She knows it

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"Weil die Menschen nicht immer wissen,
was sie wissen,
bleibt ihnen nichts Anderes übrig,
als zu glauben."

Am nächsten Morgen war Draco mal wieder bereits weg, als sie aufwachte. Es war Sonntag. Das hieß kein Unterricht und viel Zeit, um sich weiter Gedanken über die Aufgabe zu machen. Sie hatte aufgrund von den zahlreichen ausgefallenen Mahlzeiten des letzten Tages einen wahnsinnigen Hunger und hatte deshalb erstmal vor dem Frühstück am Slytherin Tisch beizuwohnen. Draco war mit Sicherheit schon im Raum der Wünsche, um weiter am Verschwindekabinett zu arbeiten. Wie jedes Wochenende. Chrystal seufzte und schwang ihre Beine aus dem Bett, um erstmal duschen zu gehen.
Unten in der großen Halle ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und blieb am Tisch der Gryffindors hängen, wo… Warte mal… War das Ron? Saß und unübersehbar mit Lavender Brown knutschte. Lavender Brown. Ernsthaft? Chrystal schüttelte den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Slytherintisch zu, jedoch nicht, ohne noch einen kurzen, vielsagenden Blick mit Ginny zu wechseln.
Nach dem Frühstück betrat Chrystal die Eingangshalle. Sie wollte eigentlich noch ein bisschen nach draußen gehen, denn das half ihr einen kühlen Kopf zu bewahren, ihre Gedanken zu ordnen und nicht durchzudrehen. Es würde ohnehin bald so richtig Winter werden, was dann bedeutete, dass das Rausgehen schwerer und vor allem weniger schön werden würde. Da wollte sie die letzten sonnigen Tage nutzen, doch ihre Pläne wurden von Ginny durchkreuzt, die ihr in der Eingangshalle im Vorbeilaufen unauffällig ein Stück Pergament zusteckte. Chrystal lief einfach weiter und tat, als hätte sie nichts bemerkt. Jedoch jetzt nicht mehr in Richtung draußen, sondern in Richtung des Gemeinschaftsraums der Slytherins von wo aus sie weiter auf ihr Zimmer ging, um den Zettel, in Ruhe und ohne zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, lesen zu können.

Vormittag in der Bibliothek. Wir müssen reden.

Okay… Sehr aufschlussreich. Naja. Dann würde sie sich mal auf den Weg machen. Sie schnappte sich ihr Zaubertränkebuch, ihre Feder, Tinte und einige Rollen Pergament, denn sie hatte auch noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen, was sie gleich mit dem Treffen verbinden konnte. Was Ginny wohl wollte? Eine berechtigte Frage, auf die sie wohl bald eine Antwort bekommen würde.
Die Bibliothek war so gut wie leer. Kein Wunder. Nicht viele Schüler setzten sich freiwillig am Wochenende hier rein. Erst gegen Ende des Schuljahres, wenn die Prüfungen bald begannen, wurde es hier auch am Wochenende und in den Ferien so richtig voll. Die meisten Tische waren frei und nur ein paar vereinzelte ältere Schüler, vor allem Ravenclaws, saßen konzentriert über ihre Hausaufgaben gebeugt da und schienen sie kaum zu bemerken, als sie eintrat. Ginny war auf den ersten Blick nicht zu sehen. Vermutlich saß sie an einem der versteckteren Tische im Raum, wo sie nicht so leicht zusammen gesehen werden konnten. Chrystal lief die zahlreichen Bücherregale entlang und fand ihre Freundin schließlich an einem Tisch in der hintersten Ecke der Bibliothek sitzen. Doch sie war nicht alleine. Bei ihr war das Mädchen, dass bereits heute früh noch mit geröteten, verheulten Augen rumgelaufen war. Granger. Hermine Granger. Die beiden Mädchen sahen auf, als sie Chrystal kommen sahen. Was genau sollte das jetzt werden? Sie setzte sich ohne die beiden aus den Augen zu lassen.                                           
„Was gibt’s?“, fragte sie leise an Ginny gewandt.                                         
„Sie weiß es“, meinte die Gryffindor bloß und tauschte einen Blick mit Hermine.                                           
„Sie weiß was?“, zischte Chrystal.
„Dass du Eliza Lane bist, dass du Harrys Schwester bist…“ Chrystal seufzte. Wenigstens wusste sie nichts von ihrer und Dracos Aufgabe. Das wäre eine Katastrophe.         
„Woher?“ Ginny nickte Hermine kurz zu und bedeutete ihr damit zu sprechen. Sie sah noch immer ziemlich schlecht aus. Warum wohl?
„Das Armband.“ Chrystal stützte ihr Gesicht in ihre Hände und vergrub es mit einem Seufzen darin. Wie hatte sie nur so unvorsichtig und dumm sein können?! „Ich habe es damals gesehen, als du es in unserem Gemeinschaftsraum getragen hast und ich war mir sicher, dass ich es schon einmal an jemandem gesehen habe. Und da bin ich auf Eliza Lane gekommen. Ich habe lange überlegt, ob es vielleicht nur ein Zufall gewesen sein könnte, doch es kam mir immer logischer vor. Und dann diese Aktion von Eliza Lane in der Winkelgasse. Deine Reaktion damals in der Bibliothek. Ich habe nie daran geglaubt, dass du seine Schwester sein könntest. Aber… Ich meine…“ Chrystal hob ihren Kopf wieder.
„Okay. Das reicht. Wie bist du dann darauf gekommen, dass Harry mein Bruder sein könnte?“                 
„Nun ja… Es war nur eine Vermutung, aber es schien der am besten nachvollziehbare Grund, weshalb du dich als Eliza Lane tarnen musstest. Außerdem dann dieser komische Vorfall bei der zweiten Aufgabe des trimagischen Turniers.“ Chrystal seufzte.                                   
„Und wie bist du dann genau zu dem Entschluss gekommen, dass deine Vermutung richtig sein muss?“ Sie musterte das Mädchen forschend, die zögerte. Dann sah sie, wie Ginny Hermine einen warnenden Blick zuwarf und wandte sich deshalb der Rothaarigen zu. „Ginny?“ Sie hob eine Augenbraue. Die Gryffindor sah sie scheinbar verzweifelt an. „Was hast du ihr erzählt?“                       
„Sie… Sie kam mit dieser Vermutung zu mir. Und ich war so verblüfft, dass sie es überhaupt herausgefunden hat, dass ich genickt habe.“ Sie stöhnte und schüttelte den Kopf. „Chrys ich wollte das nicht. Das weißt du doch.“ Chrystal versuchte ruhig zu bleiben. Tief ein und ausatmen. Sie war angespannt in letzter Zeit und äußerst leicht reizbar. Schlecht für Ginny und Hermine.                                   
„Wäre ja noch schöner, wenn du es gewollt hättest“, meinte sie leise. Bedrohlich leise. Verdammt. Sie musste ihre Gefühle kontrollieren. „So Ginny Weasley. Wie stellst du dir das jetzt vor? Sie ist Harrys Freundin und du gibst einfach so zu, dass ich seine Schwester bin?“, zischte sie.         
„Sie wollte es doch nicht“, meinte jetzt Hermine mit einem beschwichtigenden Ton in der Stimme, der Chrystal nur noch wütender machte.                     
„Halt du dich da raus, okay?“, fauchte sie das Mädchen an. „Hast du deshalb geheult? Weil du jetzt weißt, dass Harrys Schwester eine eingebildete Slytherin ist?“ Sie sah, wie Hermine schluckte. Warum auch immer. Eigentlich war es ihr ohnehin egal. Sie musste das hier jetzt nur noch klären und dann abhauen. Sie spürte, wie sie wieder ruhiger wurde. Gut so, denn nur so konnte sie jetzt überlegt und bewusst handeln. „Sie weiß die Hälfte und bevor sie über Umwege das falsche Ganze herausbekommt und dabei sich, Harry, uns und den Plan in Schwierigkeiten bringt erzählst du ihr alles, was du weißt. Okay?“ Sie musterte Ginny kühl, die erstaunt über diese Entscheidung zu sein schien.                                     
„Alles?“ Die Gryffindor schien sichtlich verblüfft.                 
„Alles. Es gehörte nie zu meinem Plan und vermutlich noch weniger zu Dumbledores Plan, dass sie es auch weiß, doch ich bin nicht mehr auf ihn angewiesen und meiner Meinung nach ist es gut, wenn ihr zu zweit seid. Geteiltes Leid ist halbes Leid, würde ich sagen. Aber ihr müsst verdammt nochmal aufpassen, dass niemand anderes noch davon mitbekommt. Wenn du dann alles weißt Hermine, zumindest so viel, wie Ginny weiß, dann verstehst du auch, warum es kein Anderer wissen darf.“ Sie sah die beiden durchdringend an. War das eine gute Idee? Ja. Hermine war intelligent und mit Ron, der allerdings Chrystals Meinung nach weniger Intelligenz besaß, Harrys engste Vertraute. Wenn irgendjemand Harry gut zureden konnte, ihn von unüberlegten Dingen abhalten und ihr eventuell sogar Informationen übermitteln konnte, dann war sie es. Chrystal stand auf.                       
„Ich vertraue auf euch beide“, war das letzte, was sie zu den zwei Mädchen aus Gryffindor sagte, bevor sie sich abwandte.                                      
Der Gemeinschaftsraum war, bis auf eine einzige Person, leer. Scheinbar waren alle anderen nach draußen gegangen, um einen der letzten sonnigen Tage dieses Jahres zu genießen. Erst als Chrystal einen genaueren Blick auf die Person warf, die dort in der Ecke auf einem Sessel saß, bemerkte sie, dass es Draco war. Chrystal überlegte kurz, ob sie zu ihm hinübergehen sollte und entschied sich schließlich dafür. Sie ließ sich neben ihm auf einem weiteren Sessel nieder.                                          
„Wie läufts?“, fragte sie vorsichtig. Er seufzte und schüttelte den Kopf.
„Passt schon“, meinte er, doch Chrystal wusste, dass das in Wirklichkeit soviel wie total scheiße hieß.                     
„Wenn ich dir irgendwie helfen kann…“                                     
„Du kannst mir nicht helfen“, unterbrach er sie, doch es klang auf eine komische Art und Weise nicht aggressiv, sondern mehr teilnahmslos und abgestumpft. Chrystal schluckte. 
„Wenn du dir nirgendwo Hilfe holen willst, dann musst du dich nicht wundern, wenn es am Ende nicht funktioniert, Draco.“ Sie war aufgesprungen. Wieso musste sie sich nur in letzter Zeit immer so schnell über alles Mögliche aufregen?     
„Du hältst mich also für zu unfähig?“, fragte er und erhob sich jetzt ebenfalls.                                           
„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte sie kühl. „Ich habe nur verdammt nochmal Angst um dich.“   
„Du denkst, dass ich es nicht schaffen kann“, meinte er mindestens genauso kühl.                               
„Wieso musst du immer überall irgendwas raushören, was ich überhaupt nicht gesagt habe?“   
„Weil du es meinst.“ Sie waren ziemlich laut geworden.     
„Woher willst du denn wissen, was ich meine?“ Sie schüttelte den Kopf. Über sich selbst, über Draco und über die Welt und blickte zu Boden. „Ist okay“, meinte sie nur, bevor sie ohne ein weiteres, erklärendes Wort auf ihr Zimmer verschwand. Was war nur los mit ihnen? Sie ließ sich seufzend rückwärts auf ihr Bett fallen. Ständig stritten sie sich und am Ende… Da wussten sie gar nicht mehr worüber eigentlich so genau. Es waren belanglose Dinge. Unwichtige Dinge. Dabei brauchten sie sich doch gerade jetzt gegenseitig. Sie waren sozusagen gezwungen zusammen zu sein. Erstens, wegen dem Auftrag, den Voldemort Draco gegeben hatte und zweitens wegen dem Grund, weshalb sie das alles überhaupt mitmachte. Weil sie noch daran glaubte, dass Liebe der richtige Weg war. Doch was, wenn sie ihn jetzt plötzlich nicht mehr lieben würde? Dann wären vielleicht sämtliche Pläne, Beweggründe und Geschehnisse hinfällig und unnötig. Sie war gezwungen ihn zu lieben. Es war beinahe ein wenig, wie eine Zwangshochzeit. Nur schlimmer. Weil so viel mehr auf dem Spiel stand. Doch vielleicht war gerade das der Grund, weshalb sie sich so oft stritten… Weil sie beide das Gefühl hatten dazu gezwungen zu werden sich zu lieben. Weil es nicht mehr so unbeschwert, frei und bedingungslos war, wie zu Beginn. Doch selbst, wenn das der Grund weshalb sie so oft aneinandergerieten, so war es auch der Grund, weshalb sie sich immer wieder zusammenrissen. Weshalb sie immer wieder zurückkamen, um so weiterzumachen, als wenn nichts gewesen wäre. Sie spürte erst jetzt, dass ihr vereinzelte Tränen die blassen Wangen hinabliefen. Wieso musste ihr Leben denn auch immer so verdammt kompliziert sein?

Bild: Hermine Granger

Chrystals Story (Wenn nur noch Liebe zählt...) (DM/OC) (Harry Potter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt