Farewell (II)

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"We keep all our promises
Be us against the world"
Katy Perry, The one that got away

Als Chrystal endlich vor dem kleinen Lokal wieder auftauchte lag schon eine mindestens zwei Zentimeter dicke Schicht Schnee. Morgen würden die Kinder aufwachen und sehen, dass alles weiß war. Sie würden dann rausrennen und Schlitten fahren. Schneemänner bauen. Schneeballschlachten machen. Glücklich sein. Sie dachte unwillkürlich an die zwei kleinen Zwillinge. Ob die auch schon so verrückt nach Schnee waren? Sicherlich würden ihre Eltern mit ihnen rausgehen und mit dem Schlitten einmal den Berg runtersausen. Mary und Mark hatten das damals auch mit ihr gemacht. Sie lächelte. Und da sah sie sie kommen. Alle in einer Gruppe. Julia hatte sich bei Carolin untergehakt und Anna jagte Marco und Nils hinterher, die lachend vor ihr wegrannten. Chrystal beobachtete sie eine Zeit lang bevor sie aus dem Schatten in den Schein der Straßenlaterne trat. Als sie sie erblickten hielten sofort alle fünf inne. Sie bewegten sich nicht mehr, sondern starrten sie an, als wenn… Keine Ahnung. Chrystal wusste nicht so Recht, was sie tun sollte und mit einem Mal fühlte sie sich irgendwie ein bisschen fehl am Platz. Anna. Die damals so süße, kleine, freche Anna, die sich jetzt in eine hübsche, junge Frau verwandelt hatte gewann als erstes wieder die Fassung und rannte auf sie zu, um sich ihrer Freundin stürmisch um den Hals zu werfen. 
„Ich habe dich so vermisst, Chrys. Das kannst du dir nicht vorstellen. Ich bin so froh dich wiederzusehen. Du weißt gar nicht wie froh“, flüsterte sie, während sie sie immer noch fest an sich drückte. Chrystal war unfähig etwas zu erwidern. So viel Wiedersehensfreude hatte sie gar nicht erwartet. Anna löste sich wieder von ihr und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Gut schaust du aus. Bisschen blass. Aber gut“, meinte sie und lachte. Chrystal stimmte in ihr Lachen mit ein. Die nächste, die es wagte vorzutreten war Julia. Julia sah ihrem früheren ich noch sehr viel ähnlicher, als Anna. Sie war natürlich gewachsen und weiblicher geworden, doch alles in allem war sie zumindest vom Aussehen her noch mehr Julia, als Anna Anna. Kompliziert. Julia hielt vor ihr kurz inne und nahm sie dann auch in den Arm, jedoch weit weniger stürmisch, als zuvor Anna.   
„Schön, dass du gekommen bist“, meinte sie nur und ließ sie wieder los. „Du hast mir gefehlt.“               
„Du mir auch“, erwiderte Chrystal und legte ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter bevor sie sich zu Carolin umwandte und auch sie umarmte. Carolin hatte sich von allen am meisten verändert. Sie war nicht mehr so unauffällig, mädchenhaft und schüchtern, sondern hatte jetzt einen ganz eigenen Stil entwickelt. Sie trug schwarzen Eyeliner und dick Wimperntusche. Dazu roten Lippenstift und die krasseste Veränderung waren immer noch ihre Haare. Die waren nämlich jetzt kurz. Doch es stand ihr unheimlich gut.
„Gefällt dir mein neuer Haarschnitt?“, fragte sie, als könnte sie Gedanken lesen.                                   
„Ja. Steht dir richtig gut“, antwortete Chrystal und lächelte. Der nächste war Nils. Er sah aus wie immer. Hochgewachsen, schlaksig, blond. Nur ein bisschen muskulöser war er vielleicht geworden. Auch er schloss sie in seine Arme, wobei er sich etwas runter beugen musste, da er ein ganzes Stück größer war, als sie.
„Hab dich vermisst“, meinte er kurz und knapp. So war er eben nun mal. Nils. Und so war er schon immer gewesen.                                 
„Ich dich auch“, erwiderte Chrystal ebenso knapp und grinste. Der letzte war Marco. Und er war definitiv derjenige, den sie am meisten vermisst hatte. Manchmal hatte sie sich schon gefragt, ob sie jemals mehr für ihn empfunden hatte, als nur Freundschaft und ob er jemals mehr für sie empfunden hatte. Doch im Endeffekt war es egal. Erstens waren sie damals noch Kinder gewesen und zweitens hatte sie hatte sich vorgenommen sich heute von den fünf zu verabschieden. Auf unbestimmte Zeit. Sehr wahrscheinlich für immer. Sie war Voldemorts Tochter und alle, die sie kannte waren in Gefahr. Sie musste heute endgültig Abschied von ihrem Leben als Among nehmen und anfangen sich mit ihrem neuen Leben anzufreunden. Marco blieb etwa einen Schritt vor ihr stehen. Sie musterten sich gegenseitig. Er war älter geworden. Erwachsener. Doch sein Haar war noch immer dunkel und leicht gewellt. Ihre Blicke trafen sich und Chrystal lächelte vorsichtig. Er machte noch einen Schritt auf sie zu und schloss sie in seine muskulösen Arme.                   
„Gut siehst du aus“, flüsterte er ihr ins Haar und Chrystal musste unwillkürlich lächeln. 
„Ebenfalls“, erwiderte sie leise und löste sich wieder von ihm. Anna hakte sich bei ihr unter und gemeinsam betraten sie das kleine Lokal. Eine Frau kam ihnen entgegengeeilt.   
„Ein Tisch für sechs Leute?“, fragte sie.                                                     
„Ja. Bitte“, erwiderte Marco.         
„Gut. Kommen sie nur ruhig mit. Ganz hinten ist noch einer frei“, meinte sie und die Freunde folgten ihr. Es war ein gemütlicher Tisch in einer Ecke. Etwas abgeschottet von den anderen Gästen. Alle zogen sich ihre Mäntel aus und hängten sie über die Stuhllehnen.                           
„Was darf es denn zu trinken sein?“, fragte eine Bedienung.             
„Wasser mit Zitrone bitte“, meinte Chrystal und auch die anderen bestellten. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl nach hinten und genoss den Moment. In ihrem Heimatort. Mit ihren Freunden. Etwas Schöneres konnte sie sich gerade nicht vorstellen.                               
„Und? Bist du über die Ferien in der Schule geblieben?“, fragte Anna und Chrystal schüttelte den Kopf.   
„Nein. Ich… Ihr solltet wissen, dass mein Leben sich in letzter Zeit sehr verändert hat und um einiges komplizierter geworden ist.“ Sie seufzte.                                     
„Erzähl“, sagte Anna.           
„Ich… ich sollte es eigentlich besser niemandem erzählen.“ Sie schluckte. „Einen Teil vielleicht… Ihr wisst ja, dass ich auf Hogwarts nicht von meinem Bruder erkannt werden durfte und dort weiter unter dem Namen Among gelebt habe. Über die ersten Sommerferien war ich Teil eines Ordens, der sich gegen Voldemort verbündet hat. Ich musste mich dafür verwandeln. Mein Name war Eliza Lane. Dann bin ich wieder in die Schule zurückgekehrt. Als Chrystal Lily Among. Am Ende meines vierten Jahres war ich im Ministerium. Ich… Sirius ist dort gestorben. Er war ein guter Bekannter von mir. Und ich habe Voldemort gesehen.“ Sie schwieg einen Moment und dachte an den Moment zurück, als sie den dunklen Zauberer das erste Mal gesehen hatte. Es kam ihr vor, als wenn es vor Jahren gewesen wäre, dabei lag es in Wriklichkeit nur etwa ein halbes Jahr zurück.           
„Du hast IHN gesehen?“ Alle fünf starrten sie ungläubig an und die Bedienung musterte sie mit einem misstrauischen Blick, als sie soeben die Getränke brachte. Sie wartete kurz, bis die Frau wieder weg war und fuhr dann weiter fort.         
„Ja. Inzwischen schon desöfteren. Nun denn. Harry durfte immer noch nichts von mir wissen. Ich wurde also zurück nach Hogwarts gebracht und habe dort mein Schuljahr zuende gemacht.“ Die Bedienung kam nocheinmal, um die Essensbestellungen abzuholen. Chrystal bestellte sich Tomatensuppe und einen großen Salat. Dann erzählte sie weiter. „Über die Sommerferien bin ich dann zu den Weasleys. Deren Kinder sind Freunde von Harry und die Eltern sind Mitglieder im Orden. Und ab da… Weiß ich nicht, ob ich euch Weiteres erzählen sollte. Ich habe mich dort auf jeden Fall mit Ginny Weasley angefreundet. Ich war mit Dumbledore auf einer etwas schiefgelaufenen Mission. Ich wurde eine Zeit lang im Haus von Severus Snape, einem Lehrer auf Hogwarts, untergebracht. Ich hatte noch eine weitere Begegnung mit dem dunklen Lord.“ Sie schwieg. Mehr konnte sie nicht sagen.                               
„Weißt du schon näheres über deine Prophezeiung?“, fragte jetzt Julia und Chrystal schüttelte langsam den Kopf.
„Nein. Im Moment ist alles ziemlich kompliziert. Ich verstehe mein Leben und meine Pläne selbst nicht mehr so. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt, doch eines Tages werde ich alles vielleicht besser verstehen.“ Sie seufzte. Eine junge Frau brachte die verschiedenen Gerichte und sie begannen schweigend zu essen. „Wie läuft es so an der Cyrenius Schule?“, fragte Chrystal irgendwann.     
„Naja. Es hat sich nicht viel verändert. Dieselben Lehrer. Einige neue Schüler. Aber eigentlich alles wie immer.“ Carolin lächelte zaghaft. 
„Merkt man hier in Deutschland etwas von SEINER Rückkehr?“   
„Nein. Mit Sicherheit nicht so sehr, wie in England. Es gibt Gerüchte, aber ich bin mir sicher, dass sie einiges vor der Bevölkerung vertuschen. Sie wollen nicht, dass Panik ausbricht“, erklärte jetzt Anna fachmännisch und Nils grinste frech.                     
„Das ist unsere Anna. Verschwörungstheoretikerin.“ Er lachte und Anna stimmte nach einem kurzen Augenblick der Empörung mit ein. Den Rest ihres gemeinsamen Essens verbrachten sie entweder mit belanglosen Themen oder mit Schweigen. Trotzdem tat es gut zusammen zu sein.
Es war halb neun, als Chrystal ankündigte, dass sie jetzt nach Hause müsste, da sie sonst nicht mehr durch das Tor käme und die anderen stimmten zu. Sie bezahlten und verließen dann das Lokal. Es war kalt draußen. Der Schnee lag jetzt dick auf den Straßen und Chrystal war froh bei dem Wetter nicht Autofahren zu müssen.                                           
„Wie kommst du heim?“, fragte Anna.
„Ich appariere“, meinte Chrystal. 
„Du tust was?“ Sie starrte sie ungläubig an.                           
„Du apparierst von diesem Kaff hier bis nach London? Verarsch uns nicht“, fügte Carolin hinzu.                    
„Denkt ihr ich bin mit dem Flugzeug eingeflogen worden oder mit dem Besen gekommen?“ Sie lachte und musste daran denken, dass sie sich vor kurzem noch nicht einmal zugetraut hatte von Hogwarts zum Malfoy Manor zu apparieren. „Nein. Das war kein Spaß. Das war purer Ernst. Aber danke für das Vertrauen, das ihr in meine Kräfte habt.“ Sie grinste ein wenig.                 
„Nun ja. Dann kommt jetzt also der große Abschied.“ Ja. Der große Abschied. Anna hatte wohl keine Ahnung davon wie groß dieser Abschied werden würde. Sie nahm sie fest in die Arme und drückte sie mindestens genauso stürmisch, wie sie es bereits zur Begrüßung getan hatte. „Ich werde dich wahnsinnig vermissen. Komm uns mal wieder besuchen, wenn du Zeit hast.“ Sie löste sich wieder von ihr und lächelte traurig. Zu einem Besuch würde es wohl nicht mehr kommen. Dann ließ sie Carolin vortreten, die sie ebenfalls herzlich umarmte.       
„Hoffentlich bis bald“, meinte sie. Anschließend schloss Chrystal Julia in ihre Arme. Dann Nils. Schließlich trat Marco vor sie. Er war den ganzen Abend über ungewöhnlich still und in Gedanken versunken gewesen.     
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie gut es getan hat dich wiederzusehen“, meinte er und umarmte sie. „Pass auf dich auf, Chrys. Ich will nicht, dass du dein Leben für irgendwelche Dinge aufs Spiel setzt.“ Sie löste sich von ihm und sah ihm in die dunklen Augen.                                       
„Das tue ich bereits.“ Sie zwang sich zu einem mehr oder weniger gequälten Lächeln. Er musterte sie eine Weile besorgt und verwirrt zugleich.                                     
„Auf Wiedersehen“, meinte er dann nur. Sie schüttelte den Kopf und merkte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Sie musste jetzt stark bleiben. Sie musste es ihnen sagen. Jetzt sahen alle fünf sie verwirrt an.                                 
„Ich denke nicht, dass es all zu bald ein Wiedersehen geben wird. Ich weiß nicht, ob es jemals ein Wiedersehen geben wird. Es herrscht Krieg. Ich bin momentan an einem Ort untergebracht, an dem es euch nur in Gefahr bringen würde, wenn ich weiter mit euch befreundet sein würde. Es gibt dort draußen Menschen, die mich mit euch erpressen könnten. Es ist sicherer so, wenn ich so wenig, wie möglich über euch nachdenken muss. Ich weiß nicht, wie dieser Krieg ausgehen wird, doch ich will, dass ihr eines wisst. Egal, was ihr über mich hört. Egal, was andere Menschen über mich erzählen. Ich habe stets für das Gute gekämpft. Ich werde stets für das Gute kämpfen.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln und spürte gleichzeitig die Tränen ihre Wangen hinablaufen. Auch die Anderen schienen vollkommen aufgelöst. Anna schluchzte unaufhörlich und Julia weinte still vor sich hin. Carolin hingegen schien in eine Art Schockstarre verfallen zu sein und blickte sie nur fassungslos mit weit aufgerissenen Augen und leicht geöffnetem Mund an. Nils sah betreten zu Boden und Chrystal meinte auch in Marcos dunklen Augen ein verdächtiges Glitzern zu sehen. „Ich weiß nicht, was mein Leben, mich alles kosten wird. Ich weiß nicht, was es noch alles von mir fordern wird, doch ich glaube nicht, dass ich jemals hierher zurückkehren werde. Vielleicht kann ich nicht. Vielleicht will ich auch einfach nicht. Ich habe mich verabschiedet. Ich war am Grab meiner Zieheltern, bei unserem alten Haus, bei meiner alten Grundschule.“ Ein zaghaftes Lächeln zauberte sich auf ihr Gesicht. „Ich werde euch nie vergessen. Ich werde euch immer in meinem Herzen behalten. Ich… Ich bitte euch. Lebt euer Leben weiter. Seid stark. Und vergesst nie. Ich habe stets für das Gute gekämpft.“ Sie schwieg und sah ihren Freunden allen noch einmal in die Augen. Anna, Carolin, Julia, Nils und Marco. Dann wandte sie sich ab. Verdrängte sie hinter ihre Okklumentikschilde. Ganz ans andere Ende ihres Gehirns. Sie durfte nicht mehr all zu viele Gedanken über sie verlieren. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt sie zu vergessen. Sich selbst mit einem Vergessenszauber zu belegen. Doch es war ihr zu gewagt gewesen. Dabei hätte zu viel schiefgehen können. Sie lief langsam, Schritt für Schritt, einige Meter weiter. Und da wurde es ihr schmerzhaft bewusst. Die fünf würden es nicht schaffen. Sie würden sie suchen und sich selbst dabei in Gefahr bringen. Sie musste es tun. Sie drehte sich noch ein allerletztes Mal um und richtete ihren Zauberstab auf die kleine Gruppe, die sie verwundert ansahen.                               
„Oblivate“, murmelte Chrystal. Für einen Moment sah sie Entsetzen, Verzweiflung und Verstörung in den Augen ihrer Freunde aufblitzen. Dann verschwand es und die Normalität kehrte in ihre Blicke zurück. Sie beachteten sie nicht mehr weiter und wandten sich ab. Es war vorbei. Endgültig. Chrystal spürte eine vereinzelte Träne ihre Wange hinablaufen, während sie die Freunde langsam in der Dunkelheit verschwinden sah. Es würde kein Wiedersehen mehr geben. Dafür war es jetzt zu spät. Das Mädchen drehte sich auf der Stelle und verschwand.

Bild: Nils, Anna, Carolin, Marco und Julia jetzt

Chrystals Story (Wenn nur noch Liebe zählt...) (DM/OC) (Harry Potter FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt