Kapitel 59

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Am Nachmittag besuchte ich Mel.
Ich hatte sie so lange nicht auf ein ausgiebiges Gespräch getroffen. Ich wusste noch nicht, ob ich von mir und Henry erzählen sollte. Es war alles noch so neu, ich wollte noch keine Meinungen dazu hören. Und Mel hatte immer eine Meinung.
Also fragte ich sie nach ihrem Leben. Mels Eltern waren geschieden und das Verhältnis zu ihrem Vater mal so, mal so. Er lebte in Stuttgart und sie erzählte, dass er zu Besuch kommen würde. Schließlich zahlte er ihr auch die Miete.
Ich verzog das Gesicht. Ich fand, dass Mels Vater ein arroganter Arsch war und hoffte inständig die Frage, die ich erwartete, würde nicht kommen.
Sie kam prompt: „Kommst du wieder mit uns am ersten Abend essen?". Sie blinzelte mich herzallerliebst an und ich sagte natürlich zu.
Seit ich Mel kannte, also seit etwa sieben Jahren, durfte ich immer mal wieder als eine Art Puffer zwischen Vater und Tochter fungieren.
Wenigsten wurde ich mit gutem Essen und gutem Wein bestochen. Denn der Herr ging natürlich nicht in die Dönerbude nebenan.

„Wann ist es denn soweit?", fragte ich und streckte mich auf ihrem Bett aus. Sie saß daneben auf dem Boden und kiffte.
„Nächsten Dienstag", sie drückte kurz auf ihrem Handy herum. „Um 17 Uhr will er hier ankommen, denke wir gehen dann so um sieben was essen".
Ich nickte.
„Was war bei dir so los?", fragte sie und ich zuckte mit den Schultern.
„Egal, erzähl mir lieber von dir".
„Ich hab mich wieder mit Farid getroffen. Er hat sich plötzlich gemeldet", erzählte sie und grinste.
„Nach fast zwei Monaten? Lass mich raten, mitten in der Nacht und er wollte bumsen?".
Mel verdrehte die Augen. Es stimmte also oder war zumindest nicht ganz falsch getippt.
„Ach naja, er hatte eine wirklich vernünftige Entschuldigung und ich fand das ja auch gar nicht so schlimm", winkte sie ab und ich zog skeptisch eine Augenbraue hoch.
Dann streckte ich meinen Arm in ihre Richtung aus und sie reichte den Joint an mich weiter.
Ich atmete tief ein und blies den Rauch dann in Richtung Decke nach Oben.
„Dann muss ich mir dein Gejammer wohl eingebildet haben", murmelte ich, meine beste Freundin schnaubte empört.
Ich grinste ihr zu, sie funkelte mich gespielt beleidigt an.
„Was bist du denn heute so selbstgerecht?", fragte Mel dann und eroberte den Joint zurück, „mensch könnte ja fast meinen, du hättest dein Liebesleben mal im Griff".

So war das irgendwie nicht geplant gewesen.
Ich verzog das Gesicht und sie riss die Augen auf. „Nä oder?", sagte sie und begann zu grinsen. „Ich glaub es nicht! Jetzt echt? Habt ihr beiden es endlich hinbekommen?", sie sprang auf und als ich nickte rannte sie in die Küche. „Ich hol den Crémant! Das muss gefeiert werden".



Auf dem Weg nach Hause klingelte mein Handy.
Unbedarft ging ich ran. Es war mein Bruder.
„Hast du Lust auf einen Spaziergang morgen Nachmittag?", fragte er und ich wusste genau, dass er mit meiner Mutter gesprochen hatte.
Sie schickte ihn vor, das hatte sie schon immer gern gemacht.
„Wir beide?", fragte ich. Er bestätigte es. Ich sagte zu.
Wir plauderten noch kurz über dies und das. Ich fragte nach Ella, er fragte nach der Uni. Naja.
Als wir auflegten war ich bereits dabei meine Wohnungstür aufzuschließen.

In der Wohnung war es kühl und die Balkontür stand offen. Genervt rief ich nach den Jungs. „Sagt mal, heizen wir für die Katz oder was?" und erinnerte mich dabei selbst schrecklich arg an meine Mutter.
Vom Balkon kam Gelächter. Ich zog meine dicken Boots aus, hängte meine Jacke fluchend über die Garderobe und stellte mich dann in die Balkontür.
Raphi und Henry saßen draußen dick eingepackt am Tisch und spielten Schach.
„Was macht ihr denn hier draußen?", fragte ich, eine unnötige und gleichzeitig gerechtfertigte Frage.
Ich verschränkte die Arme wärmend vor der Brust. Es war dunkel und elendig kalt. Sie hatten Kerzen an, es sah gemütlich aus, aber ich fror, wenn ich sie nur ansah.
„Zum Schach gehört Kette rauchen", erklärte Raphi, als wäre es vollkommen logisch und nahm einen Schluck Tee.

„Ihr Spinner", entgegnete ich sanft. Dann ging ich auf Henry zu, um ihm einen Kuss zu geben. Er roch nach Rauch und Tee und seine Wangen waren kalt.
„Ich geh duschen und lese dann im Bett noch ein paar Seiten. Viel Spaß euch beiden", dann schenkte ich Raphi ein Lächeln.
Ich freute mich, dass die beiden ihr Ding machten. Das war wichtig. Wichtig für ein funktionierendes Zusammenleben und eine funktionierende Freundschaft. Ich hatte das Gefühl, dass Henry und ich es dieses mal richtiger angingen.
Nach dem Duschen wusste ich nicht recht, ob ich in mein oder Henrys Bett gehen sollte, entschied mich aber für meins. Ich sprühte etwas Lavendelduft auf mein Kissen und kuschelte mich ein.
Nach zwei Seiten war ich schon eingeschlafen und als Henry einige Zeit später eiskalt unter die Decke kroch und sich an mich schmiegte, wurde ich nicht wach.

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