"Und?", fragte ich in dem Moment, als ich die Tür zum Eiscafé öffnete. "Gibts was Neues?". Gianna erschien hinter der alten Theke und lächelte mir zu. "Tizian ist noch nicht zurück". Sie zuckte mit den Schultern und drehte sich zur Kaffeemaschine um. "Espresso?", fragte sie, ich sah auf meinen gewölbten Bauch und sagte: "Eher Cappuccino". Sie sah demonstrativ auf die Uhr, bedachte mich mit einer hochgezogenen Augenbraue und schnalzte mit der Zunge. "Mio caro, nur weil du schwanger bist. Es ist fast Nachmittag!"
Ich grinste sie an und setzte mich auf einen der alten Drehstühle vor der Eistheke. Als Gianna mir eine Tasse herüber schob, ging die Tür erneut auf. Tizian kam herein. Er sah aus wie immer. Eine Jogginghose auf den schmalen Hüften und dazu eine geschlossene dünne Bomberjacke, die er öffnete, sobald er eingetreten war. Seine Haare waren an den Seiten kurz, doch am oberen Teil seines Kopfes lockten sich seine schwarzen Haare. Er grinste zu meinem Erstaunen und gab mir einen fröhlichen Kuss auf die Wange. Dann beugte er sich zu seiner Schwester rüber und begrüßte auch sie überschwänglich. "Gute Neuigkeiten", sagte er und lehnte sich lässig an die Theke. "Louis sagt, er bekommt mich da raus".
"Louis?", fragte Gianna. "Du bist mit deinem Anwalt jetzt per du?". Sie hatte die Augen kritisch verengt, aber ich sah das Lächeln, das sich in ihrem Mundwinkel kräuselte. Das war wirklich gute Neuigkeiten.
"Er ist ein guter Kerl. Sag deinem Bruder nochmal danke, Skara!".
Ich nickte. "Ich freu mich für dich, Tizian".
Er zwinkerte mir zu und sagte dann: "Kommt wir gehen was essen, ich lad euch ein".
Die Frühlingssonne warf warmes Licht auf die Fassade der Plattenbauten um uns herum und es wehte ein zarter Wind, der die mittlerweile gut gefüllten Baumkronen leise rascheln ließ. Berlin roch nach dem immer näher rückenden Sommer und mich packte eine angenehme Euphorie. Ich hakte mich bei Tizian ein und lehnte mich an ihn, während wir durch die Siedlung schlenderten, wo wir gemeinsam so viel Zeit verbracht hatten. Die Wege zwischen den Hochhausschluchten waren mir so vertraut, obwohl sie so anders waren, als die Wege dort, wo mein Elternhaus stand. Wir trafen ein paar bekannte Gesichter. Leute, die Tizian und Gianna schon ihr Leben lang kannten und auch ich hatte sie schon oft gesehen. Menschen, die ich nie kennengelernt hätte, wenn ich die Geschwister nicht in meinem Leben hätte. Wir blieben kurz stehen, um ein paar Worte mit Kida zu sprechen, der einen Lebensmittelladen im Block betrieb. Er drückte uns allen zum Abschied eine Orange in die Hand. Die Süßesten, die man in Berlin bekam, da war ich mir sicher.Kurz darauf hielt Tizian seiner Schwester und mir die Tür zu Uzun's auf. Einem kleinen türkischen Restaurant, das im Erdgeschoss einer der vielen Wohnhäuser war und schon seit Ender der Sechziger der gleichen Familie gehörte. Früher hatten wir hier oft sonntags verkatert Döner und Linsensuppe gegessen.
In Berlin aufzuwachsen war Fluch und Segen, aber es zog seine Kinder zu weltoffenen Menschen heran. Etwas, das ich für mein eigenes Kind wohl auch wollte. Natürlich war Berlin nicht der einzige Ort, der so etwas fertig brachte. Das wusste ich. Aber Berlin war eben Berlin. Mehr als eine Stadt, irgendwie.
"Was willst du essen, Skara?", fragte Tizian.
"Manti", sagte ich.
Gianna grinste. "Oh, die nehm ich auch. Hatte ich ewig nicht".
"Oh und ich möchte ein Uludag!", rief ich. Gianna schüttelte sich angewidert. "Dass du das Zeug immer noch trinkst".
Ich zuckte mit den Schultern. "Zu süß gibt es für mich nicht". Tizian grinste. "Schon klar".Nach dem Essen fuhr ich mit der Bahn nach Hause und als ich aus dem Fenster sah, verliebte ich mich ein bisschen neu in meine Heimatstadt. Ich wusste, dass es mit der Erkenntnis zusammen hing, dass ich mich in Wien zuhause fühlen könnte. Als wollte Berlin mir sagen "Hey, vergiss mich nicht. Du liebst mich und du bist glücklich hier!".Man konnte aber auch an zwei Orten glücklich sein, dachte ich und seufzte. Die WG war leer und ich öffnete meine Zimmerfenster ganz weit, setzte mich auf mein Bett und schlug mein Notizbuch auf. Ich zeichnete mit einem Kulli eine grobe Tabelle. Pro und Contra schrieb ich in die zwei Spalten. Was sprach für Wien und was dagegen? Ich setzte mir eine Deadline. Bis zum 15. Mai würde ich die Entscheidung treffen. Und das war in drei Tagen.
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Trifolium
General FictionSkara sucht Abwechselung und findet Jelto. Die beiden verbringen einen gemeinsamen Sommer. Doch auch dieser Sommer endet irgendwann und mit ihm die gemeinsame Zeit. Schnell stellt Skara fest, dass sie eigentlich viel mehr braucht als einen Flirt, u...