Kapitel 63

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Loris Sicht

Am nächsten Morgen schlich ich mich leise aus dem Haus, um zu joggen. Ich hatte viele wirre Gedanken, die ich so zu sortieren versuchte.

Meine Familie war mittlerweile wieder auf dem Weg nach Pennsylvania, ich konnte sie mit viel Überzeugungskraft davon überzeugen. Mir ging es ja so weit gut, die Fürsorge meiner Freunde und Kollegen hielt mich ganz schön auf Trab. Es gab aber auch schöne Momente: Emilia war wieder ein fester Bestandteil meines Lebens geworden, ihre blonden Haare erinnerten mich an die alten Zeiten. Man hatte uns oft für Zwillinge gehalten. Auf der anderen Seite konnte ich das aber nicht genießen, da Caleb alles zerstört hatte...
Als ich endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war ich erleichtert. Doch es hieß auch, dass ich besonders mit der Erinnerung an die Entführung konfrontiert wurde. Bevor ich völlig durchgedreht wäre, hatte ich mir ein rotes Notizbuch geschnappt. Es fungierte als eine Art Tagebuch und als Therapiemöglichkeit. Steve gefiel es nicht, dass ich das mit mir selbst ausmachen wollte. Und auch ich hatte irgendwann das Bedürfnis, mit ihm darüber zu sprechen. Im Gegenzug erfuhr ich dann noch, wie er mich gefunden hatte und was passiert war.
Nachdem uns Emilia wegen der Ehrung informiert hatte, verschloss ich mein Handy im Nachtschrank. So kapselte ich mich ab und es bedeutete Ablenkung. Ich wollte aber so schnell wie möglich mit dem Trauma abschließen. Steve und der Gouverneur hatten mich außerdem als arbeitsunfähig eingestuft, weshalb ich erstmal zu Hause bleiben sollte. Das kam mir irgendwie recht: Steve musste oft arbeiten und so hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Meine Selbsttherapie lief auch gut, allerdings bewahrte sie mich nicht vor den vielen Alpträumen...

Steve war ein anderes Kapitel in der ganzen Situation. Ich distanzierte mich von ihm. Warum? Gute Frage, aber irgendwas in mir hemmte mein altes Ich. Er stand mir bedingungslos zur Seite und trotzdem hatte ich das Gefühl, ihn total schlecht zu behandeln. Vielleicht schämte ich mich wegen meiner Entführung und dass er mich so entstellt sehen musste. Ich nutzte seine stützende Hand nicht wirklich, weshalb ich so unfassbar wütend auf mich selbst war.

Die Morgensonne war schon ziemlich warm und deshalb wurde mir noch wärmer. Beim Joggen übertrieb ich es nicht, eine Runde um den Block genügte vollkommen. Der Absturz das letzte Mal war mir eine Lehre. An unserem kleinen Strand am Ende des Gartens dehnte ich mich abschließend. Ich war sowieso noch auf Sparflamme, da mein Körper trotz Schmerzmitteln teilweise noch wehtat. „Schatz, ich habe dir Tee gekocht!" Ich drehte mich um und Steve hatte den Kopf durch die Terrassentür gesteckt. Mir huschte kurz ein Lächeln übers Gesicht, er war der beste Mann auf der Welt. Jeder andere hätte mich vermutlich schon verlassen, weil ich mich so verändert hatte. Ich ging zu ihm, mit leichten Schmerzen in der Hüfte, und küsste ihn intensiv, was er überrascht erwiderte. Wir küssten uns nicht mehr so oft wie vor meiner Entführung. Das lag an mir und Steve wollte mich auch nicht dazu zwingen. Irgendwie hatte ich mich nur auf wenige nahe Momente reduziert, zum Beispiel die Umarmungen, wenn ich schlecht geträumt hatte. Obwohl ich jetzt noch immer verrückt nach ihm war, vermutlich noch mehr als am ersten Tag, wurde ich ausgebremst. Von meinem Verstand, der sowieso kaputt war. Mein Herz erlitt dadurch Höllenqualen.
Als wir uns voneinander gelöst hatten, wich ich einen Schritt zurück. Ich hasste mich. Steve lächelte verständnisvoll, doch seine müden Augen waren sichtlich erschöpft. Dieser Anblick rührte mich zu Tränen, doch bevor er sie sehen konnte, drehte ich mich weg und ging ins Badezimmer. Ich nahm eine eiskalte Dusche, in der Hoffnung, dadurch meine merkwürdige Art abzuspülen zu können. Doch als ich aus der Dusche stieg, fühlte ich mich unverändert.

Dann stand ich vor dem großen Spiegel und konnte meinen Anblick nicht ertragen. Früher hatte ich nie ein Problem mit meinem Körper, jetzt aber verabscheute ich ihn regelrecht. Überall waren blaue Flecken, die langsam verheilten, Kratzer und auch Narben. Es erinnerte mich an Caleb und vor allem die Narben würden dies auch für immer tun. Ich hatte mich am Rand des Waschbeckens abgestützt und neben meiner Hand landete eine Träne. Mein Selbstbewusstsein war eigentlich nicht mehr vorhanden und ich hatte Angst, mich nie wieder schön fühlen zu können.

Putzen brachte mich auch auf andere Gedanken, ich begann im Wohnzimmer. Dort saß Steve auf dem Sofa und telefonierte mit dem Gouverneur wegen der Ehrung am Mittag. Zuerst putzte ich die großen Fenster zum Garten hin, ich spürte Steves Blick auf mir. Als ich fertig war, drehte ich mich um und so hatte ich Steve auf frischer Tat ertappt. Was war daran ein Verbrechen? Ich setzte mich neben ihn auf das Sofa, was ein kleiner persönlicher Fortschritt für mich war, und trank meinen Tee. Steve starrte jetzt während des Telefonats die gegenüberliegende Wand an, seine Stimme war locker und gleichzeitig gefasst. Ich wollte doch nicht mehr zu der Ehrung, aber da musste ich nun durch.

Nachdem ich meine Pflaster erneuert hatte, zog ich mir meine Polizeiuniform an. Ich trug einen Pferdeschwanz und klatschte mir Tonnen von Make-Up ins Gesicht, was trotzdem noch irgendwie halbwegs natürlich aussah. Niemand sollte meine Blessuren sehen und Mitleid haben. Außerdem sollten wir auch gefilmt werden fürs Fernsehen, weshalb das erst recht niemand sehen sollte. Zum Schluss setzte ich mir die Polizeimütze auf und zog die schwarzen Lackschuhe an.
Steve hatte seine weiße Uniform der Navy an. Er sah so heiß aus, am liebsten wäre ich über ihn hergefallen. Doch ich wurde mal wieder zurückgehalten, so als säße der Teufel am längeren Hebel. Würde ich ihm je wieder so nahe sein können wie früher? Hoffentlich würde ich dafür nur mein Trauma verarbeiten müssen...

Unsere erste Begegnung veränderte alles - Hawaii Five-O ❤️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt