Die Wohnungstür flog auf und kurz drauf wieder krachend ins Schloss. Ich sah von meinem Buch hoch, Raphi stürmte herein. Er sah wütend aus. Irritiert legte ich mein Buch zur Seite und wartete darauf, dass er anfangen würde zu sprechen.
Er lief im Flur auf und ab und ballte die Hände immer mal wieder zu Fäusten.
„Raphi", begann ich, nachdem er immer noch nichts gesagt hatte und ich mir langsam anfing Sorgen zu machen.
Er hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. „Sag nichts Skara, bitte".
Müde ließ er sich neben mich aufs Sofa fallen, das in unserem Flur stand und auf welchem ich bis eben friedlich gelesen hatte und vergrub das Gesicht in den Händen.
Sacht strich ich ihm über den Rücken und schwieg.
Ich wollte ihn auf keinen Fall dazu zwingen mit mir zu sprechen, wenn er soweit war, würde er es schon von allein tun.
Er lehnte sich an mich und eine Zeit lang blieben wir einfach so sitzen. Irgendwann sah er auf.
„Was ist denn passiert?" Fragte ich sanft und er seufzte. „Ich war gerade mit meiner Mutter was essen", erzählte er und ich sah ihn aufmerksam an. Seine Augen glänzten verdächtig. „Meine Eltern lassen sich scheiden".
Ich sah ihn komplett verwirrt an, brachte irgendwie keinen Ton heraus. Raphis Eltern ließen sich scheiden? Was? Ich hätte das niemals kommen sehen.
„Scheiße", sagte ich dann. Raphi war Einzelkind und er und seine Eltern hatten ein gutes Verhältnis. Ein tolles Trio. Früher hatten sie andauernd gemeinsam Unternehmungen gemacht, sind am Wochenende spontan weg gefahren. Vor allem Raphi und sein Vater waren ein Herz und eine Seele. Paulo war ein unglaublich sanfter und gütiger Vater. Als Teenager hatte ich ihn immer lieber gemocht, als Raphis Mutter, die oft streng und kühl wirkte. „Ich war gerade so geschockt, ich hab sie einfach stehen lassen", murmelte er dann. Er lehnte sich an mich und mir brach es das Herz. „Tut mir so leid, Raphi". Er atmete schwer. Dann setzte er sich ruckartig wieder auf und sah mich an. Ihm standen Tränen in den Augen, aber er wirkte wütend. „Du kannst nicht glauben, wie bescheuert sie mir das gerade erzählt hat", schimpfte er. „Wo ist denn dein Papa? Warum hat sie dir das alleine gesagt?", fragte ich. Raphi schnaubte. „Er ist in Portugal bei meinem Onkel. Anscheinend war abgemacht, dass sie die Zeit nutzt, um auszuziehen. Ohne vorher mit mir zu sprechen! Was zur Hölle!". Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. So schnell konnte es gehen. Manchmal glaubte ich, dass Menschen einfach nicht für eine Ehe gemacht waren. War es nicht total unrealistisch, dass man sich so lange liebte?
Ich kam mir irgendwie blöd vor, schließlich hatte ich mich gerade genervt von meiner heilen Familie verabschiedet, während Raphi hören musste, dass seine zerbrochen war.
Als Henry nach Hause kam, kochte er für uns und dann saßen wir zu dritt bis spät in die Nacht in der Küche und waren einfach für Raphi da.In den folgenden Tagen regnete es durchgehend. Es schüttete. Der Himmel war von einer dicken, grauen Matte belegt. Ich konnte mich kaum daran erinnern, dass er einmal blau gewesen war. Ich hatte viel in der Uni zu tun und fast jeden tag eine Schicht im Theater, sodass in meinem Leben relativ wenig passierte. Raphi war mies drauf und jeder konnte es verstehen. Heute würde er sich mit seinem Vater treffen und er übte mein Frühstück, was er sagen wollte. Henry spielte Paulo und ich verkniff mir das Lachen, denn die Lage war nun wirklich nicht lustig. Als Raphi dann vor sich hin murmelnd verschwand, waren Henry und ich seit Langem mal wieder allein.
Ich sah ihn lange an, ohne dass er mich ansah. Er löffelte sein Müsli und las die Nachrichten auf seinem Handy. Seine blonden Haare schauten verstrubbelt unter der aufgesetzten Kapuze seines Hoodies heraus und er kaute konzentriert auf seiner Lippe. Irgendwann sah er vom Handy auf und mich an. Kauend verharrte sein noch etwas müder Blick auf mir und ich sah ihm in die Augen und trank, ohne weg zusehen, einen Schluck Kaffee.
Ich spürte eine verdächtige Spannung zwischen uns. Meine Gedanken drifteten zu seiner zarten Haut, zu seinen großen Händen, zu seinen sanften Lippen. Ichschluckte. „Bock auf Kino?", fragte er plötzlich. So plötzlich, dass er sich fast selbst zu erschrecken schien und aß schnell noch eine Löffel Müsli. Ichrunzelte irritiert die Stirn.
„Habe gerade gesehen, dass heute dieser neue Film von Gaspar Noé im Kino um die Ecke anläuft", erklärte er und ich zuckte mit den Schultern.
„Warum nicht".Das winzige Kino hatte nur einen Saal und die Räumlichkeiten waren irgendwas zwischen renovierungsbedürftigund kultig. Es war leer. Außer uns waren nur noch drei weitere Zuschauer dort. Henry kaufte Popcorn, es war salzig und ich beschwerte mich. Ein Thema, bei dem wir uns jedes mal in die Haare bekamen und es fast nur noch aus Tradition taten.
Als wir nebeneinander saßen, das Licht ausging und die Werbung begann, kämpfte ich gegen den Drang ihn zu küssen. Ich erschrak vor mir selbst. Stop! Ich steckte mir eine Handy voll salziges Popcorn in den Mund.
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Trifolium
General FictionSkara sucht Abwechselung und findet Jelto. Die beiden verbringen einen gemeinsamen Sommer. Doch auch dieser Sommer endet irgendwann und mit ihm die gemeinsame Zeit. Schnell stellt Skara fest, dass sie eigentlich viel mehr braucht als einen Flirt, u...