Kapitel 98

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Abends im Bett konnte ich nicht schlafen. Henry war mit Raphi Billard spielen und ich starrte an meine Zimmerdecke. Die Wohnung war still. Ich dachte an Tizian und an Gianna. Ich dachte an das Gespräch mit meinen Eltern am nächsten Tag. Ich dachte an Wien. Ich dachte und dachte und konnte nicht damit aufhören.
Ich drehte mich auf die Seite und zog die Beine heran, mit der Hand fuhr ich über meinen Bauch. Auf einmal hatte ich Evys Stimme im Ohr. Wie sie Henry und mich rügte. Es geht nicht mehr nur um euch, hatte sie in strengem Ton gesagt.
Ich seufzte tief, schob alle Gedanken beiseite und angelte nach meinem Handy. Lustlos scrollte ich durch Instagram, als ich kurzentschlossen Mels Nummer wählte.

Sie nahm nach kurzer Zeit ab. "Ist alles okay?", fragte sie direkt und ich lächelte.
"Ich kann nicht schlafen", antwortete ich. Ich hörte wie Mel mit Geschirr klapperte, dann war es ruhig. "Geht es dir nicht gut?", fragte sie. "Übel?".
Ich drehte mich auf dem Rücken und hielt mir das Handy weiterhin ans Ohr. "Ja, aber ich muss auch so viel denken", sprach ich in die Dunkelheit meines Zimmers. Mel seufzte. "Vielleicht solltest du endlich damit anfangen Entscheidungen zu treffen", riet sie und ich wusste, dass sie recht hatte.
"Was machst du gerade?", fragte ich, um das Thema zu wechseln.
Erneut klapperte Geschirr im Hintergrund. "Ich räum meine Küche auf", meinte Mel. "Farid kommt morgen zu Besuch".
"Schön", erwiderte ich ehrlich.

Ich drehte mich wieder auf die Seite, hoffte dass so die unterschwellige Übelkeit verschwinden würde, doch es schien schlimmer zu werde. Ich spürte wie sie meine Speiseröhre hinaufstieg und sprang plötzlich hektisch aus dem Bett, doch es war zu spät. Ich legte auf, sprintete aus meinem Zimmer und übergab mich in den Flur. 
Ich ließ mich fassungslos an der Wand hinabgleiten und starrte auf die Pfütze vor mir. Ekelhaft.
Mein Handy klingelte und ich ging ran. "Skara? Was ist passiert?", Mel hatte besorgt zurück gerufen, nachdem ich sie mit einem "Fuck" unterbrochen und einfach abgewürgt hatte. "Ich hab in den Flur gekotzt", ich sah an mir hinab. "Und mein Pulli hat auch was abbekommen, wie's aussieht".
Mel gluckste.
Ich schnaufte.
Dann lachten wir beide los.

"Was eine Scheiße", sagte ich irgendwann noch immer grinsend, zog mir den Pulli über den Kopf und warf ihn in die geöffnete Badezimmertür mir gegenüber.
"Ich putz das mal weg, wir hören uns".
Mel kicherte noch immer amüsiert. "Ich hab dich lieb".
Wir legten auf.

Ich kniete noch immer im Flur, als Henry und Raphi heimkamen. Nur mit einem eng anliegenden Trägertop und Slip bekleidet rutschte ich auf den Knien über die Dielen in unserem Flur und schrubbte die letzten Reste meines Unfalls weg. Vermutlich schrubbte ich gerade nur noch wegen des Geruchs, denn sehen konnte ich nichts mehr. Aber ich roch es und hatte zwei mal das Putzen unterbrechen müssen, um mich würgend über die Kloschüssel zu hängen.

"Huch", machte Raphi, als er vor Henry die Wohnung betrat. "Alles okay?".
Ich ließ den Lappen fallen und blickte betrübt zu den beiden auf. Henry war neben Raphi getreten und sah mich irritiert an. Dann ging er in die Hocke und strich mir über die Wange. "Was machst du denn hier?".
Ich schlug die Augen nieder. "Mir war plötzlich so schlecht und ich hab's nicht bis zum Klo geschafft", murmelte ich und als ich aufsah, konnte ich genau erkennen, wie Henrys Mundwinkel amüsiert zuckten. Er gab sich alle Mühe, mich liebevoll und verständnisvoll anzublicken, aber ich wusste genau, wie gern er darüber lachen würde.
Raphi sagte gar nichts. Er stand noch immer neben dem Schuhregel. "Ihr dürft lachen", sagte ich resigniert und die beiden kicherten los.

"Na komm steh auf", Henry zog mich nach oben. "Ich mach das fertig". Dann stockte er und sah mich plötzlich wie versteinert an. "Henry?", fragte ich und er schluckte. Seine Augen waren noch immer auf meinen Körper geheftet.
"Man sieht's", flüsterte er und es klang nicht überrascht, obwohl er so aussah, eher andächtig beinahe vorsichtig.
"Man kann es wirklich sehen".
Vorsichtig streckte er eine Hand nach mir aus und bevor er meinen Bauch berührte, sah er mich einmal kurz fragend an. Ich trat näher und nickte. "Wie kann mir das heute morgen nicht aufgefallen sein", er sprach noch immer leise. Viel mehr mit sich selbst, als mit mir.
Er hatte aber recht. Man sah es und mir selbst war es auch erst kurz zuvor wirklich aufgefallen. Davor war es eher ein "okay wenn man es weiß, kann man es erahnen", aber jetzt ganz plötzlich sah man es.

Ich strich Henry über den Kopf, er wendete seinen Blick scheinbar widerwillig von meinem Bauch ab und blickte nun in meine Augen. Dann gab er mir einen Kuss.
"Ich heul gleich, Leute", sagte Raphi und ich drehte mich lächelnd zu ihm um. "Wirklich ernst gemeint, ihr macht mich fertig".
Henry lachte, ging auf seinen Kumpel zu, schlang einen Arm um Raphis Schultern. "Hab dich lieb, Alter", sagte er und ich nahm die beiden überschwänglich ebenfalls in den Arm.

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