Kapitel 63

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Natürlich wurden alte Geschichten ausgegraben. Über was sollten wir denn auch sonst sprechen, wir hatten schlichtweg nichts gemeinsam, bis auf unsere Vergangenheit.
Und Melissa feuerte das ganze auch noch durch ihre nett gemeinten, neugierigen Fragen an. Jetzt versuchte sie herauszufinden woher Henry und Frieder sich kannten.
„Über Skara, das ist schon etwas her", sagte Henry nur, ich nickte bestätigend und wollte das Thema wechseln.
„Wir haben uns nicht gesehen seit diesem Festival in Polen damals, oder?", sagte Frieder dann aber zu Henry. Ich trank einen Schluck Wein.
Henry nickte vage.
Genau in diese Richtung sollte das Gespräch am allerwenigsten gehen. In mir machte sich ein unangenehmes Gefühl breit.
„Ich erinnere mich noch daran", sagte mein Bruder. „Du kamst heim und warst über eine Woche richtig krank". Er lachte, ich verzog das Gesicht.
Ja krank und depressiv. Schrecklich war das. Keine Ahnung, ob ich jemals wieder so viel geheult habe.
Henry warf mir einen Blick von der Seite zu, er erinnerte sich auch.
Frieder hatte nichts von dem Stimmungswechsel wahrgenommen. Das wunderte mich auch nicht.
„Ja ihr beide wart das ganze Wochenende wach. Ich hab mich danach echt gefragt, was ich alles verpasst hab, nur wie ich geschlafen hab". Er lachte.
Ich schluckte heftig.
Eine Welle an längst vergessenen Gefühlen kam in vollem Tempo auf mich zu. Ich wagte es nicht Henry anzusehen, starrte einfach auf meine ineinander verschränkten Hände.
Es war plötzlich unangenehm still am Tisch.
Bevor ich versuchen konnte die Situation zu retten, klirrte das Glas meiner Mutter und sie hielt ihre Rede.
Ich wich Henrys Blick aus, ich wich Frieders Blick aus und ich fühlte mich plötzlich wieder wie damals.
Scheiße.

Ich hörte meiner Mutter mit halbem Ohr zu. Sie sagte eigentlich sehr schöne Dinge und mein Vater sah fast so aus, als sei er gerührt.
Alle applaudierten. Dann war das Buffett eröffnet.
Ich hatte keinen Hunger mehr, doch ich sprang auf, als hätte ich auf nichts andere gewartet.
„Lag es an mir oder ist die Stimmung plötzlich etwas seltsam geworden?", fragte mich Charlotte, die neben mir hergeeilt war.
Ich seufzte.
„Wir brauchen da ganz schnell nen Themenwechsel", sagte ich nur. Sie nickte und hielt mich sanft am Arm fest, bevor wir das Buffett erreichten.
„Willst du darüber reden?", fragte sie, ich zog die Augenbrauen zusammen. „Worüber?", fragte ich skeptisch zurück. Es gab nichts, worüber ich mit Charlotte jetzt reden wollen würde. Ich war ein furchtbarer Mensch. Ende.
„Darüber wie du dich gerade fühlst?", schlug sie vor und ich verdrehte aus tiefster Überzeugung die Augen.
„Ich fühl mich nach Burrata, aber den gibt's leider nicht".

Ich steckte mir ein paar Oliven in den Mund, schwatzte kurz mit ein paar Familienfreunden und kehrte gar nicht erst an den Tisch zurück, sondern verschwand nach draußen, um eine zu rauchen.
Es war kalt und meine Jacke hing drinnen an der Garderobe, also blieb ich nicht lange vor der Tür.
Auf den Weg zurück in den Gastraum traf ich meinen Vater. Er hatte gerötete Wangen und sah zufrieden aus. „Hast du Spaß?", fragte er und ich nickte brav.
Er verschwand auf den Toiletten.
Ich ging zurück an meinen Platz. Die anderen saßen alle dort und aßen, außerdem schienen sie ein neues Gesprächsthema gefunden zu haben.
Ich fühlte mich noch schlechter, weil ich Henry einfach mit der Situation allein gelassen hatte und er wirkte auch alles andere als begeistert.
„Sorry, ich war eine rauchen", flüsterte ich ihm zu, er grummelte nur ein „Achso".
Wenn es nicht der Geburtstag meines Vaters wäre, dann wäre ich wohl einfach nach Hause gegangen. Meine Stimmung war am Tiefpunkt.
Ich versuchte Anschluss an das Gespräch zu finden, aber schaffte es nicht. Vermutlich hauptsächlich, weil ich Frieder noch immer nicht in die Augen sehen konnte.
Ich schwieg also und trank dafür einfach ein bisschen mehr Wein.
Relativ schnell wurde mir allerdings klar, dass das meine Stimmung nur schwerer machte, also stieg ich auf Wasser um und holte mir was zu essen.
Irgendwann schaffte ich es auch wieder am Abend teilhaben zu können. Ich spielte authentisch das Spiel der leichten Konversation mit und hatte tatsächlich auch Spaß.
Wir schafften es lustige Geschichten auszutauschen, miteinander zu lachen und nachdem mein Bruder Charlotte und Ella zu meinen Eltern nach Hause gefahren hatte, trank Toni mit uns eine ganze Menge Grappa.
Später am Abend wurde getanzt und spätestens als meine Tante meinen Vater auf die Tanzfläche zerrte, war ich doch sehr froh nicht nach Hause gegangen zu sein.

Die Füße taten mir weh und ich war unglaublich müde. In der Bahn lehnte ich mich an Henry, ich nahm seine Hand und umschlang sie mit meiner. „Ich weiß, dass du böse auf mich bist", murmelte ich. Er seufzte und legte seinen Kopf auf meinem ab. „Und ich weiß, dass du dich eh schon scheiße fühlst", sagte er.
„Morgen?", fragte ich.
„Morgen", bestätigte er.

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