropfen weg, lausche meinem schnellen Herzschlag, der plötzlich wieder durch meine Adern schießt. Ich verschlucke mich, beginne zu husten, wodurch meine Schultern wieder wehtun. Durch die Bewegung scheint mein Blut wieder in Wallung zu kommen, um meine geschundenen Muskeln zu beleben. Wenigstens nur kurz. So kurz, dass ich mir den Schmerzen wieder bewusstwerde, der durch meine Eingeweide fährt. Als würde jeder Zentimeter meines Körpers in Feuer aufgehen, sodass ich die Zähne fest aufeinanderbeiße, um nicht lauthals loszubrüllen. Sonst wird er mich schlagen, mich peitschen, mich auf unaussprechlich sadistische Weise züchtigen, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte.

„Sagte ich nicht, du sollst wach bleiben? Sonst verpasst du doch alles", raunt er mir zu, gibt mir eine Ohrfeige und tritt an seinen Schrank zurück, wo all das schreckliche Werkzeug gelagert ist. Gerten, verschiedene Peitschen, Ruten. Christian Grey wäre begeistert. Meine Atmung ist abgehakt, ich möchte ihn ab liebsten anbrüllen, doch auch dazu bin ich nicht mehr fähig. Die Psychospielchen, die er mit mir getrieben hat, haben mich noch mehr brechen lassen, als die körperliche Qual. Er dreht mir jedes Wort im Mund um, macht mich verantwortlich für den Tod der beiden Menschen, die mich überhaupt erst hierhergebracht haben. Und es gab Phasen in den letzten Stunden, in denen ich ihm sogar geglaubt habe. Aber ich gebe diesen verqueren Gedanken keine Chance, sondern konzentriere mich nur darauf, dass ich nichts Falsches mache und er mir noch mehr Schaden zufügen kann. Obwohl auch das mein in Nebel getunkter Geist nicht mehr anständig hinkriegt. Mir fallen sowieso ständig die Augen zu, da ich mich mehr oder weniger in einem Delirium befinde. „Weißt du, es hat noch deutlich mehr Spaß gemacht, als du wach warst. Vielleicht sollte ich mir nun etwas Neues ausdenken?" Er hält eine scharfe Messerklinge nach oben, setzt sie an meinem Schlüsselbein an und fährt mit der stumpfen Seite langsam nach unten. Bei seinem lüsternen Blick muss ich fast kotzen, drehe meinen Kopf auf die Seite und versuche ruhig zu atmen. Schweiß tropft mir von der Stirn, dennoch ist mir in meinen klammen Klamotten eisigkalt. „Dann wird mir vielleicht endlich klar, weshalb du noch am Leben bist? Du musst anscheinend eine echte Granate sein, wenn der Boss die Gefahr eingeht, dich sogar hier zu behalten", sagt Emanuel und grinst. Um seine Augen entstehen tiefe Furchen, seine Zähne sind gelb und sein Atem riecht nach Zigarrenrauch. Seine Worte sickern erst nach einiger Zeit in meinen Kopf, sodass ich mich dazu überwinde, ihn angeekelt anzufunkeln. Triebgesteuerter, niederer Arsch! Was Anderes fällt mir dazu nicht ein. Auch wenn es mich zudem selbst interessieren würde, wieso ich nicht schon längst in einer ausgehobenen Grube vor mich hin schimmele.

„Aber so viel Zeit wird uns leider nicht bleiben, princesa." Er wandert mit der Klinge wieder höher, legt die Spitze auf mein Kinn und hebt somit mein Gesicht an. Mein Puls nimmt wieder Fahrt auf, die Angst kehrt zurück und weicht der Erschöpfung. „Er wird bald wieder hier sein und auch wenn ich mir sein Gesicht gerne ansehen würde, wenn er dich hier entdeckt, scheint es mir klüger zu sein, bis dahin das Weite gesucht zu haben. Nur konnte ich es mir einfach nicht nehmen lassen, meine beiden Freunde zu rächen, die nun wegen dir elendig verrotten müssen!", brüllt er und spuckt voller Verachtung auf den Boden. Ich kann spüren, wie das scharfe Metall sich in meine Haut bohrt. Meine Nerven kommen in Alarmbereitschaft und mir läuft es eiskalt den Rücken hinab, als er einen kleinen Schnitt nach unten setzt und das Messer direkt über meiner Kehle positioniert. Das hat er bis jetzt noch nie gemacht. Er hat keine meiner lebensnotwenigen Körperteile anvisiert. Hat nie davon gesprochen, dass er mich töten will. Auch wenn ich es geahnt habe. Meine Zwiespältigkeit macht mich verrückt und ich kneife die Augen zusammen, gespalten zwischen dem Wunsch nichts mehr spüren zu müssen und der Hoffnung weiterleben zu dürfen. Ich schüttele mich, fühle wie Tränen aus meinen Augen dringen und frage mich, wie es wohl sein wird zu sterben. Wird es wehtun? Was erwartet mich auf der anderen Seite? Gibt es die überhaupt?

Ich wage es kaum mich zu rühren, warte auf die Erlösung und hoffe dennoch auf ein Wunder.

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Hey ihr Hübschen :)

Entschuldigt, dass ich euch so lange hab warten lassen.

Hier habe ich ein kleines Zwischenkapitel für euch. Und ja, ich lasse euch noch etwas schmoren :D Sorry - not sorry.

Die Arme Emily muss ja wirklich was mitmachen, man kann nur weiterhin hoffen, dass Ben es rechtzeitig schafft sie zu retten...

Ganz liebe Grüße.

Eure Lary<3

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt