♦ Emily ♦
Ich gehe sofort zu Boden. Die Wunde an meiner Lippe platzt auf. Ich spüre den Geschmack von Eisen auf meiner Zunge und mir wird schlecht. Er hat nicht allzu fest zugeschlagen, das habe ich gemerkt. Trotzdem tut es fürchterlich weh und ich wimmere, als er mich am Kragen meiner Bluse packt und wieder auf die Beine zerrt. Es tut ihm leid. Das sehe ich ihm an und ich kneife meine Augen zusammen, mache mich auf den nächsten Schlag gefasst, der nicht lange auf sich warten lässt. Er boxt mir in die Magengrube und bevor ich mich winden kann, gibt er mir noch eine Ohrfeige auf meine blutende Lippe. Röchelnd sacke ich in mir zusammen, huste und kriege kaum mehr Luft. Mein Magen rebelliert und mit einem Mal macht sich jede Wunde an meinem Körper bemerkbar. Die Striemen an meinem Handgelenk fühlen sich an, als würden mir gleich die Hände abfallen. Mein verspannter Rücken drückt auf meinen Kopf, meine Wirbelsäule und mir wird schwindelig. Die Kraft sackt vollends aus meinen Beinen und meine gesamte linke Gesichtshälfte pocht vor Schmerzen. Mir wird das volle Ausmaß meines Aufenthaltes hier bewusst und ich krümme mich winselnd, blicke ängstlich zu Diego auf, der vor mir steht und mitleidig auf mich hinab sieht. Seine Finger zittern. Er ist bis auf die Knochen angespannt und formt mit seinen Lippen ein ‚tut mir leid', was mir hier jedoch auch nicht weiterhilft. Er hat meinen Schmerzen noch ein Krönchen aufgesetzt und auch wenn ich weiß, dass ich eigentlich ihm keinen Vorwurf daraus machen kann, tue ich es trotzdem. Es scheint so, als könnte ich hier keinem Menschen vertrauen. Nicht mal jenen, die mir helfen. Ben hat sie alle unter seiner Fuchtel und wahrscheinlich würde jeder seiner Männer sein Leben für ihn lassen.
Sogar der Einzige hier, der mir ein bisschen Hoffnung geschenkt hat, den ich irgendwie mag, fällt mir wegen diesem britischen Widerling in den Rücken. Es ist zum Verzweifeln und ich richte mich zaghaft auf, versuche mir meine Verletzlichkeit, meine Angst nicht anmerken zu lassen. Dafür bin ich zu stolz. Auch wenn es wahrscheinlich ein Fehler ist.
Mein Blick wandert zu Ben, der schief grinst und ich wische mir voller Verachtung das Blut von der Lippe, während ich kräftig schlucke, um die Übelkeit aus meinem Magen zu vertreiben. Er kommt auf mich zu. Galant, mit schwebenden Schritten. Und Diego tritt sofort zur Seite. Seine eiskalten Augen stechen mir selbst durch das gedämpfte Licht entgegen und das Tropfen auf dem Rohr dröhnt noch lauter in meinen Ohren, als es in den letzten Stunden der Fall gewesen war. Das Licht flackert, als er vor mir ankommt, sich sein elegantes Jackett aufknöpft und vor mir in die Hocke geht. Mir fallen seine muskulösen Schenkel auf. Ebenso seine großen Hände. Er hat lange Finger. Ausgeprägte Adern, die seinen Handrücken zieren und passend zu seinem ganzen Auftreten, sind sie sehr gepflegt. Sie sehen samtig weich aus und ich frage mich, wie eine solch zarte Haut, solche Schmerzen verursachen kann. Alles in diesem Loch wirkt gegensätzlich, schizophren und jede Stunde hier drinnen birgt weitere Überraschungen, die mich wahnsinnig werden lassen.
„Hast du etwa Regel Nummer drei und vier vergessen?", fragt er mich ruhig und ich rutsche unauffällig etwas von ihm weg, als ich diesen vertrauten Zimtgeruch in meiner Nase realisiere. Er erinnert mich an schönere Zeiten. Daran, wie meine Oma mit mir zusammen Plätzchen gebacken hat. Und das macht mich unendlich traurig. Bevor ich in diesen Urlaub gefahren bin, wollte ich sie eigentlich noch besuchen. Hatte mir jedoch keine Zeit mehr dafür genommen. Jetzt werde ich sie nie mehr wieder sehen. „Gibt es die irgendwo zum Downloaden? Dass ich sie mir aufhängen kann?", zische ich trotzig und beobachte, wie seine Mundwinkel zucken. Belustigt funkelt er mich an, zwinkert mir zu und steht wieder auf. Diego steht einen Meter entfernt und in mir drinnen spannt sich alles an, als Ben erneut auf ihn zugeht. Grob packt er ihn an den Haaren, schüttelt ihn und klopft ihm anschließend auf die Schulter. „Du kannst gehen. Ich brauche dich heute nicht mehr", sagt er und dabei fällt sein Blick wieder auf mein jämmerlich zusammengekauertes ich. Sofort fröstle ich, schließe meine Arme fester um meine angewinkelten Knie. Ich erkenne, dass dem kleinen Kolumbianer etwas auf der Zunge liegt, doch er verkneift es sich, nickt und verschwindet, ohne mich noch einmal anzusehen.
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Afraid of you
Tajemnica / ThrillerKolumbien. Gefangen bei einem der einflussreichsten Männer des Landes. Und es gibt kein Entkommen. "Auch er sieht mir direkt in die Augen. Er verzieht keine Miene. Kalt, wie die Farbe seiner Augen. Hart, wie die Muskeln an seinem Körper...