Kapitel 21

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„Ich muss mich besaufen", war Henrys Begrüßung, als er sich auf den Stuhl neben mich fallen ließ. Wir saßen auf dem Balkon, obwohl es kalt war. Ich hatte eine Decke über den Beinen liegen und einen dicken Pulli an. Ich versuchte die Literatur für mein Seminar am Freitag zu lesen und rauchte dabei Kette. Als Henry sich neben mich setzte, sah ich von meinen Texten hoch und ihn an. „Aha und was habe ich damit zu tun?". „Betrink dich mit mir, Skara", jammerte er und begann sich eine Zigarette zu drehen. Ich verzog das Gesicht. Mir was so gar nicht nach feiern und trinken. Es war als hätte ich meine gesamte Energie für so etwas im Sommer gelassen. Seit es Herbst geworden war, verbrachte ich meine Abende lieber gemütlich im Bett, schaute Filme und ging früh schlafen. Henry sah mich genervt an und quengelte dann weiter. „Komm schon, das wird lustig. Ich brauche das heute wirklich". Ich seufzte tief und legte den Text zur Seite. „Und warum?", fragte ich und sah ihn skeptisch an. „Erinnerst du dich, dass ich vor einigen Wochen ein paar Probearbeiten an diese Galerie direkt am Görli gegeben habe? Habe heute einen Anruf bekommen, dass sie für die nächste Ausstellung schon genug Fotografien haben und meine nicht dabei sein werden". Er zuckte gleichgültig mit den Schultern, schaute dabei aber ziemlich geknickt. Mein Gesichtsausdruck wurde direkt weich. Ich rutschte ein bisschen näher zu ihm und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Erst mal sagte ich nichts. Henry auch nicht. Er blies den Rauch seiner Zigarette in die kalte Luft. Es wurde langsam dunkel. „Das ist blöd. Natürlich trinke ich mit dir".

Es war halb sechs und wir waren noch am Tanzen. Wenn Henry Lust hatte zu feiern, dann gab es keine halben Sachen. Er hatte eine unbändige Energie und ich ließ mich gerne davon mitreißen. Wir hatten Mel und Ferdi noch überreden können mit zu kommen, sie tanzten neben mir und ich war unglaublich froh, dass die zwei wieder beste Freunde waren. Diesmal halt ohne Sex. Henry legte mir einen Arm um die Hüfte und lallte in mein Ohr, dass er mal frische Luft schnappen und eine rauchen wolle. Sein warmer Atem kitzelte an meinem Ohr und ich verstand ihn erst, nachdem er sich drei mal wiederholt hatte. Ich nickte. Die Musik war so laut, dass es einfach war ohne Worte zu kommunizieren. Er verschwand in der tanzende Menge und ich ließ mich wieder von der Musik umhüllen. Ich fühlte mich leicht und fern von mir. Es war toll. Nachdem Henry nach einer ganzen Weile nicht zurück gekehrt war, beschloss ich ihn zu suchen. Mit einem leicht verschwommenen Blick zwängte ich mich durch die eng aneinander tanzenden und schwitzenden Menschen bis nach draußen. Auf den ersten Bick konnte ich Henry nicht finden. Einige Grüppchen standen beieinander und rauchten. Es nieselte leicht, doch das schien niemanden zu stören. Nachdem ich eine Runde über den Hof gelaufen war, kam Henry mir plötzlich mit zwei Bier entgegen. „Hier bist du!", sagte er und ich verdrehte die Augen. „Ich hab dich gesucht", sagten wir dann gleichzeitig und lachten. Er drückte mir eins der beiden Biere in die Hand. Meine Beine waren müde und mir war schwindelig. Ich setzte mich auf den Boden. Der Asphalt war nass, doch das interessierte mich nicht. Henry setzte sich neben mich und ich lehnte mich an ihn. Ich hatte ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen und nippte an meinem Bier. Henry drehte sich eine Zigarette hielt sie mir hin und drehte dann noch eine Zigarette für sich. „Ich bin echt froh, dass wir heute zusammen feiern", sagte Henry und hielt mir sein Feuerzeug hin. Ich nickte und war wirklich unglaublich froh. Ich fühlte mich endlich mal wieder ein wenig losgelöst. Henry seufzte und sah auf seine Schuhspitzen am Ende seiner angewinkelten Beine. „Du hast mir den Sommer irgendwie gefehlt". Uff. Ich hatte Raphi und Henry wirklich ein wenig hintenangestellt. Die zwei hatten aber auch immer einiges zu tun, sodass ich nicht das Gefühl hatte, dass ich ihnen fehlen würde. Raphi hatte plötzlich so viel Zeit mir Ferdi verbracht. Doch Henry, ja was hatte Henry eigentlich den Sommer über getrieben. Henry war dieser Typ Mensch, den man in eine Gruppe von Fremden werfen konnte, ohne sich um ihn zu sorgen. Er fand immer und überall Freunde. Die meisten Menschen mochten ihn oder ließen sich gut von ihm unterhalten. Er war entspannt, jemand mit dem man gerne Zeit verbrachte. Und als ich darüber so nachdachte, fiel mir auf, wie sehr er mir auch gefehlt hatte. Henry blickte auf und mich an. Verdächtig lang blickten wir einander in die Augen. Mein Herz begann plötzlich ein wenig schneller zu klopfen, als Henry sein Gesicht auf meins zu bewegte. Und ich war im Begriff das gleich zu tun, doch dann raste ein Gedanke durch meinen Kopf. Ich erinnerte mich daran, was ich mir geschworen hatte. Ich zog meinen Kopf zurück und stand ruckartig auf. 

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