"Fehler machen,
das kann wirklich jeder.
Doch zu seinen Fehlern zu stehen,
dazu gehört Charakter."
Es war zehn vor fünf, als Chrystal bemerkte, dass sie sich langsam auf den Weg zu Dumbledore machen sollte. Sie hatte die letzten zwei Tage das Buch zur Tarnung komplett durchgearbeitet und gerade noch einmal alle Tarnungsarten wiederholt, um sich zu vergewissern, dass jetzt alles perfekt saß. Und das tat es. Schnell stellte sie das Buch ins Regal zurück und eilte dann zum Wasserspeier, dem sie das Passwort nannte und schließlich eintrat. Sie klopfte kurz an und Dumbledore bat sie herein.
„Guten Abend, Professor“, sagte Chrystal. Er sah sie über seine Halbmondbrille hinweg an und lächelte.
„Schön, dass du gekommen bist. Und wie verbringst du so deine Ferien? Ganz alleine?“
„Ich bringe mir neue Zauber bei und ich lese. Ich habe gerade ein Buch über Tarnungsarten zu Ende durchgearbeitet. Tonks hat mir in den Sommerferien mal erzählt, dass man das braucht, um Auror zu werden.“ Chrystal sah den Schulleiter an und meinte kurz einen traurigen Ausdruck über sein Gesicht huschen zu sehen.
„Du willst Aurorin werden?“, fragte er neugierig.
„Naja. Vielleicht… Ich möchte einfach irgendetwas bewirken können. Ich möchte irgendjemand sein, der Dinge verändern kann. Jemand bedeutendes, mächtiges…“ Dumbledore faltete seine faltigen Hände.
„Macht ist nicht immer der einzige Weg etwas zu bewirken, Chrystal. Sie kann verlockend sein. Sie kann dich verführen und andere Dinge vergessen lassen, auf die du eigentlich achten solltest.“ Er schwieg kurz. „Und hier sind wir eigentlich auch gleich bei unserem heutigen Thema angelangt. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob es gut ist dir davon zu berichten. Ob du es richtig verstehen kannst. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es wichtig ist, dass du davon weißt. Einfach aus dem Grund, damit du nicht dieselben Fehler machst, die ich gemacht habe. Und ich habe viele Fehler gemacht. Gravierende Fehler, die sogar einem, wenn nicht sogar mehrere, Menschen das Leben gekostet haben.“ Er sah jetzt wirklich bedrückt aus. „Vergiss bitte nicht, dass ich damals jung war. Wie du. Dass ich erfolgreich werden wollte und etwas bewirken wollte. Die meisten jungen Menschen wollen das. Und manchmal kommen sie dabei auf falsche Wege. Du musst erstmal wissen, dass ich eine kleine Schwester hatte. Ariana Dumbledore. Sie zauberte, als sie klein war, öfter im Garten und wurde dabei von einem Muggeljungen beobachtet, der Angst vor ihr hatte und mit Gewalt versuchte ihr das Zaubern auszutreiben. Sie war damals erst sechs und verkraftete das einfach nicht. Sie wollte nicht mehr zaubern und die Magie begann immer wieder in gewaltigen Ausbrüchen aus ihr herauszukommen. Sie wurde gefährlich. Mein Vater wollte seine Tochter rächen. Er griff die Muggeljungen aus Wut an und kam dafür nach Askaban. Ich weiß nicht, ob du je davon gehört hast, doch ich glaube es kaum, denn fast niemand weiß mehr davon. Meine Mutter wollte einen Neuanfang starten und wir zogen nach Godric´s Hollow, wo auch Lily und James Potter später lebten. Sie musste meine Schwester weiter vor der Öffentlichkeit verstecken. Und Ariana konnte auch nicht mit mir und meinem Bruder Aberforth nach Hogwarts gehen. Dann, ich war gerade mit der Schule fertig und wollte gemeinsam mit meinem Freund Elphias Doge eine Reise machen, wie es damals nach dem Schulabschluss üblich war, passierte etwas Schreckliches.“ Er machte eine kurze Pause und atmete tief durch. Es schien wirklich schlimm für ihn gewesen zu sein. „Ariana hatte einen von ihren Ausbrüchen und meine Mutter kam dabei ums Leben. Es war ein schwerer Schicksalsschlag. Für uns alle. Ich sagte meine Reise mit Elphias ab, um mich um meine Familie zu kümmern, denn ich war nun der Älteste. Du kannst dir vermutlich nur schwer vorstellen, wie das damals für mich war. Oder vielleicht kannst gerade du es dir besonders gut vorstellen. Ich war ehrgeizig. Ich war erfolgreich. Ich war Vertrauensschüler, Schulsprecher, Gewinner der Goldmedaille für meinen Beitrag zur Alchemistenkonferenz und britischer Jugendvertreter des Zaubergamots. Und dann das. Ich musste zu Hause bleiben. Musste mich um meine Schwester kümmern. Ich stürzte in ein seelisches Tief. Das war nicht das Leben, das ich hatte führen wollen. Das war nicht der Erfolg, den ich hätte haben wollen. Und dann zog Gellert Grindelwald bei unserer Nachbarin Bathilda Bagshot ein. Er war ihr Großneffe. Ich denke du hast von Grindelwald gehört, dem schlimmsten dunklen Magier seiner Zeit?!“ Er sah sie abwartend an.
„Ja. Er soll Muggel ermordet haben. Aber sie haben ihn doch besiegt. Nicht wahr, Professor?“ Chrystal musterte ihn.
„Ja… Am Ende habe ich das wohl, doch das hatte eine lange Vorgeschichte. Grindelwald und ich… Wir wurden gute Freunde. Ich hatte damals, so sehr ich es auch heute bereue, eine Abneigung gegen Muggelstämmige, weil sie meine Schwester zu dem gemacht haben, was sie eben nun mal war. Grindelwald und ich arbeiteten Pläne aus. Wir teilten die Meinung, dass Zauberer die Herrschaft zum Wohl der Muggel übernehmen sollten. Vielleicht kennst du den Spruch Grindelwalds: Für das größere Wohl. Wir beide haben das alles ausgebrütet. Gemeinsam mit den Heiligtümern des Todes, zu denen ich jedoch ein anderes Mal kommen möchte, wollten wir es schaffen. Und vermutlich hätten wir das auch, doch dann durchkreuzte mal wieder das Schicksal meine Pläne. Man könnte sagen, dass mich dieser Vorfall in die Realität zurückgeholt hat. Mich vor schlimmen Taten bewahrt hat, doch er hat ein großes Opfer gefordert. Meine Schwester. Es geschah bei einem Streit zwischen meinem Bruder Aberforth, Grindelwald und mir. Sie hat versucht dazwischen zugehen. Hat versucht zu helfen, doch dann wurde sie getroffen. Von einem Todesfluch. Bis heute weiß niemand von uns, wer es gewesen ist. Wer den Fluch abgefeuert hat. Es könnte jeder gewesen sein. Sowohl ich, als auch Aberforth oder Grindelwald. Bei der Beerdigung meiner Schwester kam es zu einer Schlägerei zwischen mir und meinem Bruder, bei der er mir meine Nase brach. Er beschuldigte mich, dass es nur durch mich und Grindelwald soweit gekommen war. Und ich nehme heute alle Schuld auf mich. Es war meine Blindheit, die zu ihrem Tod geführt hat. Mein blinder Hass auf die, die ihr das angetan haben, mein Streben nach Macht und Erfolg. Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Grindelwald floh, aus Angst jemand könnte ihn beschuldigen und ich hatte nun so gut wie alles verloren. Meine Eltern, meine Schwester, meinen ehemaligen besten Freund und auch so gut wie meinen Bruder. Ich war alleine, doch ich begann mich wieder hochzuarbeiten. Allerdings jetzt als Kämpfer für das Recht der Muggel. Grindelwald wurde mächtiger und setzte unsere gemeinsam erarbeiteten Pläne in die Tat um. Die Bevölkerung forderte von mir mich ihm zu stellen. Ihn zu besiegen. Ich zögerte den Kampf mit meinem ehemals besten Freund lange hinaus. Ich hätte es gleich tun sollen. Hätte mich ihm gleich stellen sollen, doch ich hatte Angst vor dem Moment. Dem Moment, in dem ich ihm wieder in die Augen sehen musste. Schließlich kam es doch soweit. Ich überwand mich, besiegte ihn und brachte ihn in das von ihm selbst erbaute Zauberergefängnis Nurmengard, wo er vermutlich heute noch sitzt. Danach wurde ich zunehmend öfter gebeten, doch als Zaubereiminister zu kandidieren, doch ich hatte meine Lektion gelernt. Ich konnte eben nicht mit zu großer Macht umgehen und deshalb wurde ich Schulleiter von Hogwarts.“ Er sah Chrystal über seine Halbmondbrille hinweg ernst an. Sie dachte nach. Das war also Dumbledores Geschichte. Eindeutig lang genug, um damit ein ganzes Buch zu füllen. Wenn nicht sogar mehrere. Doch was ihr das mal wieder bewusstgemacht hatte. Dumbledore war auch nur ein Mensch. Mit all seinen Fehlern und Schwächen. Er war nicht der allmächtige, perfekte, alte, weise Mann, für den ihn wohl viele hielten. Er hatte Fehler begangen und seine einzige wahrhaftige Stärke bestand wohl darin, dass er sie eingesehen hatte. Dass er versuchte es wieder gut zu machen und dass er wusste, dass er es wohl nicht mehr gut machen konnte. Das war etwas Bewundernswertes.
„Das tut mir leid, Professor“, sagte Chrystal leise. Dumbledore sah sie erstaunt an.
„Es tut dir leid? Nein. Es muss dir nicht leidtun. Ich bin derjenige, dem es leidtun sollte und dem es auch leidtut. Es waren alles meine Fehler. Die Fehler eines jungen, ehrgeizigen Mannes, dem alle Wege offenstanden und der sie sich selbst blockiert hat.“ Chrystal musterte Dumbledore forschend.
„Wieso haben sie mir all das erzählt, Professor? Es geht mich doch eigentlich nichts an, oder?“ Sie sah ihn fragend an.
„Ich habe es dir erzählt, damit du nicht den gleichen Fehler begehst. Du musst wissen Chrystal, dass auch du äußerst mächtig bist. Du besitzt große Kräfte. Du bist wichtig. Und all das könnte dich auf falsche Wege leiten. Wie mich damals.“ Er seufzte.
„Ich werde dran denken, Professor“, sie lächelte ein wenig.
„Ja. Tu das. Und denke immer daran. Die Liebe ist der richtige Weg, Chrystal.“ Er lächelte ebenfalls ein wenig. „Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Professor“, erwiderte Chrystal, erhob sich und verließ das Büro des Schulleiters. Das war viel Information gewesen, die sie erstmal wieder verarbeiten musste. Sie legte sich in ihrem Zimmer auf ihr Bett und dachte darüber nach, was Dumbledore ihr soeben berichtet hatte. Wäre sie dazu im Stande ähnliche Fehler zu begehen? Vielleicht? Sie wusste es nicht. War ihre Liebe zu Draco schon der erste Schritt in diese falsche Richtung? War die Freundschaft zwischen Dumbledore und Grindelwald nicht so etwas Ähnliches gewesen? So etwas Ähnliches, wie das mit ihr und Draco? Doch sie erinnerte sich auch an den letzten Satz des Schulleiters. Die Liebe ist immer der richtige Weg. Das hatte er gesagt. War auch die Liebe zu Draco der richtige Weg? Sie wusste es nicht. Doch für sie war es inzwischen der einzig mögliche Weg. Sie wusste inzwischen, dass es keine Entscheidung zwischen richtig und falsch mehr gab, die zu treffen war. Dafür war es bereits zu spät. Sie hatte diesen Weg schon eingeschlagen und sie würde ihn nicht wieder zurückgehen. Das würde ihre Seele in Stücke zerreißen.
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Bild: Albus Dumbledore
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Chrystals Story (Wenn nur noch Liebe zählt...) (DM/OC) (Harry Potter FF)
FanfictionDie Prophezeiung über Chrystal Lily Potter, Harrys jüngere Schwester besagt Schreckliches und Albus Dumbledore will verhindern, dass sie sich bewahrheitet, indem er versucht das Mädchen von Harry und Voldemort fern zu halten. Doch eine Prophezeiung...