Kapitel 51

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„Skara hilfst du mir eben mit den Gläsern?". Meine Mutter drückte mir zwei Rotweingläser in die Hand und schickte mich damit ins Esszimmer. Sie kam mit den restlichen Gläsern und der Flasche hinterher.
Mein Bruder wippte die kleine Ella auf dem Schoß während Charlotte und mein Vater in ein Gespräch vertieft waren. Wir aßen das erste mal seit Weihnachten wieder miteinander und ich hatte das Gefühl Ella war um mehrere Zentimeter gewachsen.
„Es ist so schön, dass ihr hier seid", sagte mein Vater während des Essens zu Charlotte und meinem Bruder und ich sah ihn genervt an. Nur weil ich keine eigene Familie hatte, war ich dennoch ausgezogen, dachte ich. Mein Vater sah das offensichtlich anders. „Es ist so schön zu sehen, dass die Kinder erwachsen werden", jetzt sah er auch zu mir. „Skara, wann bringst du denn mal wieder jemanden mit? Ich glaube deine Mutter vermisst Frieder noch immer", er lächelte, es sollte nett sein, doch ich hätte kotzen können. Mein Bruder sah mich schmunzelnd an, auch er meinte es nett, doch ich kämpfte mit dem Drang aufzuspringen und zu gehen.

Salz in Wunden streuen, das konnte meine Familie hervorragend. Das mein Liebes- und Beziehungsleben das reine Chaos war, störte mich manchmal sehr. Manchmal hatte ich Momente, ich gab sie ungern zu und würde sie wohl auch mit vielen meiner Freunde nicht teilen, in denen wünschte ich mir nichts mehr, als das, was Toni und Charlotte hatten. Eine langfristige, monogame Partnerschaft, eine gemeinsame Wohnung, ein Kind, gut bezahlte Jobs...
Meistens kam ich recht schnell wieder zur Vernunft oder zumindest zu dem, was ich Vernunft nennen würde.
Meine Eltern waren nicht erzkonservativ. Sie waren oft sehr modern, manchmal sogar ein wenig alternativ, aber sie waren am Ende des Tages traditionell, manchmal ohne sich dessen bewusst zu sein. Ich hatte nie klare Fronten klären müssen, aber redete oft gegen Windmühlen.
„Frieder ist ja wohl ewig her, komm drüber weg, Mam", sagte ich unbeeindruckt und dachte, dass das Gespräch damit beendet sein würde. Charlotte lachte und sah mich mitleidig an. Plötzlich nervte sie mich auch.

„Aber Skara", sagte meine Mutter und schwenkte ihren Rotwein im Glas. Sie musterte mich neugierig. „Gibt es denn da keinen Mann in deinem Leben?".
„Hast du keinen am Start?", schaltete sich mein Vater ein und versuchte jung und hip oder so zu klingen.
Ich biss mir auf die Zunge und sagte es natürlich trotzdem. „Um einen am Start zu haben braucht man ja keine Beziehung".
Mein Vater zog die Augenbrauen hoch. Meine Mutter sah mich noch immer neugierig, aber auch ein wenig tadelnd an.
„Also gibt es da wen?", fragte sie weiter und ich fragte mich, was sie von mir hören wollte.
Ja Mama, ich werde bald heiraten? Ja Mama, keine Sorge ich habe Sex?

Ich könnte meiner Familie erzählen, dass sich wieder etwas mit Henry anbahnte, aber sie würden es nicht verstehen und ich hatte nach dem 2. oder 3. Mal hin und her ohnehin aufgehört ihn zu erwähnen. Aber dieses mal fühlte es sich anders an ... Ich war kein Teenager mehr.
Ich könnte ihnen auch von Jelto erzählen oder Jakob oder wen auch immer es so in meinem Bett gegeben hatte, aber so eine Beziehung hatte ich nicht zu meiner Familie.
Ich verdrehte genervt die Augen und fühlte mich plötzlich wieder sehr jung. Das störte mich und ich atmete tief ein und aus, ehe ich fragte: „Was möchtest du wissen, Mama?".
Mein Bruder sah neugierig zu unserer Mutter, er schmunzelte noch immer. Er hatte mächtig Spaß, schön für ihn.
„Stell nur Fragen, auf die du auch eine Antwort hören willst", erinnerte Toni und entlockte damit sogar mir ein amüsiertes Schnauben.
Meine Mutter schien sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, vielleicht spornte sie das zweite Glas Rotwein an.

„Ich möchte doch nur wissen, ob du auf der Suche bist. Du hast so lange niemanden mitgebracht und außer Frieder habe ich nie einen Freund von dir getroffen", sagte sie.
„Du hast Henry getroffen", erwiderte ich und sie winkte ab. „Ach ja stimmt, aber das war doch nichts richtiges zwischen euch. Gut, dass ihr das gelassen habt. Er war aber auch immer ein wilder Junge - so kreativ, aber ziellos. Dieses Hin und Her, am Ende hat er dich doch nur ausgenutzt".
Ich schaffte es nicht meine Gesichtszüge zu kontrollieren, deswegen stand ich schnell auf. Ich ließ mein Besteck neben den Teller fallen und verließ das Esszimmer.
Diese Überheblichkeit, mit der meine Mutter gesprochen hatte, ließ die Wut in mir hoch kochen. Meine Haut kribbelte bis zum Haarasatz.
So hatte sie noch nie über ihn, über uns gesprochen. Was sollte das?
Toni kam mir hinterher, er erreichte mich erst an der Haustür. „Warte mal", sagte er und hielt meine Hand fest, mich der ich gerade meine Jacke von der Garderobe nehmen wollte. „Warum bist du wütend?", fragte er und brachte mich damit fast zum explodieren.
„Ist das dein ernst? Warst du gerade auch dabei?", schrie ich ihn an und Toni nickte ruhig. „Ja war ich. Aber was macht dich so wütend?".
„Diese Arroganz", rief ich. Ich fühlte mich plötzlich unglaublich allein in meiner Familie, als würde mich niemand verstehen, nicht einmal Toni. „Außerdem was soll der Mist? Henry hat mich nicht ausgenutzt und das war sehr wohl etwas richtiges zwischen uns, nur weil es nicht die Form einer Beziehung war, die Mama und Papa führen. Oder du!".
Toni hob beschwichtigend die Hände. „Ich glaube nicht, dass Mama sagen wollte, dass es nur eine richtige Form der Beziehung gibt. Aber das damals zwischen euch war doch keine Beziehung, ihr wart ja so schnell zusammen und wieder auseinander, dass man da nicht mehr mitkam und dann habt ihr euch auch noch andauernd betrogen. Wir haben uns damals einfach Sorgen um dich gemacht".
Ich schüttelte den Kopf. „Man kann sich nicht betrügen, wenn man keine monogame Beziehung führt, du Genie", sagte ich und fuhr mir frustriert übers Gesicht.

Toni verdrehte die Augen. Es machte mich müde und es machte mich traurig diese Perspektive auf die früheren Beziehungen von Henry und mir zu hören. Aber ich konnte nicht leugnen, dass es etwas mit mir machte. Vielleicht war ich am Ende des Tages doch ein wenig naiv, wenn es um ihn ging. Aber selbst wenn, war das schlecht?
„Wie auch immer. Ich glaube niemand will dich verärgern. Mama wünscht sich einfach nur, dass du eine richtige Beziehung führst. Mit jemandem der dir gut tut".
„Aber das tut er", erwiderte ich zu schnell.
Ich merkte meinen Versprecher erst, als Toni mich irritiert ansah. „Tut?", fragte er. „Wie meinst du das?".

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