Twenty-Seven. Explosion

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♦ Benjamin ♦

Es kostet mich all meine Überwindung, nicht die Treppe nach oben zu steigen und Emily erneut beim Schlafen zuzusehen. Als die Sauerei im Wohnzimmer beseitigt war und wir nichts weiter zutun hatten, wollte ich lediglich nach dem Rechten sehen. Doch sie schlief. Tief und fest. Und ich hatte mich in einen Sessel gesetzt und ihr dabei zugesehen. Komischerweise hatte das schon in den letzten Wochen eine solch beruhigende Wirkung auf mich, dass auch ich irgendwann in einen ruhigen Schlaf gefallen und erst bei Sonnenaufgang wieder aufgewacht bin.

Das Haus ist furchtbar still und da ich die meisten meiner Arbeiter, die ich auf dem Gelände nicht zwingend brauche, nach dem gestrigen Chaos nach Hause geschickt habe, fehlt mir auch die nötige Beschäftigung. Selbst Carlos hat sich vor einer guten halben Stunde verpisst. Auch wenn ich nicht unbedingt wissen möchte, was genau in seiner Hütte im Dschungel vor sich geht. Entweder er lässt sich dort von einer Nutte den Schwanz wund vögeln, oder er hat lauter Jungfrauen in seinem Keller eingesperrt, die er Stück für Stück auseinandernimmt.

Grinsend über die Gedanken meines Sicherheitschefs schließe ich den Kaufvertrag eines neuen Clubs, stelle mir bildlich Santos Visage vor, wenn er in den nächsten Stunden mein Päckchen erhalten wird und erhebe mich von meinem Schreibtisch. Vor Diegos Zimmer bleibe ich stehen, rolle mit dem Nacken und klopfe der Höflichkeit halber an. Gestern hatten wir leider keine Gelegenheit mehr über die Vorfälle zu sprechen, da der Arzt bereits angekommen und ihm Schmerzmittel verpasst hatte und ich beschließe, dass jetzt der richtige Moment dafür gekommen ist.

Ich warte keine Antwort ab, öffne die Tür und blicke direkt in Diegos Gesicht, der mit dem Rücken am Bettgestell lehnt und ein Buch in den Händen hält.

„Wie geht's dir?", frage ich und ziehe mir einen Stuhl heran. Er nickt, zuckt mit den Schultern und hält seinen Daumen nach oben. Wenn ich gut im Lesen von menschlichen Emotionen wäre, würde ich beinahe behaupten, er wäre angepisst. „Was hat der Doc gesagt?", starte ich einen weiteren Versuch. Er presst Luft durch seine geschlossenen Lippen und seine Augen bohren sich in meine. „Streifschuss. Emily hat die Blutung mit den Pflastern gut gestoppt." Ihren Namen spricht er mit Nachdruck aus und ich lehne mich amüsiert zurück, verziehe die Lippen zu einem schiefen Grinsen und versuche mir meine Wut nicht anmerken zu lassen. Gut, dass er sofort auf den Punkt kommt.

„Nun", ich fahre mit dem Daumen über meine Unterlippe, „du solltest besser damit aufhören, dich für die Kleine zu interessieren. Du verlierst den Fokus."

„Den Fokus? Hätte ich sie als Schutzschild verwenden sollen, ja?", spuckt er mir entgegen. Seine Augen funkeln aufgebracht und erinnern mich an den aufmüpfigen Jungen, den ich vor sechs Jahren bei mir aufgenommen habe. „Davon rede ich nicht. Aber ich bin nicht blind und sehe, wie du sie ansiehst", erwidere ich trocken. Unbemerkt kralle ich meine Finger an dem Stuhl fest.

„Und weshalb genau stört dich das?" Sein Gesicht verzieht sich leidend, als er sich aufrichtet, doch sein spöttischer Tonfall ist unmissverständlich. Jedem anderen Menschen hätte ich für diese Trotzreaktion eine reingehauen. Aber Diego genießt bei mir Narrenfreiheit und leider weiß er das auch. Er war mir mehr ein Bruder, als Santos es jemals hätte sein können. Wahrscheinlich ist er die einzige verkümmerte Seele auf dieser Welt, die mir wirklich etwas bedeutet.

„Es stört mich, weil sie meine Gefangene ist und keine Nutte auf einem Basar." Ich versuche ruhig zu bleiben, aber Diegos zuckendes Lid verdeutlicht mir, dass er meine unterschwellige Wut schon längt erfasst hat. Er kennt mich zu gut.

„Oh bitte", er rollt theatralisch mit den Augen, „sie tut mir einfach nur leid. Und hättest du nur im Geringsten etwas, das man Mitgefühl nennt, würdest du das Gleiche empfinden. Deine Geschäfte mal außen vorgelassen, Ben, sie hat hier nichts zu suchen und das weißt du. Normalerweise hältst du Zivilisten aus allem raus und sie holst du hierher und quälst sie. Für was? Dafür, dass uns bald alles um die Ohren fliegt, weil die halbe Welt nach der hübschen Touristin sucht?"

Afraid of youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt