Sixy-Two. Family Reunion

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Benjamin

Wo, zur verdammten Scheiße, ist eigentlich Carlos? Und wie, zur Hölle, konnte ich mich so sehr verarschen lassen?

Diese zwei lächerlichen Fragen kreisen in meinem Kopf, während ich dabei zusehe, wie dieser Milchbubi an Polizist vor Emily steht, seine Marke hochhält und auf sie einredet. Beunruhigend genug, dass mir die Knarre an meiner Stirn gerade ziemlich egal ist, muss ich mir diesen Bockmist auch noch geben. Santos hat mich gelinkt, das muss ich wohl einsehen. Gut, ich wusste, dass er vorhat mich zu linken, sonst wäre er heute Morgen nicht bei mir aufgetaucht, aber ich habe ihn unterschätzt. Ich hätte nie im Leben geglaubt, dass das größte Sackgesicht im ganzen Land, tatsächlich mit einem Bullen zusammenarbeiten würde. Er hasst Gesetzeshüter und das aus tiefsten Herzen. Umso ärgerlicher ist es nun, die beiden in einer Verschwörung gegen mich zu sehen.

Den ziehenden Schmerz in meinen Schultern ignorierend, hefte ich meine Augen auf die Eingangstür, als könnte ich Carlos dadurch heraufbeschwören und Emilys Blicken auszuweichen, die sich in mein Gesicht brennen. Ich bin ein klein wenig verwundert darüber, dass sie nicht anfängt zu tanzen, mir die Zunge zu blecken, oder irgendein anderes fröhliches Zeug, das sie bei ihrer vermeintlichen Befreiung überkommen muss. Nein, sie macht keine Anstalten sich zu freuen. Ihr Gesicht ist bleich, ihr zierlicher Körper angespannt, als wollte sie schnellstmöglich davonlaufen. Und sie blickt mich an mit Angst in ihren wundervollen Augen. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich mir einen Kick in die Eier geben. Ich bin froh, dass sie es nicht tut.

Einen Moment lang erlaube ich mir noch sie zu mustern, sie mir einzuprägen, für den Fall, dass ich hier trotz aller Bemühungen draufgehen werde, bis ich mich von ihr abwende und überlege, wie ich es alleine gegen fünf Männer aufnehmen soll, ohne sie in Gefahr zu bringen. Fail. Auch das muss ich mir eingestehen. Wenn ich jetzt den Ninja Turtle raushängen lasse, ist Santos schneller bei ihr als ich Wichser sagen kann. Da bietet auch Alvarez nicht genügend Schutz für sie.

Okay, ich sitze echt metertief in der Kacke.

Ein bisschen verachte ich mich dafür, dass ich darüber nachdenke. Noch nie hat mir Santos einen so triftigen Grund geliefert, ihm eine Kugel zwischen die Augen zu jagen. Wenn er mich bedroht, darf ich ihn auch abknallen. So ist das bei uns, sodass ich nicht befürchten müsste, dass mein Ruf darunter leidet. Normalerweise ist es mir egal, wenn jemand wegen mir draufgeht, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Ist ja nicht mein Problem. Bei Emily geht das nicht. Ich kann sie nicht opfern, nur, weil ich mich mit meinem Plan verkalkuliert habe. Fuck, es geht einfach nicht. Egal, wie sehr ich mich auch dazu zwingen möchte. Gedanken kämpfen sich in meinen Kopf, die ich mit aller Macht zu unterdrücken versuche. Das letzte Mal, als ich mich so elend und hilflos gefühlt habe, war, nachdem Carmen getötet wurde, weil ich sie selbstsüchtig in meine Welt gezerrt hatte. Wirklich super! Es ist ungefähr der absolut tollste Zeitpunkt um so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu reaktivieren. Nicht.

Murrend starre ich Alvarez Löcher in den Rücken, in der Hoffnung, dass er endlich mit Emily aus der Gefahrenzone verschwindet, als er sich umdreht und lächelnd auf mich zukommt. Der Griff um meine Arme wird noch stärker und ich höre ein Knacken, das sich verdächtig nach einer ausgekugelten Schulter anhört. „Ich sagte doch, dass ich dich drankriege", brummt er mir mit schiefem Grinsen entgegen, wechselt einen Blick mit Santos und geht wieder auf Emily zu, die mich mit ihren unschuldigen Augen um Hilfe anzuflehen scheint. Ein spitzer Schmerz fährt durch meine Rippen hindurch und für einen Augenblick denke ich wirklich an einen Messerstich, ehe ich an mir hinuntersehe und erfolglos nach einer Wunde suche. Emilys Augen füllen sich mit Tränen und sie laufen über, während Alvarez ihren Arm nimmt und mit sich führt. Ich will dem Pisser an den Kragen! Eifersucht mischt sich mit dem größer werdenden Schmerzen in meiner Brust. Atemlos muss ich ihr hinterhersehen. Muss zusehen, wie sie aus meinem Sichtfeld und aus meinem Leben verschwindet.

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt